Die Kunst des Lesens und des Schreibens

Ohne Schrift ist wohl kaum eine Kultur denkbar. Und ohne Menschen, die Geschriebenes lesen können, auch nicht. Wie Künstler dieses doch eher abstrakte Phänomen seit gut sechs Jahrhunderten in Bilder umsetzen, zeigt jetzt das Wallraf-Richartz-Museum mit der ebenso spannenden wie unterhaltsamen Grafik-Ausstellung „Bann und Befreiung – Über Lesen und Schreiben“. 

Der jungen Frau, die Jacques-André Portail vor fast 300 Jahren mit Rötel und schwarzer Kreide aufs Papier bannte, ist die Freude anzusehen: Es ist wohl ein lang erwarteter Liebesbrief mit guten Nachrichten, den sie da liest. Die elegante Dame auf der Radierung von Henri Gérard (um 1790) dagegen blickt eher resigniert oder enttäuscht: Ihre „Hoffnung auf Rückkehr“ – so der Titel der Szene – scheint zumindest einen Dämpfer erhalten zu haben. Die unterschiedlichen Reaktionen der Empfängerinnen und Empfänger sind für Künstler immer wieder ein beliebtes Motiv, wie diese Ausstellung zeigt.

Briefe, Zeitungen und Bücher bieten Lesestoff

Briefe, Zeitungen und Bücher bringen dem Empfänger Botschaften – ersehnte, unerwünschte, gute oder schlechte. Ein Flugblatt etwa informiert über die „Kriegserklärung“ – und sammelt so gleich ein Dutzend entsetzter Leser um sich herum. So hat es Max Beckmann 1914 in einer Radierung festgehalten.

Bücher erweitern Wissen, entführen in ferne und nahe Welten, in reale und fiktive, in intime und öffentliche. Sie fesseln jung und alt – gerade briefmarkengroß ist Daniel Chodowieckis Radierung, die einen kleinen Jungen hinter einem Buch zeigt: Er steht am Anfang einer großen intellektuellen Reise. Um ein Buch zu lesen, legt man sich auch gerne einmal im Wald auf weiches Moos, wie die leicht laszive, in das Buch vertiefte  „Maria Magdalena“ in Giuseppe Longhis Kupferstich (um 1810). Pech nur, wenn – wie in einer Karikatur von Honore Daumier – die Frau des Hauses lieber liest als dem liebeshungrigen Gatten die Aufmerksamkeit zu widmen. Und auch der Buchteufel kann die Geister verwirren.

Vor dem Lesen muss geschrieben werden

Doch damit die einen lesen können, müssen andere erst einmal schreiben (hier ist die Ausstellung nicht ganz logisch aufgebaut). Wir schauen Clio über die Schulter, der Muse der Geschichtsschreibung (Christoph Jakob Wilhelm Haller von Hallerstein, 1801). Sehen Galilei, wie er seinen Gegner im Kerker trotzt und seine Gedanken in die Wand ritzt (Adolph Menzel, nach 1846). Und was bringt das „Hockende Mädchen“ (Pierre Bonnard, 1930) auf den kleinen Zettel, den es beim Schreiben gegen das Knie presst? Eine Einkaufsliste oder eine kleine Liebeserklärung?

Und wie lernt man schreiben? Früher mit Fibeln – die umstrittene Ganzheitsmethode war da noch nicht erdacht. Geschrieben wurde mit einem Gänsefederkiel auf Pergament oder handgeschöpftem Papier. Ein taktiler Genuss – leider in einer Vitrine geborgen.

TV-Star Hanns Zischler als Kurator gewonnen

Zur Mitarbeit als Kurator dieser Ausstellung hat das Museum Hanns Zischler gewonnen: nicht nur ein bekannter TV- Schauspieler, sondern auch Schriftsteller und Fotograf, vor allem aber Lesefan und mit Lesungen fast schon Dauergast im Hause. Er und Anne Bischoff, Leiterin der Graphischen Sammlung, haben aus rund 150 Grafiken und Zeichnungen der eigenen Sammlung 43 ausgewählt. Zischler hat auch eine eigene Arbeit ausgeliehen: Die Abreibung ägyptischer Hieroglyphen aus einem Museum in Neapel. Zusätzlich hat er noch zahlreiche Zitate etwa von Johann Wolfgang Goethe, Franz Kafka, Honoré Balzac oder James Joyce über Lesen und Schreiben ausgesucht. Sie hängen nun als Ergänzung zwischen den Bildern.

Fazit: Eine höchst bemerkenswerte Ausstellung, für die sogar der übliche Raum für Kammerausstellungen verdoppelt wurde.

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Foto 1: Jürgen Schön – „Bann und Befreiung – über Lesen und Schreiben“: Blick in die Ausstellung. 

Foto 2: Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud – Kaum größer als eine Briefmarke: Daniel Chodowieckis „Das lesende Kind“ (Radierung, 1764).

Foto 3: Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud – „Maria Magdalena lesend“– Giuseppe Longhi (Kupferstich, um 1810) nach Correggio (1489–1534). 

Zeiten:

bis zum 15. Januar 2023

Preise des Museums:

Eintritt: 
Erwachsene: 8,00 €
Ermäßigt: 4,50 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
Adresse: Obenmarspforten, 50667 Köln
Telefon: 0221 – 221 211 19
Webseite: https://www.wallraf.museum/ausstellungen/aktuell/2022-09-23-zischler/
KVB: Linie 5: Rathaus
Linien 1, 5, 7, 9: Heumarkt

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