Das Elend der menschlichen Natur – abgeladen auf der jüdischen Gemeinschaft
Hinterher wollte es keiner gewesen sein. Verantwortlich für Verfolgung und Ermordung der Juden waren ja die Nazis – man (oder frau) selber war ja keiner. Dass das nur ein Stehlen aus der Verantwortung war, zeigt die Sonderausstellung „Einige waren Nachbarn: Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand“ im NS-Dokumentationszentrum. Nach Verlängerung nur noch bis zum 30. Mai zu sehen, coronabedingt nur im Internet.
Die Ausstellung ist eine Übernahme des United States Holocaust Memorial Museums in Washington/USA. Sie zeigt, wie das NS-Regime funktionieren konnte, wie auch „gewöhnliche“ Menschen das System unterstützten, die keine Parteimitglieder oder Funktionsträger waren. Das gilt nicht nur für Deutsche, sondern auch für Einwohner der besetzten Länder. In vielen ist die antijüdische Kollaboration – sei es staatliche oder individuelle – bis heute ein Tabu. Dänemark ist da eine bemerkenswerte Ausnahme: Das besetzte Königreich hat sich von Anfang an und dauerhaft geweigert, antijüdische Maßnahmen zu ergreifen.
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Schleichender Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“
22 Texttafeln mit historischen Fotos sorgen für eine nüchterne Ausstellungsarchitektur. Grob chronologisch aufgebaut, spiegeln sie den allmählichen Ausschluss aus der „Volksgemeinschaft“ wieder – nicht nur der Juden, sondern auch der Roma und Sinti, von Zeugen Jehovas, Homosexuellen und Menschen mit Behinderung.
Für den Berliner Frauenverein, der Frauen mit sozialen und gesundheitlichen Problemen unterstützte, war es kein Widerspruch, Juden den Zutritt zu seinen Vereinsheimen zu verbieten. Die Zerstörung jüdischer Geschäfte war für viele ein sehenswürdiges Spektakel. Nicht selten wurden die Läden anschließend geplündert. Sensationslüstern begafft wurde auch der Abtransport von Juden. Und viele bereicherten sich ganz legal am Besitz der Deportierten.
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In der Mitte des Ausstellungssaales eine Monitorsäule für drei historische Filmdokumente. Dort ist etwa zu sehen, wie eine schlesische Dorfgemeinschaft einen 19-jährigen deutschen Landarbeiter und eine 16-jährige polnische Zwangsarbeiterin durch ihre Gemeinde treiben. Beide hatte eine verbotene Beziehung, dem Mädchen wurden die Haare geschnitten, es musste ein Schild tragen mit der Aufschrift „Ich bin ein polnisches Schwein“. Er wurde als „Verräter an der Volksgemeinschaft“ gebrandmarkt. Kinder mit Posaunen umtanzen den kleinen Trupp.
Widerstand war möglich – auch ohne negative Folgen
Dass viele Menschen sich aus Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Kriminalisierung dem System anpassten, wird in dieser Ausstellung nicht abgetan. Doch gibt sie auch Beispiele für Widerstand – und wenn es nur die Umarmung einer jüdischen Nachbarin vor dessen Deportation ist. Ein Zeichen von Menschlichkeit, das keine negativen Folgen hatte. Gefährlicher war es, Juden zu verstecken. Doch auch hierfür sind Beispiele zu sehen.
Die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum ist eine wichtige Ergänzung zur Ausstellung „Köln nach 1945“ (Wir berichteten), bei der die letztlich aus politischen Gründen abgebrochene „Entnazifizierung“ ein wichtiges Kapitel ist – beide sind derzeit coronabedingt nur im Internet zu „besuchen“. (www.museenkoeln.de)
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Foto: Jürgen Schön – „Einige waren Nachbarn: Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand“: Blick in die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum
Zeiten:
Bis zum 30. Mai 2021
Online unter:
https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/rundgang/rundgang.aspx?rnr=A_46_01&lang=de
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
NS-Dokumentationszentrum
Adresse: Appelhofplatz 23-25, 50667 Köln
Webseite: www.museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appellhofplatz