Eine Epoche endet

Erster Schultag, erste Liebe, Familie, Urlaub. Krieg, Vertreibung, Wirtschaftswunder. Corona, Tod. Das Ensemble des Altentheaters am Freien Werkstatt-Theater (FWT) hat immer einiges zu erzählen – über sich und die Welt. Nicht nur den Altersgenossen, sondern auch der Jugend. 1979 von Dieter Scholz gegründet, wurde es seitdem zum festen, gefeierten und einzigartigen Bestandteil der Kölner Szene. Doch Ende dieses Jahres ist Schluss. Endgültig. Kleines Trostpflaster gegen den Abschiedsschmerz: Noch fünf Mal kann man es live sehen.

Spielfreude kann jeder haben – das Alter spielt keine Rolle

Eine bunte Truppe, rund 100 Alte haben hier durch die Zeit ihren Spaß am Theater aktiv ausgelebt. Manche bis weit ins zehnte Lebensjahrzehnt hinein. Alte – darauf legt Dieter Scholz wert. „Seniorinnen und Senioren – mit diesen Worten wird bloß das Alter aus dem Leben verdrängt“, sagte der Gründer der Truppe einmal. Für dieses Beharren wurde er sogar vom „Verein Deutsche Sprache“ ausgezeichnet.

Zusammen gut 1.800 Jahre geballte Lebens- und Spiellust standen im Schnitt auf der Bühne. Es wurden nicht vorgegebene Theaterstücke geboten, Dieter Scholz und Ingrid Berzau – seit 1982 an seiner Seite –  entwickelten mit der Gruppe eigene Programme. Perfekte Nummernrevuen, in denen die Mitglieder solo oder mit anderen aus ihrem Leben erzählten.

Auf der Bühne Lebenserfahrungen ausgetauscht

Aus diesen authentischen biografischen Puzzleteilen setzte sich pralle Zeitgeschichte zusammen. Manches überraschte sogar die Truppe: So erfuhren etwa Dieter Scholz und Mitspielerin Renate Maria Hirth, dass sie das gleiche Schicksal teilen: Die Vertreibung aus der schlesischen Heimat nach 1945. Die 81-Jährige steht stellvertretend für das gesamte Ensemble, wenn sie Bilanz zieht: „Das Theater hat uns viel gegeben: Energie, Lebensfreude, Motivation.“ Es sei schade, dass jetzt Schluss sei, „aber alles Schöne hat ein Ende.“

Proben und Auftritte schweißten das Altentheater zusammen. Geburtstage wurden gefeiert, sogar eine Hochzeit. Und in einem Todesfall waren sie die einzigen, die am Grab standen. Finanzielle Unterstützung kam von einem Freundeskreis, der zum Beispiel Taxifahrscheine spendete.

Internationaler Erfahrungsaustausch

Die Kölner luden andere Altentheater an den Rhein ein, wurden selber zu Gastspielen eingeladen und gingen auf Tournee. Etwa durch Brandenburg – und hatten ausgerechnet am Tag des Mauerfalls einen Auftritt. „Die Erinnerungen auf der Bühne vereinten die geteilten Generationen“: Eine beeindruckende Atmosphäre, an die sich Ingrid Berzau noch heute mit leichtem Schauer erinnert. Internationaler Höhepunkt in der Theatergeschichte des Altentheaters war das „Welt-Altentheater-Festival“, zu dem 1999 Ensembles aus 18 Ländern – darunter USA, Taiwan, Simbabwe und Brasilien – auf dessen Einladung nach Köln kamen.

Dieter Scholz und Ingrid Berzau leiteten bis vor zehn Jahren auch das FWT in der Südstadt. Widmeten sich danach nur noch dem Altentheater: Ingrid Berzau übernahm die Regie, Dieter Scholz stand zum Schluss nur noch auf der Bühne. Inzwischen ist er 85 Jahre alt, sie 70. Zeit, aus dem Betrieb auszusteigen. Ein Entschluss, der gut ein Jahr lang heranreifte. Und nicht leicht fiel. „Doch unser Modell zur Zusammenarbeit ist leider nicht übertragbar“, erklärt Ingrid Berzau.

Ein Nachfolge-Projekt ist nicht in Sicht

Mit Bedauern hat Gerhard Seidel, Ko-Leiter des FWT, das Ende des Altentheaters akzeptiert. „In der bisherigen Form ist das Projekt nicht fortführbar. Es gibt niemanden, der es machen kann. Die Qualität ist unwiederholbar. Dem müssen wir uns stellen“, fasst er die Lage zusammen. „Es war ein Livetime-Verbund.“ Einen kleinen Hoffnungsschimmer auf ein neues Projekt gibt es aber noch, Seidel setzt auf das Förderprogramm „Kulturelle Teilhabe“ der Stadt. Für Ideen ist er offen.

In ihrer aktuellen und letzten Produktion „Vom Sagen und Schreiben“ (siehe hier) erzählen die Mitglieder des Altentheaters, wie sie die Corona-Zeit durchlebt haben, welche Erinnerungen auftauchten – und wie man sich gegen Frust und Einsamkeit wehren kann. Noch fünf Mal wird es aufgeführt – und zwar am 8. November (11 Uhr), 9. November (15 Uhr), 10. November (19 Uhr), 1. Dezember (17 Uhr) und 2.Dezember (16 Uhr). Freies Werkstatt-Theater, Zugweg 10, 50677 Köln, Tel. 02 21 / 32 78 17, www.fwt-koeln.de

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Foto 1: Meyer Originals – 2019 feierte das Kölner Altentheater im FWT sein 40-jähriges Bestehen. 

Foto 2: Jens Brause – Sagen Ade: Ingrid Berzau und Dieter Scholz. Mit ihnen gibt auch das Altentheater seinen Abschied.

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