Ein Blick in die Vergangenheit

Das ehemalige, heute denkmalgeschützte Verwaltungsgebäude der Klöckner-Humboldt-Deutz AG (KHD) in Deutz ist eines der letzten Zeugnisse großer Kölner Industriegeschichte. Es liegt an der Stadt, ob es erhalten bleibt, ob sie sich gegen die Interessen eines privaten Investors durchsetzen kann. Was hier verloren zu gehen droht, soll ein Buch zeigen, das das Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsarchiv (RWWA) mit dem  Künstler und Historiker Wolfgang Stöcker plant. Es soll noch in diesem Jahr erscheinen. 

Grundlage für das Buch ist ein Aktenordner mit 400 Anträgen und Fragebögen an die Werkssozialfürsorge auf eine (Werks-)Wohnung. Gestellt in den Jahren nach 1945, als Kriegsflüchtlinge in das zerstörte Köln zurückkehrten und die Bevölkerungszahlen wieder steil anstiegen. 

Mäuse, die über schlafende Kinder laufen 

Erzählt werden 400 Schicksale, engverbunden mit dem (industriellen) Neuanfang der Stadt. Die Antragsteller – überwiegend Männer – erzählen von beengten Wohnsituation, von Eltern und fast erwachsenen Kindern, die sich ein Zimmer teilen müssen, von Mäusen, die über schlafende Kinder laufen, von fehlendem Trinkwasser, von Kündigungen schwangerer Frauen. 

Für Stöcker sind das mehr als nur individuelle Alltagsschicksale. Sie stehen für ihn beispielhaft für diese Zeit der großen Wohnungsnot, die bis in die 1960er Jahre reichte.  Nun arbeitet er an der wissenschaftlichen Aufarbeitung, wobei er die sozialen Aspekte mit den wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Aspekten dieser Nachkriegsjahre verbinden will. Er will die menschlichen Schicksale rekonstruieren, aber auch die der ehemaligen Unterkünfte, der Häuser, von denen viele nicht mehr existieren. 

Wissenschaftlich fundiert, aber auch gut lesbar soll das Buch werden. Darin sind sich Stöcker und RWWA-Direktor Ulrich Soenius einig. Einig sind sich die beiden auch darin, dass die Verhältnisse damals und heute gar nicht so unähnlich sind. Auch heute herrscht Knappheit an bezahlbaren komfortablen Wohnungen Und einige Firmen planen sogar wieder – wie seinerzeit – Werkswohnungen. Ein Mittel, um gesuchtes Personal an sich zu binden. So verspricht das Buch mehr als nur Lokalgeschichte. Wenn die Finanzen geklärt sind, soll es noch in diesem Jahr in der Schriftenreihe des RWWA erscheinen. Auch eine Ausstellung ist denkbar. 

Künstler retteten den Aktenordner vor dem Vergessen 

„Geburtshelfer“ des Projekts sind Anja Kolacek und Marc Leßle. Die beiden sind Initiatoren des „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ und von „Raum 13“. Diese Kulturinitiative hat das leerstehende Haus vor über zehn Jahren übernommen, es zu einem weit beachteten Treffpunkt und Veranstaltungsort für genreüberschreitende Kultur gemacht. Ein Schwerpunkt des Programms: Die Einbeziehung der industriellen Nachbarschaft und deren Geschichte. 

Aktuell beschäftigt man sich damit, wie die Industriebrache zu einem neuen, zukunftsorientierten Stadtviertel umgewandelt werden kann, in dem Wohnen, Arbeiten und Kultur nachhaltig zusammenfinden und dabei auch die Geschichte einbezogen wird. Immerhin wurde hier der Otto-Motor erfunden und produziert. Das ehemalige KHD-Verwaltungsgebäude könnte dabei als Museum zur Industriegeschichte einen zentralen Bestandteil bilden. 

Im Keller des Hauses fand das Team zwischen vielen anderen Akten auch den Ordner mit den Wohnungswünschen. KHD hatte ihn dort als unwichtig hinterlassen, nachdem es die „wichtigen“ Zeugnisse der Firmengeschichte dem RWWA überlassen hatte. Das fand nun auch dieses Dokument „archivwürdig“ und schloss sich mit Stöcker zusammen. Der hatte vorher schon höchst lebendige Führungen durch das Areal und die Verwaltungsräume durchgeführt. 

Kulturzentrum droht die Kündigung – Stadt will kaufen 

Ob die Utopie des neuen Viertels allerdings umgesetzt werden kann, ist derzeit mehr als fraglich. Der Besitzer des Gebäudes, ein Privatinvestor, hat den Kulturschaffenden gekündigt. Ein Gericht hat ihm Recht gegeben, noch aber haben die Künstler kein  Kündigungsschreiben erhalten. Anfang Februar beschloss der Rat einstimmig, das Gebäude zu kaufen. Es bleibt zu hoffen, dass dies gelingt – und hier etwas besseres entstehen kann als ein Stadtviertel von der Stange. 

Foto 1: Jürgen Schön – Kunstvoll von den Mitgliederinnen und Mitgliedern des „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“ zusammengeschichtet: Alte KHD-Akten in einem ehemaligen Büro.
Foto 2: Jürgen Schön – Wolfgang Stöcker (l.) und Ulrich Soenius durchblättern den Aktenordner mit Wohnungswünschen.

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