Sind wir nicht alle ein bisschen Wahnsinn?
Eine ganze Spielzeit – es gab nur wenige Ausnahmen – konnten sie nicht vor Publikum auftreten. Live-Streams waren nur ein schwacher Ersatz. Jetzt stellte das Theater im Keller voller Optimismus und Energie unter dem Motto „Wahnsinn und Gesellschaft“ den Spielplan für die kommende Spielzeit 2021/22 vor: Denn geprobt und Pläne geschmiedet wurde trotz Corona. So stehen neben Wiederaufnahmen aus dem Repertoire fünf Premieren an.
„Immerhin hat die Politik erkannt, wie wichtig Kultur für die Identität eines Landes ist“, zieht Intendant Heinz-Simon Keller eine Bilanz aus den vergangenen Monaten. Man werde in Zukunft wohl nicht mehr mit Bordellen und Spaßbädern gleichgestellt. Zuletzt habe man die Theater – auch seines – dann auch finanziell unterstützt.
Aus der Corona-Pandemie die Schlüsse fürs Theater gezogen
Und es wären keine Künstler, hätten sie die pandemischen Zeiten nicht genau beobachtet und daraus Schlüsse für ihre Arbeit gezogen. „Angst und Furcht haben unser Leben bestimmt. Keiner konnte verstehen, was genau abläuft“, so Keller. So stieß man bei den Diskussionen auf den französischen Philosophen Michel Foucault, der öffnete die Augen. „Wahnsinn und Vernunft bedingen sich gegenseitig und ständig verschieben sich die Grenzen zwischen beiden“, fassen sie dessen Erkenntnis zusammen und beziehen dies auf des menschliche Verhalten während Corona. Mit jetzt vorgelegten Spielplan will das Theater-Team nun Mut machen, will zeigen wie sich der Wahnsinn vielleicht sogar vernünftig nutzen lässt für ein besseres Zusammenleben.
Dafür werden klassische Stoffe auf aktuelle Bezüge untersucht. Wie bei Tomas Manns „Zauberberg“, mit dem am 28. August die neue Spielzeit eröffnet wird. Die Geschichte eines Mannes, der sieben Jahre in einem Sanatorium lebt – auf der Flucht vor den Schrecken des Ersten Weltkriegs. Offen, ob er jemals in sein altes, „normales“ Leben zurückfindet. Und ist der Traum von „alter Normalität“ nicht höchst aktuell? Besonders freut sich Keller darüber, dass das Stück wieder von Charlotte Sprenger inszeniert wird, sonst an den großen deutschen Theatern tätig.
Für Oktober stehen zwei Premieren an. Mit „Rage“ von Simon Stephens präsentiert der Schauspielschule der Keller ihre diesjährige Abschlussarbeit: eine Silvesterfeier, bei der die Feierlaune in Aggression umschlägt. Das vor zwei Jahren gegründete „Junge Ensemble Theater der Keller“ stellt mit „Agenda“ ein generationsübergreifendes Projekt vor. Es verarbeitet autobiografische Erlebnisse von Kölnerinnen und Kölnern zwischen 16 und 60 Jahren: Geschichten über Demokratie und Bürokratie, über Armut und Reichtum, über Arbeitslosigkeit und Ausbeutung.
Wenn endlich auch Männer hysterisch sein dürfen
Hysterie galt um 1900 als die typische Frauenkrankheit. Selbst Sigmund Freud war von dieser Theorie beeinflusst. Doch können nicht auch Männer hysterisch sein, können dies nur besser verkaufen? „Die Erfindung der Hysterie“ geht dieser Frage nach, findet genau Beispiele dafür in Bühnenklassikern oder Kinohits. Auf der Keller-Bühne stellen ExpertInnen eine neue Therapieform vor, Zielgruppe: Könige, Politiker, Feuerwehrmänner und Leistungssportler – Männer eben. Die Premiere ist für Februar 2022 geplant.
Vorher greift Hausherr Keller im Dezember selber zum Regiestab und inszeniert „Rettet den Kapitalismus!“. Die „Wahnsinns-Revue“ will den „Menschen in seiner ganzen Unersättlichkeit“ vorführen und hinterfragen, ob er aus Corona, der Krise der Kirche, dem Wirecard-Skandal oder dem drohenden Klimawandel tatsächlich etwas lernt.
Kurz vor Ende dieser Spielzeit zur Premiere gekommen und nur wenige Male aufgeführt worden sind die Komödie „Das süße Verzweifeln“ und die Farce „Heidi Höcke steigt aus“. Mehr Vorstellungen davon gibt es ab Herbst. Zu den Wiederaufnahmen gehören auch „Transit“ nach dem Roman von Anna Seghers, „Fight Club“ von Chuck Palahniuk, „Der Zauberer von Oz“ nach Frank L. Baum, „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ von Joachim Meyerhoff, „Clockwork Orange“ und „Bilquiss“, 2017 mit dem Kölner Theaterpreis ausgezeichnet. Schließlich der Dauerbrenner „Terror“ von Ferdinand von Schirach, seit 2016 schon weit über 100 Mal zu sehen.
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Foto: Jürgen Schön – Heinz-Simon Keller, Chef des Theaters der Keller, plant für die kommende Spielzeit fünf Premieren.