Ein Stückchen Normalität
Im Vorjahr konnten die Kölner Theaterpreise noch ein rundes Jubiläum feiern: 1990 wurde erstmals die beste Produktion der freien Kölner Theaterszene einer Spielzeit ausgezeichnet. Die Verleihung im Comed-Haus – organisiert und initiiert von der SK-Stiftung Kultur – war immer ein Stelldichein der freien Theaterszene und denen, die sich ihr verbunden fühlten. Coronabedingt fiel dieses Treffen in diesem Jahr aus, die Verleihung wurde ohne Publikum im Livestream übertragen. Es moderierte traditionell Hans-Georg Bögner, unterstützt von der Schauspielerin Aischa-Lia Löbbert
Bestes Stück: „IS deutsche Räuber im Dschihad“
Wie und warum radikalisieren sich heute Jugendliche und wie stehen sie zu westlichen Werten? Frei nach Schillers „Räuber“ geht die Koproduktion von WEHR 51 mit sankt gertrud: kirche + kultur und Freihandelszone dieser Frage nach. Für die Jury war „neben der hohen inhaltlichen Relevanz des Stückes auch die herausragende Umsetzung der Thematik ausschlaggebend“. Außerdem lobte sie „das eindringliche Spiel von Asta Nechajute, Lucia Schulz und Fabian Kuhn sowie den raumgreifenden Choreographien der Tänzerin Katherina Sim“. Ihr Fazit: „Ein geeigneteres Theaterstück – nicht nur – für Jugendliche aller Religionen und Weltanschauungen ist momentan kaum vorstellbar.“
Der Kölner Theaterpreis ist mit 10.000 Euro dotiert, gestiftet von der Sparkasse KölnBonn, dem Kölner Kulturamt und dem Mediziner Manuel Cornely. Zu sehen war das Stück in St. Gertrud.
Bestes Kinder- und Jugendtheater: „Hieronymus“
„Obwohl sich die Inszenierung in gemächlichem Tempo entfaltet, vermag sie in jedem Moment mit neuen Ideen zu überraschen“ begründete die Jury ihre Entscheidung für die Koproduktion von pulk fiktion, Theater an der Ruhr, FFT und FWT, nach dem Bilderbuch von The Tjong-Khing. Der niederländische Illustrator begibt sich darin in die Welt des Malers Hieronymus Bosch. „Ist das noch Theater oder schon Performance, wenn sich die Bilderbuchwelt des großen Thé Tjong-Khing in Film, optische Effekte, Tanz, Musik, Kostüme und Geräusche verdichtet?“ zeigt sich die Jury begeistert.
Die 5.000 Euro Preisgeld stiftete die GAG Immobilien AG. Gezeigt wurde „Hieronymus“ im Freien Werkstatt-Theater
Die beste Tanztheater-Produktion: „Das eXXperiment“
Marta Hegemann (1894-1970) war eine deutsche Vertreterin des Dadaismus, die Nazis diffamierten ihr Werk als „entartet“. Nach 1945 konnte sie nicht mehr an ihre alten Erfolge anknüpfen. Die Choreografin Bibiana Jimenez hakt deren Leben mit den beiden Tänzerinnen Dabiele Riebesam und Florencia Martina nicht als „Biographie nach Jahren ab, sondern entwickelt die Szenerie einer zunehmenden Bedrückung. Und des Aufbegehrens. Nie wirkt dies, durch die Folie betrachtet, wie ferne Historie. Sondern seine Lebendigkeit und Dringlichkeit rückt es uns, dem Publikum, nah.“ So die Begründung der Jury
Die TÜV Rheinland Stiftung stellte das Preisgeld von 5.000 Euro bereit. „Das eXXperiment“ hatte in der Tanzfaktur Premiere
Beste Darstellerin: Juliane Ledwoch
Die Titelrolle im Theaterstück „Frida Kahlo – Erinnerung an eine offene Wunde“ brachte der 50-jährigen Kölnerin die Auszeichnung als beste Darstellerin der Spielzeit 2019/20 ein. In der Jury-begründung heißt es unter anderem: „Mit Leib und Seele Frida Kahlo – Juliane Ledwoch glänzt in der Rolle der mexikanischen Malerin“. Hier zeige sich noch einmal, dass der Darsteller-Theaterpreis für diese großartige Schauspielerin längst überfällig sei. Juliane Ledwoch hatte „Frida Kahlo“ im Alleingang – verantwortlich für Text, Regie, Kostüme und Musikauswahl – im Theater Tiefrot realisiert.
Die Preisträgerin kann sich über 3.500 Euro freuen, gestiftet von der Sparkasse Köln Bonn.
„Puck“ – Nachwuchspreis für den besten Nachwuchs: Kaja Hansen
„Der Preis geht dieses Jahr an Kaja Hansen, weil sie in dem Lausund-Monolog eine überzeugende und spannende Mischung aus Komik und Beklemmung erzeugte. Als Gräfin Orsina war sie in der Lage, eine ganz andere Persönlichkeit in einer sehr überschaubaren Szene sichtbar werden zu lassen. Sie überzeugte uns durch ihre Fähigkeit, besonders durch zarte Schattierungen und leise Töne ihres Spiels zu fesseln. Wir würden uns freuen, sie in weiteren Rollen in Köln sehen zu können.“
Der Nachwuchspreis wird von der Theatergemeinde Köln ausgelobt, die RheinEnergie stellt dafür 2.500 Euro bereit.
Kurt-Hackenberg-Preis für politisches Theater: „Geister ungesehen – Ein deutsches Drama“ (Koproduktion von Analog Theater und studiobühne Köln) und „1934 – Stimmen“ (Futur 3)
Erstmals in seiner Geschichte hat die Jury hier zwei Preisträger gekürt. Beide Produktionen nähern sich „auf höchst unterschiedliche Weise und auf gleichermaßen hohem Niveau dem Aufstieg und Fall des sogenannten Dritten Reiches, das mit seiner Kernschmelze zwei neue deutsche Staaten erzeugt hat, die inzwischen wieder vereinigt, aber nicht wirklich eins geworden sind“. Dabei beschwörten beide die „die so nicht mehr vermutete Nähe dieser Vergangenheit und stellen Fragen an uns.“ „Geister ungesehen“ lief in der studiobühne, „1934 – Stimmen“ im NS-Dokumentationszentrum.
Der Kurt-Hackenberg-Preis ist der einzige Preis, der auch Produktionen der städtischen Bühnen berücksichtigt. Ausgelobt wird er von der Freien Volksbühne Köln, die beim Preisgeld in Höhe von 5.000 Euro in diesem Jahr erstmals von der AVG Ressourcen unterstützt wird.
Ehrentheaterpreis: Gerda König
1995 gründete die Choreographin Gerda König die „DIN A 13 tanzcompany“, weltweit eine der wenigen Tanzensembles, deren Mitglieder unterschiedliche Körperlichkeiten mitbringen. „Mit ihrer künstlerischen Arbeit hat sie Maßstäbe gesetzt, Körpernormen und Ästhetik im Tanz neu zu betrachten und zu definieren. Körper in ihrer Spezifik zu akzeptieren, jenseits gängiger ästhetischer Normen, ist für sie und ihre Kompanie eine Selbstverständlichkeit“, feierte sie Jury-Mitglied Angie Hiesl, Ehrenpreisträgerin 2001. Und weiter: „Ihre ästhetische Forderung an die Kunst strapaziert und provoziert herkömmliche Grenzen, deckt Tabus auf und hat somit gleichzeitig eine gesellschaftliche wie auch eine politische Dimension.“
Während alle anderen Preis nach Hollywood-Manier „And the winner is…“ erst am Abend der Verleihung bekannt gegeben werden, steht der Ehrentheaterpreis schon Wochen vorher fest. Die Jury setzt sich aus den vorherigen Preisträgerinnen und Preisträgern zusammen. Netcologne stiftete die 2.600 Euro Preisgeld.
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