Ein Leben auf der Flucht – aus den Augen eines Kindes
Eigentlich führt Toda ein glückliches Leben. Sie lebt mit ihrem Vater und ihrer Großmutter zusammen, hat eine blühende Phantasie und diese ominösen Alltagssorgen, von denen immer alle sprechen, sind weit und breit nicht in Sicht. Eines Tages jedoch bricht der Krieg aus, wie das halt so ist, und die Idylle fängt an zu bröckeln. Der Vater wird eingezogen, die Großmutter schickt Toda gleich mal zu ihrer Mutter in ein anderes Land. Eine Flucht beginnt und damit eine Geschichte voller Phantasie und kindlichem Charme, umbettet von einem erschreckenden Thema.
Bereits zum zweiten Mal bringt das disdance project die Romanadaption „Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor“ (Joke van Leeuwens, 2010) auf die Bühne und dürfte auch dieses Mal den Puls der Zeit treffen. Warum das beim ersten Mal nicht ganz so gut funktionierte, hat uns das Ensemble um Paula Scherf und André Lehnert im persönlichen Gespräch erzählt.
Lehrerinnen und Lehrer, die sich nicht ans Thema trauen?
Als 2015 die Flüchtlingskrise ausbricht, hätte der Zeitpunkt für eine Fluchtgeschichte aus den Augen eines Kindes passender nicht sein können. Aktualität? Check. Potenzial, Gefühle anzusprechen? Check. Potenzial, durchaus auch provozieren zu können? Check. Eigentlich hätte die erste Aufführungsreihe 2015 beim Publikum ankommen sollen. Hätte es denn nennenswertes Publikum gegeben.
„Es war wie verhext“, sagt André Lehnert, der disdance project gemeinsam mit Paula Scherf ins Leben rief. „Da hast du diese extrem aufwändige Produktion, die zufällig perfekt in die Zeit passt, aber die Zuschauerinnen und Zuschauer bleiben aus.“ Auf das Warum hat André allerdings auch die Antwort: Die turbulenten Wochen, in denen viele Menschen wegen der Flüchtlingsströme aktiv tätig bzw. persönlich betroffen waren, passte trotz der vermeintlich genauen Passform nicht in die Zeit, das Thema war emotional aufgeladen. „Im Nachhinein war das absehbar, das Thema Flucht war überall und nicht überall positiv.“
Dass selbst Lehrerinnen und Lehrer sich nicht an das Thema heranwagten, obwohl man sich im Vorfeld an den Vorbereitungen beteiligte, überraschte das Ensemble: „Das hatten wir wirklich nicht erwartet“, sagt André. Erwähnenswert und ausschlaggebend sei hier allerdings vor allem der Einfluss der Eltern, die ihre Kinder mit der Thematik nicht konfrontieren wollten.
Mit Kindern und Jugendlichen eine Welt voller Gefühle erarbeitet
Für diese Aufführungsperiode erhofft sich das Ensemble allerdings genau das Gegenteil – auch wenn „Als mein Vater ein Busch wurde“ wieder mal gefährlich nah an gegenwärtigen Realitäten wandelt. Aber letzten Endes ist die Produktion für Jugendliche gemacht; beziehungsweise: von ihnen. 2013 begann das Ensemble gemeinsam mit Kölner Kindern und Jugendlichen mit den Vorbereitungen der Produktion, zusammen erarbeiteten sie eine wundervolle Welt, in die Toda euch nun entführen möchte.
Sie erzählt im Nachgang – und in der Produktion aus dem Off (Nagmeh Alaei) – von ihrer Flucht und schafft eine Fantasiewelt, die in der Realität weder verortet ist noch dessen schonungslose Brutalität in sich trägt. Sie ist bunt und malt dennoch einen Umriss, ist utopisch und gefühlvoll gleichermaßen. Todas Fantasiesprache sowie ihre spannende Erzählweise sollen ein „Gegengewicht schaffen und ein schwieriges Thema zugänglich und unterhaltsam vorbringen“, so André.
Multimedial erzählt – „Theater mit Kino-Elementen“
Diese Welt voller Gefühle und verdrehter Erfahrungen transportiert das Ensemble mit Hilfe von fünf über die gesamte Bühne verteilten Großbildschirmen, die in einzelnen Etappen Todas Geschichte erzählen. Während Paula Scherf die Inszenierung auf ein performatives Level hebt und aktiv auf der Bühne agiert, bespielen elf Schauspielerinnen und Schauspieler die Bildschirme (im Videoformat natürlich) und tragen so gemeinsam mit Scherf und Alaei durch den Abend. „Die ganze Inszenierung ist extrem technisch aufgezogen, weshalb es nicht so leicht ist, Spielstätten und -orte zu finden“, sagt Paula. „Es ist gewissermaßen Theater mit Kino-Elementen.“
Letztlich wolle man mit der Produktion einfach unterhalten und wenn möglich ein bisschen Einblick in das Leben eines geflüchteten Kindes geben. Auf sehr abgehobene Weise, aber mit ganz viel Empathie. Haben wir eigentlich erwähnt, dass die Geschichten im Video teilweise im Comic-Stil erzählt werden? Nein? Ok, vielleicht beim nächsten Mal. Wegen der Multimedialität und so.
Wir wünschen euch viel Spaß.
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Fotos: Klaus Dilger, 2015.
Zeiten:
30. August 2022:
10:00 Uhr
30. August 2022:
18:00 Uhr
15. September 2022 – Sauerland-Theater Arnsberg
10:00 Uhr
Preise:
Kinder: 9,30 €
Regulär: 13,70€
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
Theater der Keller e.V.
Adresse: Siegburgerstraße 233w, 50679 Köln
Webseite: https://disdanceproject.de/projekte/als-mein-vater-ein-busch-wurde-und-ich-meinen-namen-verlor
KVB: Linie 7: Poller Kirchweg