Die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg waren geprägt von paradoxen Lebensgefühlen. Auf der einen Seite stand der Wiederaufbau, die Rückholung gefangener Soldaten und die Trauer verloren gegangener, geliebter Mitmenschen. Zugleich war sie aber auch die Zeit eines florierenden Wirtschaftswachstums, erstarkender Zuversicht und dem Willen eine Gesellschaft aufzubauen, welche die Kriegsschrecken hinter sich lässt. Paradoxe, Kontraste und Gegensätze, Mittel, derer sich Fiona Taan für die Ausstellung GAAF bediente, um Wirklichkeitsbilder gegeneinander abzuwägen und die anlässlich der diesjährigen Internationalen Photoszene Köln (die schon vorbei ist) im Museum Ludwig aufgebaut wurde. Eine Ausstellung, die euch in eine Zeit zurückwirft, die paradoxer kaum hätte sein können. Diesen Anschein erweckt zumindest die Ausstellung…

Auf dem Rücken eines in Badehose gekleideten Mannes sitzt eine Frau im gelben Outfit. Sie lächelt in die Kamera und macht den Eindruck, als würde sie in diesem Moment nichts lieber machen wollen. Ist das ein spontaner Schnappschuss? Oder ist er gestellt? Um ehrlich zu sein: die Antwort auf jene Fragen erkennt man wahrscheinlich auf den ersten Blick. Und doch sollte mit der Aufnahme genau das erreicht werden. Es sollte ein Bild entstehen, das spontan wirken und dem Betrachter eine heile Welt vorgaukeln sollte. Trümmerfrauen? Die gab es nie. Schaut her, wir sind gut gelaunt und uns kann kein Wässerchen trüben. Vergesst euren Alltag und kauft vermaledeit nochmal das Produkt, das wir hier bewerben!

Solche Aufnahmen sind in der Werbeindustrie gang und gäbe. Wer von uns stand noch nie bei einer der größten Fast-Food-Ketten der Welt an der Theke und bedauerte, dass der Cheeseburger nicht genauso aussieht wie der, der in der Werbung war? Derartige Werbebilder sind Lustmacher, Hinter’s-Licht-Führer und gewiefte Lügner; und Fiona Taan deckt in ihrer Ausstellung ebenjene Paradigmen werbebezogener Darstellungskonflikte schonungslos auf und führt die Ignoranz und Gewissenlosigkeit solcher Aufnahmen gewissermaßen vor Gericht.

Entnommen dem Agfacolor Werbearchiv, das Teil der fotografischen Sammlung des Museums ist und welches in den Jahren 1952 bis 1968 für Werbezwecke des Unternehmens Agfa entstand, nimmt sie sich mit der Inbezugnahme von für Werbemaßnahmen produzierte Bildaufnahmen konstruierte Welten zur Brust, öffnet mit ihnen vom Konsum wund gescheuerte Augen und weckt damit sowohl Bewusstsein gegenüber gefakten Darstellungen, sie lässt gleichermaßen aber auch in eine heile Welt der Nachkriegszeit eintauchen, wie sie nach außen hin kommuniziert wurde, wie sie teilweise auch war, welche aber die Lasten und Herausforderungen jener Zeit gleichmütig zur Seite schob.

Gegenübergestellt werden diese Fotos mit Fotos jener Periode, die eine unverblümte Wahrheit in sich tragen und die ein zerstörtes und im Wiederaufbau befindliches Deutschland zeigen. Tan holte nämlich ebenso Fotos von Ernst Hass, Heinz Held und Martin Hansch aus dem Archiv und vergleicht somit zwei Welten miteinander, die im Schein und Sein unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ergänzt um eigene Arbeiten, wie beispielsweise der Collagenarbeit Vox Populi, die nunmehr zur ständigen Sammlung des Museums gehört und die echte Schnappschüsse von Menschen beinhaltet, die nicht immer in ihrem besten Moment fotografiert wurden, stellt sie somit die Unverrückbarkeit realitätsgetreuer Abbildungen in den Vordergrund und zieht die für Werbeaufnahmen produzierten Bilder gar ein wenig in den satirischen Diskussionsbereich. Anhand dieser Konfrontation bildgewaltiger Ergüsse überlässt die Ausstellung euch selbst die Entscheidung, welchen Darstellungstypen ihr euch vertrauter fühlt und mit welcher Wirklichkeit ihr euch lieber betten möchtet.  

Mit [ɣaf] (Anmerkung: die niederländische phonetische Schrift des Begriffes „gaaf“, der zugleich ein Anagramm des Wortes Agfa ist) prallen zwei Welten aufeinander, die sich in ihren Wirklichkeitsbildern konterkarieren. Ist solch eine Ausstellung in der heutigen Zeit überhaupt noch notwendig? Nutzt nur die Werbung solche Muster oder lassen sich ebenjene auch auf andere Bereiche übertragen? Es sind Fragen, die die Ausstellung unweigerlich aufwirft und deren Beantwortung im selben Moment gelüftet wird. Und sogleich wird klar, dass wir alle nur allzu gerne von Werbedarstellungen eingelullt werden. Bin ich der einzige, der jetzt Hunger auf einen Cheeseburger hat?
Wir wünschen euch viel Spaß.

Foto 2: Agfa Werbeaufnahme, 1950/60er-Jahre, Archiv Museum Ludwig

Zeiten:

noch bis zum 11. August 2019

Preise:

Eintritt des Museums:
Erwachsene:
11,00 €
Ermäßigt:
7,50 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Museum Ludwig, Köln
Adresse: Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln
Telefon:
0221 – 221 261 65
Webseite: www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/fiona-tan.html
KVB:
Linien 5,16, 18: Dom/Hbf
Linie 5: Rathaus

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