Wie grün kann eine Ausstellung sein?
Angesichts der drohenden Klimakatastrophe sorgen sich zunehmend mehr Menschen um die Pflanzenwelt auf dieser Erde. Ein kleines Déjà-vu: Vor rund 100 Jahren weckte sie schon einmal auf neue Art das Interesse der Menschen, nicht zuletzt der Stadtbewohner. Wie sich das in der Kunst widerspiegelte, zeigt jetzt die Ausstellung „Grüne Moderne. Die neue Sicht auf Pflanzen“ im Museum Ludwig.
In den engen Städten standen Topfpflanzen in den Fenstern. Wer das Geld hatte, stellte sich – so zeigen es Fotos – groß wachsende Pflanzen in die großzügig und modern ausgestatteten Wohnzimmer. Am besten solche aus fernen Ländern, die Exotik ins eigene Heim brachten. Die Comedian Harmonists besangen den „kleinen grünen Kaktus“ – und ein großes Gewächshaus in Hannover sorgte dafür, dass jeder sich einen kleinen Stachelkopf leisten konnte.
Pflanzen sind vielfältige Symbole
Ohne Pflanzen ist Leben nicht denkbar. Sie erfüllen Wünsche, symbolisieren Gefühle, stehen für gesellschaftlichen Status. Klassische Themen der Kunst, wie sie auch diese Ausstellung aufgreift. Alfred Eisenstaedt fotografierte eine selbstbewusste Marlene Dietrich mit Zylinder und Zigarette – und einer großen weißen Chrysantheme am Revers. Der Dandy kleidet sich mit einem Rosenhemd. Stillleben – etwa von Otto Dix oder Karl Schmidt-Rotluff – zeigen, wie Blumen Farbe ins Leben brachten.
Eigentlich also nichts allzu Neues. Neu dagegen – so die Grundthese dieser Ausstellung – dass Pflanzen im frühen 20. Jahrhunderts als Lebewesen entdeckt wurden. Und neue Techniken, die dem Künstler zur Verfügung standen. Wie eben die Fotografien, die etwa Carl Blossfeldt seine faszinierenden und revolutionären Detail-Aufnahmen ermöglichte.
Der Zeitraffer macht Pflanzen lebendig
Und der Film, hier besonders die Erfindung des Zeitraffers, wie er in „Das Blumenwunder“ aus dem Jahr 1926 eingesetzt wurde. Der Film zeigt über 60 Minuten etwa wie Keime dem Licht folgen, wie sich Ranken Halt suchend durch die Luft winden oder wie sich Blüten entfalten. Dank Zeitraffer werden Pflanzen hier zu lebendigen, sich bewegenden Wesen. Allein 105 Tage wurde das Wachsen einer Tabakpflanze beobachtet – und zu wenigen Minuten zusammengefasst.
Eine Balletttruppe „kommuniziert“ mit diesen Bewegungen, Schauspieler und Schauspieler greifen sie auf. Eine Hyazinthe wird zur Tänzerin. Vor der endgültigen Vermenschlichung schreckt der Film dann allerdings doch zurück: Ein „Lied vom Werden und Vergehen“ wird zwar angekündigt, dann aber doch nicht in bewegte Bilder umgesetzt. Vom Befruchten ganz zu schweigen.
Anstoß zur Diskussion über Nachhaltigkeit
Eine interessante, vielfältige Ausstellung also, die neue Blickwinkel öffnet. Wäre da nicht der Versuch, mit ihr zur notwendigen Diskussion über Nachhaltigkeit anzuregen, hier das klimaneutrale Museum der Zukunft.
Dass man stolz darauf verweist, auf dem Dach Gewürze für das Museumsrestaurant anzubauen – nun gut. Heikler wird es, wenn es um das Wesen von Ausstellungen geht. Der Besucher mag sich zunächst über die 30 der insgesamt rund 150 Exponate wundern, die mit breiten schwarzen Klebestreifen an den Wänden hängen. Diese Fotos und Gemälde sind keine Originale aus dem eigenen Bestand, sondern so deutlich als Leihgaben sichtbar gemacht, Kopien von passabler Qualität. So habe man das klimaschädliche Kohlendioxid gespart, das sonst bei deren Transport entstanden sei, erklärt Kuratorin Miriam Szwast. Wird das Museum bei künftigen Sonderausstellungen Leihgaben nur noch als Kopie zeigen? Und eigene Objekte nur noch als Kopien ausleihen?
Digitaler Katalog frisst Strom statt Papier
Schade auch, dass es einen Ausstellungskatalog nur noch im Internet gibt, um Papier zu sparen. Abgesehen davon, dass sich das Museum damit einer Einnahmequelle beraubt – wie viel Strom brauchen die Computerzentren eigentlich, die diese Informationen ständig bereit halten? Experten legen da höchst unterschiedliche Berechnungen vor.
Zum Lesen und Anfassen liegen immerhin Bücher zum Thema bereit. Und der Museumsshop hat Kakteen in sein Sortiment aufgenommen.
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Foto 1: Jürgen Schön – Regale mit Pflanzen in Gläsern empfangen den Ausstellungsbesucher.
Foto 2: absolut Medien GmbH – „Das Blumenwunder“ (Filmstill, 1926, Regie: Max Reichmann).
Foto 3: Sammlung Brokmeier, Köln, Fotograf*in unbekannt – Ein Hauch Urwald umwehte 1928 die Besucher des „Tropischen Ballsaals“ in der Flora.
Zeiten:
bis zum 22. Januar 2023
Preise:
Normal: 12,00 €
Ermäßigt: 8,00 €
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
Museum Ludwig, Köln
Adresse: Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln
Telefon:
0221 – 221 261 65
Webseite: https://www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/gruene-moderne-die-neue-sicht-auf-pflanzen.html
KVB:
Linien 5,16, 18: Dom/Hbf
Linie 5: Rathaus