Die Volksbühne und die Corona-Krise

Die Volksbühne am Rudolfplatz nimmt eine Sonderstellung in der Kölschen Theaterszene ein. Während gängige Theater zumeist den Ausfall eigener Veranstaltungen zu beklagen haben, bedeutet die Corona-Krise für das Haus, das überwiegend als Gastspielhaus agiert, vor allem einen erheblichen organisatorischen Mehraufwand. Die Umdisponierung bereits geplanter Vorstellungen auf neue Termine wirft den Spielplan komplett um, Neufindungen erweisen sich alles andere als leicht. Doch das Theater hat ein Ass im Ärmel. Und das kommt in der kommenden Spielzeit zum Vorschein. Wir haben mit dem verantwortlichen Programmplaner und Geschäftsführer der Volksbühne, Axel Molinski, gesprochen und uns umgehört, wie sich die aktuelle Situation auf das Haus auswirkt.

Rheinerlei: Herr Molinski, wie geht es Ihnen und der Volksbühne derzeit?

Molinski: Ganz gut. Die Situation ist natürlich merkwürdig und auf Dauer belastend, aber es bringt ja nichts, jetzt den Kopf hängen zu lassen. Positiv ist allerdings, dass jeder zur Zeit eine extrem hohe Erreichbarkeit hat. Sind ja alle zu Hause. Immerhin etwas.

Eine neue Spielstätte für die Volksbühne

Was bedeutet die Krise denn explizit für die Volksbühne?

Die ganze Situation ist eine Katastrophe für uns. Da wir ein Haus sind, das, anders als andere Theater, vor allen Dingen Veranstaltungen vermietet, sehen wir uns derzeit mit einem riesigen Organisations-Prozess konfrontiert. Unser Spielplan besteht zu etwa 80 Prozent aus gemieteten Veranstaltungen, der Rest sind Gastspiele. Das heißt, die Termine sind schon auf lange Zeit festgeschrieben, verschieben oder nachholen geht nicht so einfach. Ich vergleiche das momentan gerne mit einem Rangierbahnhof: Veranstaltungen sind ausgefallen und warten nun auf ihren Einsatz. Wir müssen also viel koordinieren, derzeit sitze ich 15 Stunden am Tag im Büro und versuche das alles zu regeln.

Was ist denn der aktuelle Plan? Werden die Veranstaltungen nachgeholt oder fallen sie einfach aus?

Bis Juni 2021 haben wir nur ganz wenige freie Plätze in unserem Spielplan frei, wir sind ziemlich ausgebucht. Also haben wir uns nun gefragt: Wie kriegen wir trotzdem alle Veranstaltungen unter? Und dann kam die Idee: Wir eröffnen einfach eine neue Spielstätte! So können wir alle Veranstaltungen, die derzeit ausfallen, nachholen. Von Oktober 2020 bis März 2021 werden wir deswegen, aller Voraussicht nach, eine zusätzliche Bühne bespielen, parallel zu der am Rudolfplatz. Wir befinden uns derzeit noch in den Planungen, aber es sieht gut aus, dass das klappen wird.

Veranstaltungen werden nachgeholt, Tickets behalten ihre Gültigkeit

Eine neue Spielstätte? Wo denn?

Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen, weil noch nicht alles in trockenen Tüchern ist. Sobald alles steht, werden wir umgehend darüber informieren. Was aber feststeht ist, dass die Tickets für ausgefallene Veranstaltungen ihre Gültigkeit behalten und auch bei den nachgeholten Terminen eingelöst werden können – sofern sie denn nachgeholt werden, das hängt natürlich auch von den Gruppen ab, die ursprünglich bei uns auftreten wollten. Zudem schlagen wir damit gleich drei Fliegen mit einer Klappe. Wir können unsere Verschiebemöglichkeiten erhöhen, erhalten also zusätzliche Ressourcen. Außerdem planen wir, zusätzliche Formate und Angebote, für die wir sonst keine Termine frei hätten, dort anzubieten. Und wir wollen die Bühne darüber hinaus für die Freie Szene öffnen und ihr so die Chance geben, sich über die nächsten Monate hinweg von dieser Krise zu erholen.

Das bedeutet aber auch einen zusätzlichen Kostenmehraufwand, oder nicht? Die Einnahmen für die betroffenen Veranstaltungen sind ja größtenteils schon geflossen.

Ja, grundsätzlich ist das so, aber wir werden ja auch neue Formate und Termine in den Spielplan einbauen. Und wir hoffen natürlich, dass jetzt noch ein paar mehr Menschen darauf aufmerksam werden.

Neue Interviewreihe „Einen Flügel Abstand“ 

Apropos neue Formate: Die Volksbühne hat in Zusammenarbeit mit der Kölnischen Rundschau das Format „Einen Flügel Abstand“ an den Start gebracht. Was hat es damit auf sich?

Wir haben uns natürlich auch als Theater gefragt, was wir nun machen und wie wir mit unseren Gästen in Kontakt bleiben können. Wir wollten auch weiterhin präsent sein und über Nöte und Ängste sprechen, die aktuelle Lage aufgreifen. Also haben wir ein Veranstaltungsformat auf die Beine gestellt, in dem wir auf unserer Bühne mit bekannten Kölschen Persönlichkeiten sprechen und bei dem auch alle Abstandregelungen eingehalten werden. Zwischen den Interviewpartnern steht nämlich ein Flügel, deswegen auch der Name des Formats. Wir hoffen, dass das Format auch langfristig und über die Krise hinaus Relevanz haben wird. Denn jeder hat eine eigene Botschaft und wir möchten unseren Beitrag dazu leisten, diese Botschaften unter die Menschen zu bringen und auch in Friedenszeiten zu mahnen und zu erinnern. Insgesamt werden 16 Folgen veröffentlicht.

Wenn Sie schon darüber sprechen, dass auch in Zeiten nach der Krise erinnert und gemahnt werden muss, mit welchen Auswirkungen rechnen Sie denn im Hinblick auf die Kulturszene für die Zeit nach den Corona-Maßnahmen?

Ich gehe davon aus, dass es vor allen Dingen psychische Hemmungen geben wird, die das Theater als Stätte der Begegnung zunächst einmal obsolet erscheinen lassen. Das wird voraussichtlich insbesondere für die ersten Wochen nach Lockerung der Ausgangsbeschränkungen gelten. Dazu kommt, dass weniger Menschen finanzielle Kapazitäten für kulturelle Veranstaltungen zur Verfügung haben werden. Es wird sich vieles ausdünnen, vieles wird wegbrechen.

Kultursterben als große Gefahr

Und das sehen Sie positiv?

(lacht, mit saurem Unterton) Mitnichten. Das Urania Theater, das seinen Betrieb nun für zwei Jahre eingestellt hat, ist doch das beste Beispiel dafür, dass jetzt viele Einrichtungen um ihr Überleben bangen müssen. Jetzt kommt, was unvermeidlich ist: Die Großen fressen die Kleinen. Das wird sich vor allem auf langfristige Sicht zeigen, weil selbst externe Mittel endlich sind und die Theater nun Wege finden müssen, die Umsatzverluste zu kompensieren. Dessen zum Trotz muss die Stadt, das Land und der Bund mehr Hilfe zur Verfügung stellen, um die Kulturlandschaft in der Stadt – und in ganz Deutschland – zu retten.

Der am 26. März erlassene Hilfsfonds der Stadt Köln ist nur für sowieso schon subventionierte Theater zugänglich. Für die Volksbühne fällt dieser Notgroschen als nicht-subventioniertes Theater also flach.

Stimmt. Wir haben aber das Glück, dass die letzten Monate sehr erfolgreich waren und dass wir gut gewirtschaftet haben. Aber eine jede Rücklage ist irgendwann mal aufgebraucht und so hoffen wir, dass wir bald wieder öffnen können. Dass der Nothilfefonds in der Sache gut ist, das ist keine Frage. Dass er aber nur ohnehin schon subventionierte Einrichtungen auffängt, das ist eine Zumutung. Damit wird dem Kultursterben kein Riegel vorgeschoben, er wird nur fester gezogen.

Im Kölner Stadtanzeiger haben Sie sich kritisch gegenüber dem Umgang der Stadt mit der Krise geäußert. Das war jedoch zu Beginn der Krise, als das Ausmaß jener noch nicht abzuschätzen war. Sind Sie mit ein bisschen Abstand zu einem anderen Schluss gekommen?

Nicht wirklich. Die Taktik, die die Stadt zu Beginn der Krise gefahren ist, war eine Salamitaktik. Es gab irreführende Hinweise, keine klaren Regelungen. Wir hätten uns gewünscht, dass sich die Stadt klar positioniert, sodass man sich besser hätte orientieren können. Mittlerweile ist zwar alles klar, aber dieses Schwammige hat mir nicht gefallen. Dazu der begrenzte Nothilfefonds, das ist alles sehr fragwürdig.

Drei Optionen für Wiedereröffnung

Nun wurden die Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung bis Anfang Mai verlängert. Welchen Plan haben Sie zur Wiederöffnung in petto?

Wie alle anderen können auch wir natürlich noch nicht einschätzen, wann wir wieder öffnen. Wir haben allerdings drei Optionen zur Auswahl, sodass wir auf Knopfdruck wieder hochfahren können. Entweder wir öffnen Anfang Mai, Anfang Juni oder Anfang Juli. Jetzt heißt es aber erstmal abwarten, wie sich die Situation entwickelt. Und im Oktober eröffnen wir dann hoffentlich noch die zusätzliche Spielstätte. Übrigens sind wir in einer Sache komplett gegen den Strom geschwommen: Wir haben uns nämlich im Zuge der Krise eine neue Reinigungsanlage angeschafft, die unser Parkett und unsere Teppiche blitzeblank macht. Darauf können sich unsere Gäste schon freuen, das Haus wird bei Wiedereröffnung wie neu aussehen.

Ist das nicht eine Investition, die derzeit zu hohe finanzielle Ressourcen verschlingt?

Die Anschaffung war schon von langer Hand geplant, auch schon vor Corona. Und jetzt war einfach der richtige Zeitpunkt. Unsere Finanzabteilung hat die Investition abgesegnet – und so teuer, wie man im ersten Moment vielleicht denkt, war die Maschine auch gar nicht.

Kurzarbeit als gängiges Modell, Gehaltsdifferenz wird aufgefangen

Das klingt wirklich ungewöhnlich für die derzeitige Situation. Viele Unternehmen haben Probleme mit ihren Fixkosten. Haben Sie diesbezüglich Absprachen und Regelungen getroffen und konnten Sie die Fixkosten für einen bestimmten Zeitraum gar einsparen?

Da uns die Einnahmen wegfallen, sind die Fixkosten für uns natürlich auch ein Problem. Zum Glück hat das bisher alles sehr gut funktioniert. Es war eines unserer ersten Anliegen, die Fixkosten zu senken. Der Vermieter hat sofort eine große Bereitschaft gezeigt, uns da entgegenzukommen. Zudem hat die Rheinenergie umgehend reagiert und die Zahlungen gestundet. Das ist für den Moment natürlich eine große Hilfe.

Wie verfahren Sie denn in dieser Krise mit ihren Mitarbeitern? Ich selbst bin in Kurzarbeit. Haben Sie ähnliche Vorkehrungen getroffen?

Größtenteils haben wir Kurzarbeit angemeldet, einige Mitarbeiter arbeiten jedoch noch weiter, um den hohen Verwaltungsaufwand abzuarbeiten.

Die Gehaltsdifferenz, die verloren geht, beträgt im Durchschnitt 40 Prozent. Das ist so, als wäre man arbeitslos und gerade für Menschen, die unverschuldet in diese Situation gekommen sind, ist das ein herber Verlust. Fangen Sie die Differenz auf?

Ja. Wir stocken die Gehaltsdifferenzen bei den Mitarbeitern, die von der Kurzarbeiterregelung betroffen sind, aus der eigenen Tasche auf 100 Prozent auf. Das geht aber auch nicht für immer gut, das ist uns bewusst. Auch hier sollte der Staat tätig werden.

Volle Konzentration auf zweite Sommerbespielung

Wie sieht das denn jetzt mit den geplanten Sommerbespielungen aus? Die erste Sommerbespielung überhaupt konnte im letzten Jahr mit „The Show Must Go Wrong“ einen immensen Erfolg verbuchen. Wie gehen Sie da vor?

Der Plan war ja, in diesem Jahr zwei Sommerbespielungen abzuwickeln – „Das Sherlock Musical“ des Urania Theater-Ensembles, welches im Juli laufen sollte, sowie „It`s my Musical“ des Springmaus Theaters, das für den August auf dem Spielplan steht. „Das Sherlock Musical“ fällt nun aufgrund der Situation des Urania Theaters gänzlich aus, die Tour wurde abgesagt. Und dieser Ausfall ist extrem schade, gerade weil der Gedanke, der dahinter stand, die Zusammenarbeit und die gemeinsame Aufführung zweier unterschiedlicher Häuser, damit zunichte gemacht wird. Das ist bitter.

Und was ist mit der zweiten Sommerproduktion?

Darauf liegt nun unsere volle Konzentration! Wir hoffen an den Vorjahres-Erfolg anknüpfen zu können, aber wir sind guter Dinge – Hoffnung gibt es immer. Der Begriff der Krise leitet sich nicht ohne Grund von dem altgriechischen Wort krísis ab – und das bedeutet, dass eine Krise immer der Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung ist. Und daraus ergibt sich meist nur Gutes.

Foto 1+2: Die Volksbühne am Rudolfpatz ist geschlossen, alle Veranstaltungen sind abgesagt. 
Foto 3: Digitalfotografie Fischer – Axel Molinski

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Anmerkung: Wir führten das Interview am 9. April 2020, aufgrund der aktuell täglich wechselnden Gemengenlage können wir keine Gewähr auf eine 100%-ige Aktualität der hier gegebenen Aussagen geben.

Anmerkung zur Interviewreihe „Einen Flügel Abstand“:
Die Interviewreihe ist auf der Webseite der Kölnischen Rundschau einzusehen. Die jeweiligen Videos sind 24 Stunden nach Veröffentlichung kostenfrei zugänglich, danach fallen sie unter das PLUS-Abonnement der Rundschau. Ihr findet die Interviews hier: „Einen Flügel Abstand“ – Kölnische Rundschau

Anmerkung zum Theater12:
Vom 13. bis zum 16. Mai hätte die Theatergruppe Theater12 die Inszenierung „Die Hex vun Ihrefeld“ aufführen sollen. Was bedeutet die Situation für sie? Unser Interview mit der Gruppe findet ihr hier: „Et kumme widder bessere Zigge!“ – Ein Interview mit dem Theater12

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