57 Menschen, die auf einer „Feindesliste“ stehen
Dass nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund Opfer rechten Terrors werden, beweist das CORRECTIV-Recherche-Netzwerk eindrucksvoll mit ihrer Ausstellungstour „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“. Auf ihren Weg von Solingen bis nach Berlin legt die Ausstellung derzeit einen Zwischenstopp in Köln ein. Auf dem Ebertplatz verteilen sich noch bis Freitag insgesamt 57 Portraits unterschiedlichster Menschen, die verfolgt und/oder im Fadenkreuz rechter Extremisten stehen und die über diese Aktion vielfältige Lebensgeschichten in die Welt tragen.
Sei es Hanau, Halle oder die Keupstraße, die Nennung dieser Worte lässt uns innerlich zusammenzucken. Die meisten von uns bringen mit diesen Orten mittlerweile in erster Linie Taten rechtsextremer Gruppen oder Einzeltätern in Verbindung. Taten, die die Gesellschaft erschütterten und nachhaltig prägten. „Ich habe meinen Vater verloren, wir haben unseren Familienangehörigen verloren. Lasst uns verhindern, dass das auch anderen Familien passiert“, sagte einst Semiya Şimşek-Demirtas, deren Vater im Jahr 2000 beim ersten Anschlag der NSU ums Leben kam.
57 Geschichten aus dem Leben
Dieses Zitat ist auch eines der ersten, das euch beim Gang durch die Ausstellung ins Auge fällt, je nachdem aus welcher Ecke des Ebertplatzes ihr kommt. Neben einer Opferliste, auf der die Opfer deutschen Rechtsextremismus aufgelistet sind, zieren alle Portraits jeweils ein (lebensbejahendes) Zitat der abgebildeten Personen, die alle auf eine unterschiedliche gesellschaftliche Zugehörigkeit blicken. Ferda Ataman, Karl Lauterbach und June Tomiak, Paul Ziemiak, Cem Özdemir oder Andrea Dernbach, sie alle repräsentieren die Vielfältigkeit unserer heutigen Gesellschaft – und doch haben sie eines gemein.
Denn alle dargestellten Personen stehen auf sogenannten „Feindeslisten“ rechtsextremistischer Gruppierungen. Was zunächst danach klingt, als nähme sich da jemand gewaltig zu wichtig, sind in der Realität tatsächlich existierende Listen, auf denen, sagen wir mal, „Feinde Deutschlands“ stehen. Und da scheint es egal, ob man arabischer, chinesischer oder deutscher Abstammung ist, alle Menschen, die den Zielen rechtsextremer Gruppen im Wege stehen, landen auf ihnen. „Das ist auch das Ziel der Ausstellung“, teilte uns ein Verantwortlicher mit, der mit Namen nicht genannt werden möchte. „Wir wollen zeigen, dass die Herkunft keine Rolle spielt, dass ein Jeder/eine Jede ins Fadenkreuz rechtsextremistischer Gruppen geraten kann.“ Das weit verbreitete und sich hartnäckig haltende Vorurteil, dass Rechtsextreme nur ausländisch stämmige Personen im Auge haben, dürfte damit ad acta gelegt worden sein.
„Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ ist eine Ausstellung über Hoffnung und Mut, über Stärke und den unerbittlichen Drang, sich nicht unterkriegen zu lassen. Auf ihrer Tour macht die Ausstellung zukünftig unter anderem noch in Kassel, Dortmund, Winnenden und Waiblingen halt, bis sie über München und Nürnberg in Berlin ihre letzte Station findet. Auf der in der Infobox verlinkten Webseite erhaltet ihr zusätzliche Informationen, ebenso zum zur Ausstellung gehörigen Buch.
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Foto 1: 57 Portraits zieren den Ebertplatz und füllen ihn mit lebensbejahenden Geschichten. Fotografiert wurden sie alle von dem Fotografen Ivo Mayr.
Foto 2: Das Zitat von Filiz Polat, Grünen-Politikerin und Mitglied des Deutschen Bundestages, zeugt sowohl von einem unbändigen Willen, rechtsextremer Gewalt die Stirn zu bieten, als auch ehrlicher und bedingungsloser Liebe zu Deutschland: „Ich lasse mir von niemandem meine Zugehörigkeit oder Loyalität zu diesem Land nehmen. Mein Vater war Einwanderer, hat als Chirurg Tausenden von Menschen das Leben gerettet. Unser Zuhause ist Bramsche. Bramsche, Niedersachsen, Deutschland – wir sind divers und vielfältig. Und das ist gut so, egal was die Ewiggestrigen sagen. Mein Vater hat mir und meiner Schwester genauso gesagt: ‚Kinder, ihr habt alle Chancen gegen die Ungerechtigkeiten auf der Welt vorzugehen.‘ Und genau das ist meine Motivation jeden Tag aufs Neue.“
Foto 3: Blick über den Ebertplatz.
Foto 4 (in der Galerie): Filiz Polat und Sebastian Leber (Journalist) im Portrait.
Foto 5 (in der Galerie): Die „Todesliste“, auf der Opfer rechtsextremer Gewalt verzeichnet sind. Von 1990 bis 2020 gab es insgesamt 187 Todesopfer. Nur 106 davon hat die Bundesregierung als rechtsmotiviert anerkannt.
Zeiten:
Mittlerweile ist die Ausstellung weitergezogen. Die Portraits inkl. Zitate sind allerdings noch auf der Webseite komplett einsehbar.
Webseite:
https://correctiv.org/menschen-im-fadenkreuz/
Das Buch zur Ausstellung:
https://shop.correctiv.org/buecher/sachbuecher/83/menschen-im-fadenkreuz-des-rechten-terrors/?c=5
Preis: 35,00 Euro*
*ab 29 Juli 2021 im Handel
Von wem?
CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft gGmbH
Adresse: Huyssenallee 11, 45128 Essen