Null Komma Was?

Armut, Korruption und Nationalismus prägen hierzulande das vorherrschende Bild von Rumänien. Doch auch dort träumen die Menschen von einem besseren Leben. Wie Cristina: Von ihrem Kampf um Liebe und berufliche Sicherheit erzählt Lavinia Branistes Roman „Null Komma irgendwas“, im Freien Werkstatt-Theater ausdrucksstark und spannungsgeladen als deutsche Uraufführung (Bühnenfassung von FWT-Chef Gerhard Seidel) unter der Regie von Inka Neubert auf die Bühne gebracht.

Cristina (Mirjam Birkl) arbeitet im Büro eines Bau- und Gartencenters am Rande einer Großstadt. Für ihren Job ist sie überqualifiziert – aber sie muss froh sein, hier Geld verdienen zu können. Sie schlägt sich mit Bürokratie, mit Kollegen und ihrer bestimmenden Chefin (Bettina Muckenhaupt) herum. Führt eine Fernbeziehung per Skype mit Mihai (Markus Penne) – den auch die Zuschauer nur im Video sehen. Ihre Mutter (ebenfalls Bettina Muckenhaupt) hat eine Stelle im spanischen Tourismusgeschäft gefunden, kommt nur selten zurück in die Heimat. Mit feiner Beobachtungsgabe für Details und wechselnde Stimmungslagen zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt überzeugt vor allem Mirjam Birkl.

Die Hürden des Alltags

Unfreundliche Auseinandersetzungen im Betrieb mit Kollegen und Vorgesetzten dürften vielen Theaterbesuchern nicht unbekannt sein – auch wenn sie hier geprägt werden von Geschäftsleuten aus dem reichen Westen, die weniger wie Partner als wie Kolonialherren auftreten. Globalisierung eben. Gleichfalls auf Rumänien beschränkt ist die Sorge um eine bezahlbare Wohnung.

Und eine erfüllte Liebe per Internet? Mag sich laut Werbung einer deutschen Verkupplungsplattform auf ihr auch alle elf Minuten ein Mensch verlieben – aber wie lange hält dieser Zustand an? Vor allem als sich nach einem der seltenen persönlichen Treffen mit Mihai ein Kind ankündigt. Zum Glück gibt es die Freundin Otilia (Sina Peris), mit der sich Cristina über Mode, Disco und Liebesbeziehungen unterhalten kann – allen unterschiedlichen Sichtweisen zum Trotz.

Rumänien im Spiegel

Unterm Strich eine genaue, detailreiche und einfühlsame Schilderung des Überlebenskampfes in einem Land, dass seine „sozialistische“ Vergangenheit noch nicht verarbeitet, gar überwunden hat. Eine wirtschaftliche und politische Lage, die viele Rumäninnen und Rumänen zur Arbeit im Ausland zwingt – auch in Deutschland. Das immer chaotischer werdende Bühnenbild mit Planen und Säcken spiegelt diese unfertige Lebens- und Gesellschaftsentwicklung wider. So weckt das Stück das Verständnis und Mitgefühl. Es öffnet den Blick in ein „exotisches“ EU-Mitgliedsland, das unserem näher ist als manche glauben wollen.

Cristina klagt nicht nur, sie kann ihre Situation auch analysieren und hinterfragen. Am Ende der 80 Minuten dauernden Inszenierung wagt sie den Schritt ins unbekannte Neue, bereit, alle Verbindungen zu ihrem bisherigen Leben zu lösen. Man kann ihr nur wünschen, dass vor und hinter dem Komma der Lebensbilanz bald etwas Zählbares steht.

Foto: MEYER ORIGINALS – Cristina (Mirjam Birkl) sucht im Lebens- und Bühnenchaos das „richtige“ Leben. 

Zeiten:

13. März 2020:
20:00 Uhr

14. März 2020:
20:00 Uhr

Preise:

Erwachsene: 18,00 €
Hausvorverkauf: 16,00 €

Ermäßigt: 12,00 €
Hausvorverkauf: 10,00 €

Über Offticket:
19,80 € / 13,20 €*
*inkl. VVK-Gebühren

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung: 

Freies Werkstatt Theater Köln e.V.
Adresse: 
Zugweg 10, 50677 Köln
Kartentelefon:
0221 – 32 78 17
Webseite: www.fwt-koeln.de/index.php/null-komma-irgendwas
KVB:
Linien 15, 16, 17: Chlodwigplatz

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