Und unter uns die Nazis

Mit der Niederlage Deutschlands endete 1945, also vor fast 80 Jahren, der Nationalsozialismus in Deutschland. Doch bis heute hat er seine Spuren hinterlassen – etwa auf Hausfassaden, oft verwischt, trotzdem erkennbar. Auch in den Köpfen nicht weniger Menschen lebt er fort, nur wenige Neo-Nazis schaffen es, sich von rechtem Gedankengut zu trennen. Und oft genug bleiben dessen Spuren – etwa in Tätowierungen. Jakob Ganslmeier hält diese „Hinterlassenschaften“ in Fotos fest – zu sehen jetzt im NS-Dokumentationszentrum in der Ausstellung „Haut, Stein“.

Da sind zum einen die Foto-Porträts von Menschen, die aus der rechten Szene ausgestiegen sind. Die Abgebildeten hatten kein Geld für das kostspielige Entfernen der Tattoos, die als quasi offizielles und ewiges Erkennungszeichen der Zugehörigkeit geradezu Pflicht waren.

Linke Parole von Rechten gekapert

So trägt einer unter seinem Herzen, quer über den Bauch, den Spruch „Patria o muerte“ (Vaterland oder Tod) – einst von Linksrevolutionär Che Guevara geprägt, wurde er später von Rechtsextremisten übernommen. Ein anderer versteckt das Gesicht hinter seinem Ellbogen, auf dem das germanische Sonnenrad eintätowiert wurde: gleichsam ein vervielfältigtes Hakenkreuz, das dadurch nicht sofort zu erkennen ist. Ein anderer trägt es groß auf seinem Rücken.

Wer hier – ohne dass sein Name genannt wird – dem Fotografen offen sein Gesicht zeigt, dem gebührt größter Respekt für seinen Mut, denn oft genug wird Aussteigern mit dem Tod gedroht. Von Fünfen liegen mehrseitige Texte aus, in denen sie – ebenfalls anonym – ihren Ausstieg begründen. Erklärungen zu den nationalsozialistischen Symbolen können in ausliegenden Büchern nachgelesen werden.

Noch heute sichtbar: NS-Symbole auf Hausfassaden

Ganslmeiers zweites Fotothema sind NS-Symbole, die bis heute als Ornamente, Skulpturen oder Reliefs – obwohl abgeschlagen – immer noch zu erkennen sind. Da ist zum Beispiel ein Fenstergitter mit zwei schwungvoll gebogenen Hakenkreuzen. Oder über einer Tür die Silhouette eines Adlers auf einem Kreis, der vormals ein Hakenkreuz umspann.

Der Fotograf präsentiert diese Zeugnisse in Bilderpaaren: Ein Foto zeigt das Umfeld, das andere das NS-Symbol im Detail. Um den Zusammenhang zu erkennen, muss man im NS-Dok allerdings immer um die Ecke gucken. Dabei beziehen schmale Spiegel den Betrachter ein, zwingen ihn genauer hinzusehen. Wo die sechs in Köln gezeigten Beispiele stehen, wird nicht angezeigt, lässt sich aber – etwa am Beispiel Stuttgart – aus zufälligen Details erschließen.

NS-Überbleibsel werden nicht verortet

Die fehlende Verortung ist Absicht. „Weil viele dieser Orte zur sogenannten >ideologischen Schulung< von Neo-Nazis auch heute noch genutzt werden“, erklärt eine Tafel den Standpunkt des Künstlers. Oder sie dienen als deren Treffpunkt.

So verweist Ganslmeier auf Frage von Rheinerlei auf die Wewelsburg nahe Paderborn. Sie sollte zu einer zentralen ideologischen Versammlungsstätte der SS werden, 1943 wurde der Ausbau gestoppt. Heute findet sich dort ein Museum mit Gedenk- und Erinnerungsstätte. „Noch heute treffen sich im Ort Wewelsburg vor einschlägigen Häusern Neo-Nazis, um die alte Generation zu feiern“, erklärt der Fotograf.

Die Anonymisierung der Orte solle verhindern, dass Neo-Nazis auf neue mögliche Treffpunkte zur Verherrlichung der NS-Ideologie aufmerksam gemacht werden. Ob es nicht besser sei, sie bekannt zu machen, damit sie durch öffentliche Diskussion zu Orten des Gedenkens und der kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit zu machen? „Dazu hätte man in der Vergangenheit genug Gelegenheit gehabt“, so Ganslmeier.

Evangelische Gemeinde in Köln stellt sich der Schuld

Dabei gibt es in der Kölner Ausstellung ein Gegenbeispiel zu dieser Einschätzung. Das Foto zeigt die graue Silhouette eines SA-Mannes, daneben breitet ein Adler seine Schwingen aus, er sitzt auf einem Kreis, in dem ein Hakenkreuz zu erahnen ist: Beides zierte die Außenwand eines Gebäudes einst als Relief, wurde nach 1945 abgeschlagen und ist immer noch als graues Bild zu erkennen. Leicht lesbar werden Mensch und Tier vom Spruch „Wenn so die Welt gegen uns steht, dann müssen wir um so mehr zu einer Einheit werden“ umrahmt.

Das Foto entstand in Köln. Die Figur findet sich am Gemeindehaus der Evangelischen Kirche in Köln-Marienburg. Wo heute weder Neo-Nazis geschult werden noch ist es ein Treffpunkt für sie. Das ursprüngliche Relief des SA-Mannes wurde 1945 entfernt, geblieben ist seine Silhouette. Der auf der anderen Seite der Eingangstür stehende Martin Luther blieb erhalten. Seit 2005 erinnert – nicht zuletzt durch den Einsatz des NS-Dokumentationszentrums – die Gemeinde mit einer Tafel an „das Versagen und die Schuld der Gemeinde und großer Teile der evangelischen Kirche“ während der NS-Diktatur.

Chance zur Auseinandersetzung verpasst?

Ein beachtenswertes, unübersehbares Mahnmal also, ein Ort der Auseinandersetzung mit genau der immer noch aktuellen Frage, die eine Tafel am Ausstellungsanfang stellt: „Wie vergangen ist die deutsche Vergangenheit?“ Dieser Frage aber entzieht sich „Haut, Stein“. Die Einstellung des Fotografen ist nachvollziehbar – doch hat die deutsche Gesellschaft tatsächlich Angst vor der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in der Gegenwart? Gut, wenn die Ausstellung diese Diskussion noch anfacht und die Gesellschaft auf die Probe stellt.  

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Foto 1: Jürgen Schön – „Haut, Stein“: Blick in die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum. 

Foto 2: Jürgen Schön – Die Silhouette des SA-Manns ist noch heute sichtbar – von Jakob Ganslmeier für seine Ausstellung „Haut. Stein“ fotografiert (links Martin Luther, rechts der SA-Mann) 

Zeiten: 

Bis zum 8. Januar 2022

Preise:

Eintritt: 4,50 €
Ermäßigt: 2,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

NS-Dokumentationszentrum
Adresse: Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln
Webseite: https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=286
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appellhofplatz

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