Ein Ensemble in Zeiten des Stillstands
Andrea Bleikamp und Rosi Ulrich von WEHR51 berichten über die aktuelle Situation des genreübergreifenden Ensembles und formulieren im Zuge der Corona-Krise einen Sechs-Punkte-Plan.
1. Welche Fördergelder habt ihr beantragt?
Wir versuchen mit den Förderprogrammen der Förderer, mit denen wir schon länger in Kontakt stehen, zurecht zu kommen, zum Beispiel mit den vielen von „Fonds Darstellende Künste e.V.“ aufgelegten Programmen – Chapeau für diese Hilfe! Wir haben im März die Soforthilfe des Landes beantragt und erhalten. Dadurch können wir Ausfallgagen für die vielen Aufführungen, die abgesagt werden mussten, auszahlen. Außerdem hatten wir im Sommer die Soforthilfe aus dem Notfallfonds der Stadt Köln beantragt, aber nicht genehmigt bekommen. Corona-Überbrückungshilfen haben wir bis jetzt nicht beantragt, da müssen wir uns noch durch die Formalia arbeiten, aber das sieht eher nicht so aus, als hätten wir da Chancen.
2. Wie leicht oder schwierig gestaltete sich die Antragstellung?
Die Antragstellung ist sehr unterschiedlich. Bei den Förderern für Darstellende Kunst sind wir ja das Prozedere gewöhnt, also nix Neues. Bei den Überbrückungshilfen werden Maßstäbe von mittleren Unternehmen angesetzt. In diesen Kategorien arbeiten wir in der Regel nicht. Wir haben wenig fixe Betriebskosten. Der größte Teil sind Ausgaben für Honorare oder projektbezogene Sachkosten. Ein Ansatz wäre, Ausfälle zu bezahlen, um damit die Künstler und Techniker, denen Aufführungshonorare wegbrechen, bezahlen zu können.
3. Wie finanziert ihr derzeit euren Lebensunterhalt?
Das WEHR51 ist in der glücklichen Lage von der Stadt Köln eine mehrjährige Projektförderung und vom Land eine Konzeptionsförderung zu erhalten. Damit können wir in begrenztem Rahmen Ausfälle für alle bei den Produktionen beteiligten Künstler und Mitarbeiter auffangen. Hilfen müssten hier das Defizit ausgleichen, um 100 Prozent Gagenausfall zahlen zu können, schließlich müssen die Menschen auch überleben beziehungsweise sollten nicht in andere Berufe abwandern müssen, weil sie als Künstler und Theatermitarbeiter nicht überleben können.
4. Wie habt ihr konkrete Solidarität innerhalb der Kunst- und Kulturszene erlebt?
Es gibt einige Institutionen und politische Player, die schnell und engagiert reagiert haben, um das Ungleichgewicht zu benennen und auf die Ausgleichung hinzuwirken. Das hatte auch Wirkung, doch eine alte Forderung bekommt in der Krise wieder Gewicht: Kunst und Kultur muss eine Pflichtaufgabe der Politik werden! Wenn wir uns erinnern, dass wir ein Teil der Natur sind, dass der Mensch nur so erfolgreich sein konnte, weil er sich in Gruppen zusammengeschlossen hat und ein soziales Wesen geworden ist, dann spielt dabei Kultur und Kunst eine wichtige Rolle. Das „Anthropozän“ konnte nur auf dieser Basis entstehen – auch mit der Folge, dass wir dabei tief in die Natur eingreifen, ohne die Zusammenhänge zu verstehen und letztlich so auch unseren Teil zum Überspringen von Krankheiten auf den Menschen beigetragen haben. Vernachlässigen wir diesen sozialkulturellen Teil unseres Wesens, nähern wir uns immer mehr einer digitalen Welt an, Cyborgs und KIs wären dann mehr gefragt – übrigens lesenswert: James Lovelock „Novozän“. Wie brüchig die Solidarität in der Szene heute ist, ist schwer zu beurteilen, da vieles sich erst zeigen wird. Doch das Leben in der eigenen Kleinstblase wird zur Verengung führen und damit solidarisches Denken behindern.
5. Welche Erwartungen habt ihr an die politischen Entscheidungsträger?
1. Konzepte entwickeln und klar und transparent formulieren
2. Nicht so viel schlechte Stimmung machen, nicht so viel Angst schüren, mehr fachlich sachliche Diskussion
3. Verantwortung verantwortungsvoll abgeben: Veranstalter und Gastronomen haben oft sehr kurzfristig Hygienekonzepte entwickelt und immer wieder an neue Auflagen angepasst. Diese Menschen und Institutionen haben Verantwortung ernst genommen. Das sollte auch gehört und respektvoll honoriert werden.
4. Die Akteure mit in die Entscheidungsfindung einbinden
5. Ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen
6. Kunst und Kultur als Pflichtaufgabe der Politik einführen
„Schwerpunkt von WEHR51 ist die Umsetzung eigener Konzepte und Theatertexte, die sich aktuellen und gesellschaftspolitisch relevanten Themen widmen … So entsteht ein vielfältiger Spielplan aus ‚hybriden’ Inszenierungen, die Schauspiel-Video-Hörspiel, Live-Painting & Tanz, Tanz-Theater, theatrale Musik-Skulptur, ‚Neue Musik‘-Theater und theatrale VR-Installation umfassen und nicht mehr in die klassische Genrebegriffe eingeordnet werden können… WEHR51 versteht das Publikum als Teil der Inszenierung…“ (Auszug aus dem Profil des Theaters)
Foto: Alessandro De Matteis – Weniger schlechte Stimmung und Angstschürerei: Die künstlerischen Leiterinnen Andrea Bleikamp (l.) und Rosi Ulrich wünschen sich mehr fachliche Diskussionen sowie sozialen Zusammenhalt.