„Am Vorabend des Weltuntergangs noch ein Apfelbäumchen pflanzen“

Mit großem Aufwand hatte das Team des Freien Werkstatt-Theaters (FWT) im September die neue Spielzeit entsprechend den damaligen Hygiene-Vorschriften begonnen. Dann der erneute Lockdown. Hausherr Gerhard Seidel beschreibt die aktuelle Situation.

1. Welche Fördergelder haben Sie beantragt und wie lief die Antragsstellung ab?

Wir haben Fördermittel aus dem NEUSTART-Programm der BKM (Beauftragte der Bundeskanzlerin für Kultur und Medien) beantragt und bekommen. Das Antragsverfahren war problemlos, allerdings kamen die Gelder erst vier Monate nach der Antragstellung bei uns an, zu spät, um uns bei der Öffnung im Juni helfen zu können. Davon abgesehen: Insgesamt bewerten wir das NEUSTART-Maßnahmenpaket positiv. 

2. Kann das Theater die nächsten drei Monate unter den aktuellen Bedingungen überleben?

Ja. Das kommende Jahr 2021 wird allerdings deutlich schwieriger werden. Es stellt sich auch die Frage, wie die Kulturpolitik mit dem zu erwartenden Rückgang der Steuereinnahmen 2021 und 2022 umgehen wird. 

3. Welche Sicherheitsmaßnahmen wurden umgesetzt und wie viel Geld hat das gekostet?

Wir haben ein umfangreiches Hygienekonzept umgesetzt. Es konnten dadurch deutlich weniger zahlende Zuschauer eingelassen werden, ab Mitte Oktober nur noch 20. Die Sachkosten für diese Maßnahmen lagen bei rund 4.000 Euro. Erhöhte Personalkosten, zum Beispiel durch mehr Foyerpersonal, sind dabei nicht mitgerechnet. 

4. Wie viele Arbeitsplätze sind gefährdet – für Feste und Freie?

Derzeit keine. Allerdings sind unsere Schauspieler, immerhin rund 20 in verschiedenen Inszenierungen, alle seit November in Kurzarbeit Null. 

5. Wie haben sich die Lockdowns auf Ihre mittel- und langfristige Planungen ausgewirkt?

Wegen des kurzen Entscheidungsrhythmus der Politik ist Planungssicherheit so gut wie nicht gegeben. Siehe den aktuellen Novemberlockdown, der nun auch wieder verlängert wurde. Wir kommunizieren Spieltermine inzwischen nur noch im Monatsrhythmus, üblich ist bei uns ein Vierteljahresrhythmus. Außerdem müssen wir immer damit rechnen, dass Planungen über den Haufen geworfen werden und neu gemacht werden müssen. Da hilft uns ein Quentchen des Lutherschen Optimismus: am Vorabend des Weltuntergangs noch ein Apfelbäumchen pflanzen. 

6. Was erwarten Sie von der Politik und wie bewertet Ihr das bisherige Vorgehen?

Wir erwarten mehrerlei. Eine differenzierte Handhabung von Schließungen, Theater sind sichere Orte. Die Anerkenntnis, dass Theater kein Freizeitvergnügen ist und entsprechend bewertet werden muss. Langfristigere Zeithorizonte bei der Planung von Corona-Schutzmaßnahmen.

Das Vorgehen der Politik in der Pandemie sehen wir als inkonsistent, die Maßnahmen sind teils widersprüchlich. Es fehlt eine geschlossene, konsequent verfolgte und langfristig angelegte Strategie. Und es fehlt eine gute, zugewandte Kommunikation. „Jetzt schließen, damit wir alle schön Weihnachten feiern können“ – diese Argumentation war schon Ende Oktober peinlich und führt sich in diesen Tagen, da die Verlängerung des Lockdowns ansteht, selbst ad absurdum.

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Foto 1: Jürgen Schön – Im Eingang zum Freien Werkstatt-Theater in der Südstadt geht derzeit nicht viel. 
Foto 2: Freies Werkstatt-Theater: Hausherr Gerhard Seidel hat sich, trotz aller anstehenden Umplanungsmaßnahmen, die Zeit für unseren Fragebogen genommen. 

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