Lesen im neuen Zeitalter

Liest unsere Jugend zu wenig? Die Antwort auf diese Frage ist eine einfache, wenn auch eine bisweilen überraschende: Nein. Denn trotz stetig steigender Social-Media-Nutzung und sonstiger digitaler Beschäftigungsformen bleibt das Leseverhalten der Jugendlichen konstant hoch. Das zumindest fand der Medienpädagogische Fachverbund Südwest heraus. Die Quellen: die KIM- und JIM-Studien aus dem Jahr 2018. Und die Ergebnisse: Bei den Jugendlichen zwischen sechs bis 13 Jahren greifen 16 Prozent (fast) jeden Tag zum analogen Medium Buch, gut ein Drittel liest mehrmals in der Woche und nur 17 Prozent aller Jugendlichen bezeichnet sich selbst als Nicht-Leser. Bei den zwölf bis 19-Jährigen liegt der Anteil der regelmäßigen Leserinnen und Leser gar bei konstanten 40 Prozent – und das bereits seit 20 Jahren. „Über die vergangenen drei Jahrzehnte hinweg hat sich am Anteil regelmäßiger Leserinnen und Leser in allen Altersgruppen kaum etwas geändert“, bestätigt auch Prof. Dr. Simone Ehmig, Leiterin des Instituts für Lese- und Medienforschung bei der Stiftung Lesen. „Schon gar nicht muss man davon ausgehen, dass die intensive Nutzung digitaler Medien auf diejenigen einen Einfluss hat, die lesen. Wir haben jedoch konstant Bedarf, nachwachsende Generationen von Nicht-Lesern zu motivieren.“ Wie aber holt man diese Nicht-Leser nun ab?  

Einen Versuch, junge Menschen wieder in den Bann allabendlicher Bettlektüren zu ziehen, unternimmt nun Daniela Tepper. Sie ist Journalistin, Autorin und Dozentin an der Arturo-Schauspielschule – und sie plant derzeit an einem Lesefestival, das genau auf diese Zielgruppe zugeschnitten ist. Die Literaturo verwandelt die „Villaturo“ im Kölner Süden über eine Woche lang in einen Treffpunkt der Lindgrens, Rowlings und Kinneys unserer Zeit und es entsteht ein Ort, der der Fantasie keine Grenzen setzt. Die Veranstaltung findet zwar erst im November statt, wir haben uns jedoch jetzt schon einmal mit der Veranstalterin zusammengesetzt und sie ein wenig ausgequetscht. Es folgte ein Interview, das nicht nur für Kinder gedacht ist.

Ein Lesefestival für Klein und Groß

Rheinerlei: Daniela, lesen wir zu wenig?

Daniela: Vielleicht nicht zu wenig – aber ganz anders als noch vor ein paar Jahren. Ohne das wissenschaftlich mit Zahlen untermauern zu können, das ist mehr eine gefühlte Wahrheit, die sich aber in eigentlich allen Gesprächen bestätigt, die ich täglich führe – und ich erlebe es auch an mir selbst: Wir lesen viel mehr digital als früher, häufig deutlich kürzere Texte, Informations-Häppchen, davon aber wahnsinnig viele. Es ist wie ein Dauerfeuer aufs Gehirn, und das macht sich zum Beispiel bei mir dadurch bemerkbar, dass ich echt Probleme habe, mich ganz in Ruhe mit einem Buch zurückzuziehen, in die Geschichte oder das Metier einzutauchen und mich längere Zeit darauf zu konzentrieren. Mich einzulassen. Und ganz ehrlich: Es entspricht ja auch unserer echt eng getakteten, knappen Zeit, digitale Lesehäppchen zu konsumieren.

Vielleicht muss man sich diese Zeit einfach nur nehmen.

Daniela: Das stimmt. Aber das ist auch wieder leichter gesagt als getan. Ich habe selber zwei Kinder – und denen zu vermitteln, wie wichtig es ist, zu lesen, also ein echtes Buch in die Hand zu nehmen, und das länger als ein paar Minuten, das ist gar nicht so leicht. Vor allem wenn man selbst nicht oft dazu kommt.

Ist das dein Antrieb, die Literaturo zu organisieren?

Daniela: Ja, unter anderem. Bücher sind etwas ganz Wunderbares, sie eröffnen einem Welten. Man kann natürlich sagen: es sind doch die gleichen Buchstaben, egal, ob man die gedruckt oder digital liest – aber ich finde, es ist einfach ein riesiger Unterschied. Bücher sprechen alle Sinne an – nicht nur die Augen. Ja, auch die Augen, aber Bücher fassen sich auch gut an, sie riechen nach Papier, Pappe, Leinen, manchmal auch nach Staub und dem Muff der Jahrzehnte. Es ist ein körperliches Erlebnis, ein Buch zu halten, es aufzuschlagen, darin zu blättern. Ich finde es unglaublich wichtig, das den nächsten Generationen wieder bewusster zu machen und weiterzutragen. Lesen bildet nicht nur und macht unglaublich viel Spaß – Lesen ist einfach der Schlüssel zu allem! Deshalb die Literaturo – und da stecke ich jetzt mitten in den Vorbereitungen.

Die Vorbereitungen sind in vollem Gange

Die wahrscheinlich nicht ohne sind.

Daniela (lacht): Nein, mit Sicherheit nicht. Gerade bastele ich an einem begleitenden Podcast – „Schön und gut – das junge Buch“, geht Mitte März zur leider abgesagten Leipziger Buchmesse und zur abgesagten lit.Cologne online. Außerdem hatten wir anfangs geplant, das Festival über vier Tage, Donnerstag bis Sonntag, laufen zu lassen. Dann kamen immer mehr großartige Leute und Organisationen dazu, die gesagt haben: „Hey, wunderbar, ihr habt mit der Villaturo ein tolles Gebäude und einen tollen Plan, wir machen mit!“ Und jetzt ist eine ganze Woche daraus geworden. 9. bis 15. November, eine Woche lang Lesungen, Events, Workshops, Kreativimpulse für Kleine und auch Große.

Sieben Tage durch, das klingt nach einem Riesenprogramm.

Daniela: Ja, das wird eine ganze Menge werden, im Moment wächst das auch noch jeden Tag! Aber das Tolle ist, dass die Villaturo – also das Gebäude der Arturo Schauspielschule in der Kölner Südstadt – einfach eine Menge Platz und Möglichkeiten bietet. Wir haben drei Bühnen, 15 große Workshopräume, viel Platz davor und dazwischen – und auch noch einen riesigen kostenlosen Parkplatz direkt vor der Tür. Die Villaturo ist einfach DAS Gebäude für sowas! Und uns war von Anfang an wichtig, dass wir etwas Neues anbieten. Etwas, das denen, die dabei sind, Lust macht, sich selbst auszuprobieren in jeder Form des Geschichtenerzählens – deshalb ist unser Motto ja auch: Lass uns Geschichten machen!

Austausch und Partizipation steht im Vordergrund

Was heißt das konkret?

Daniela: Ich möchte gern erreichen, dass die Kinder und Jugendlichen mit Autoren, Illustratoren und anderen Machern im Bereich Kinder- und Jugendbuch direkt in den Austausch kommen. Das passiert jetzt schon im Podcast, denn den moderieren und gestalten Kinder und Jugendliche, und sie sprechen mit Kinder- und Jugendbuchmachern. Bei der Literaturo im November wird es dann konsequenterweise auch nicht nur klassische Lesungen geben, die das Publikum passiv konsumiert, danach nach Hause geht und bestenfalls denkt „Das war jetzt aber echt nett“. Herzstück der Literaturo sind die Workshops und Mitmachangebote. Es wird natürlich Schreibwerkstätten geben wie den „Club der jungen Dichter“, dann machen wir Comicworkshops, produzieren Hörspiele und Hörbücher im hauseigenen Tonstudio, wir Podcasten, erzählen Videogeschichten und bieten zum Beispiel unter „Wortkunst“ Sachen an wie Poetry Slam-Workshops oder HipHop und Rap. Denn das ist ein sehr kreativer Angang, mit Wörtern, Texten und eigenen Themen umzugehen, gerade für Jugendliche und junge Erwachsene! Das Wort „Leseförderung“ brauchen wir dann gar nicht mehr vor uns herzutragen wie eine Monstranz – denn das passiert total automatisch. Na klar muss man seine Texte lesen können, wenn man auf die Bühne geht und slammt. Und Eltern, Familie, Freunde können sich im Anschluss an die Workshops dann auch gleich ein Bild davon machen, was die Teilnehmerinnen und Teilnehmer so gemacht haben den ganzen Tag.

Und die Kinder sollen dadurch was genau lernen?

Daniela: Lernen klingt immer gleich nach Schule – dass sich da die Lust in Grenzen hält, kann ich gut nachvollziehen (lacht)… Es geht um den Spaß, die Freude am Umgang mit Sprache, Wörtern, Literatur. Wenn du eine Geschichte im Kopf hast, dann schreib sie doch einfach auf! Trau dich! Zeichne sie! Gib deiner Geschichte eine Stimme, gib ihr ein Gesicht, einen Text. Und dann sei stolz auf dich und deine Idee und vielleicht magst du dich auch auf unsere Bühne in der Villaturo stellen, ins Rampenlicht, um deine Geschichte zu erzählen oder vorzulesen. Oder vorzutanzen. Oder am iPad live zu zeichnen, was wir dann per Beamer an die große Wand projizieren, damit es alle sehen können. Es wird so viele Möglichkeiten geben, sich kreativ und aktiv auszutoben bei der Literaturo, Neues auszuprobieren, dass wirklich für jede und jeden das Passende dabei ist. Grenzen gibt es ja meistens nur im Kopf – und das auch meistens erst, wenn wir erwachsen werden. Die Experimentierfreude bei Jüngeren ist ja dann meistens doch noch ausgeprägter; übrigens sprechen wir zwar schon hauptsächlich Kinder und Jugendliche an, ab Kindergartenalter bis zum Abi, aber es wird auch Events und Talkrunden geben für Eltern, Lehrer, Erzieher, Multiplikatoren – und natürlich auch Sachen zum Mitmachen.

Sprache auf verschiedenen Ebenen erleben

Also doch eine Menge mehr als ein Lesefest…

Daniela: Das Festival soll natürlich nicht nur die Lust am Lesen steigern, auch wenn das die Hauptintention ist. Aber die Kinder, Jugendlichen und auch die Erwachsenen sollen spüren und erfahren, was man mit Sprache alles erreichen kann. Im Positiven wie auch im Negativen: Welche Macht kann sie ausüben und was wird alles durch Sprache gesteuert? Wie kann man durch Sprache und Worte manipulieren und wie kann ich mich davor schützen? Das hat dann auch wieder einen aktuellen gesellschaftlichen Anstrich, wenn man sich die Entwicklungen der letzten Jahre so ansieht – Stichwort Fake News.

Und auch das wird den Kindern und Jugendlichen dann vor allem durch die Workshops nähergebracht?

Daniela: Genau, das Programm entwickelt sich ja gerade noch, wächst jeden Tag. Und das Ganze soll auch etwas Verwunschenes an sich haben, was die Liebe zur Sprache tranportiert und spürbar macht, was anregt und Spaß macht. Es wird zum Beispiel einen verzauberten Raum geben mit Namen „Merlantis“, in den man in eine echte Zauberwelt abtauchen kann. Und den „Himmelbau“-Raum – da sind Tagträumereien in kuscheligen Leseecken möglich. Zeit und Ruhe inmitten von Bücherbergen. Es wird unter anderem auch einen Vorlesewettbewerb für Väter geben – das machen wir zusammen mit der Stiftung Lesen. Denn die haben ja herausgefunden, dass die meisten Väter nicht oder nur sehr selten vorlesen. Kann doch nicht sein, haben wir uns gedacht – also gibt’s jetzt den Wettbewerb. Zu den Preisen will ich noch nichts verraten – nur soviel: die sind natürlich grandios großartig und ganz gigantisch.

Da bin ich mir sicher. Wird es denn auch die Möglichkeit geben, Bücher vor Ort zu erwerben? Oder soll alles selbst geschrieben werden?

Daniela: Viel, viel Selbstgeschriebenes und in anderer Form Selbstgemachtes – aber klar kann man auch fertige Bücher kaufen. Und es wird auch einen Bücherflohmarkt geben mit Schätzen zum kleinen Preis. Zum Wochenende hin wird die Literaturo zum Familienfest mit Marktplatz inkusive Mitmachaktionen – und einem großen Laternenfest am Samstag Spätnachmittag, wir sind da ja in der St. Martins-Woche, da können alle Kinder, die wollen, gern nochmal ihre Laternen mitbringen und zum Leuchten bringen.

Mein erster Gedanke ist nun: Okay, damit triffst du am ehesten die, die sowieso schon lesen. Wie wollt ihr die Nicht-Leser abholen?

Daniela: Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Kreativimpulse jede und jeden ansprechen. Das ist so variantenreich und vielfältig, dass wirklich alle etwas Interessantes finden können. Und ich bin auch fest davon überzeugt, dass die Faszination für gut erzählte, geschriebene Geschichten nach der Literaturo gewachsen ist…und dass damit vielleicht nicht nur die gepackt werden, die eh schon viel mit Sprache, mit Büchern und mit Lesen zu tun haben – sondern auch die, die bisher wenig Lust dazu hatten. Das wäre ganz toll!

Zeiten:

9. bis 15. November 2020

Preise:

Eintritt und Teilnahme:
Kostenlos

Kontaktdaten und Informationen:

Literaturo
Webseite: www.literaturo.de 
Podcast:
„Schön und gut – das junge Buch“ ab 14. März auf allen gängigen Plattformen
Social-Media: @literaturo2020
E-Mail: hallo@literaturo.de
Telefon: 0177 – 72 12 120

Daniela Tepper

  • Geboren am 12. Dezember 1972
  • 1993: Studium der Physik
  • 1994 – 2000: Studium der Politikwissenschaften, Soziologie, Philosophie
  • 1998 – 2000: Volontariat Radio Bonn/Rhein-Sieg
  • seit 2000: Freelancerin bei verschiedenen Rundfunkanstalten
  • seit 2016: Gründerin und Inhaberin des Salontheater Köln
  • seit 2017: Redakteurin Deutschlandfunk Zentrale Nachrichten
  • seit 2018: Trainerin für Mikrofonsprechen und Rhetorik an der Arturo Schauspielschule Köln
  • seit 2018: Gründerin und Inhaberin „Wort und Stimme“ – Agentur für Podcast, Hörspiel und Wortkunst
  • seit 2019: Gründerin und Inhaberin „Himmelblau-Verlag“

Fotos: Daniela Tepper

Diesen Artikel weiterempfehlen: