Rein in die Gegenwart

Schon vor fünf Jahren holte das NS-Dokumentationszentrum den französischen Karikaturisten Philibert Charin mit der Ausstellung „Philibert & Fifi“ aus dem Vergessen. 1943 bis 1945 hatte er als Zwangsarbeiter in Österreich gearbeitet und seine Erlebnisse mit dem Zeichenstift festgehalten. Aus dieser Ausstellung ist jetzt ein ausführliches Buch geworden – Ausgangspunkt für eine neue Ausstellung. 

80 Original-Zeichnungen waren damals zu sehen. Sie wurden anschließend auf Wanderschaft geschickt. „Das geht nicht lange gut“, fürchtete NS-Dok-Direktor Werner Jung um deren Zustand. Und so entstand aus diesem Grundstock das Buch, erweitert um politische Arbeiten, die Charin schon vor seiner Zeit als Zwangsarbeiter und nach seiner Rückkehr schuf. 

Schon früh Hitlers Politik kritisiert 

Seine frühen Karikaturen hätten ihm – wären sie bekannter gewesen – zum Verhängnis werden können. So zeichnete er den Namenszug Hitler und ersetzte das H durch ein Beil: Das „h“ wird im Französischen „hache“ buchstabiert – was zugleich die Bezeichnung für Axt oder Beil ist. 1943 schickte ihn die Vichy-Regierung zur Zwangsarbeit nach Österreich, sie erfüllte damit ein Abkommen mit dem Deutschen Reich. Nach seiner Rückkehr hatte er noch eine Ausstellung, doch die stieß auf kein Interesse. In der Folgezeit sprach er nicht mehr über seine Zeit als Zwangsarbeiter. 

Museumsdirektor Jung erfuhr von ihm durch Zufall bei einem Besucherprogramm für ehemalige Zwangsarbeiter, zu dem das NS-Dok 25 Jahre lang einlud. Dabei berichtete ihm ein Ost-Zwangsarbeiter, der ebenfalls im steirischen St. Marein für Erdarbeiten eingesetzt war, von dem Franzosen mit Zeichenstift und Schaufel. 

Der (Zwangs-)Schaufel ein Denkmal gesetzt 

Mit bitterer (Selbst-)Ironie setzte Charin der Schaufel und ihren Benutzern ein Denkmal. Da zeigt er sich selbst als Dreijähriger mit einem kleinen Sandschäufelchen – und 20 Jahre später mit der großen Arbeitsschaufel. Und seine Zwangskollegen typisiert er als fleißige Kollaborateure (mit einer extragroßen Schaufel), als Saboteure (mit abgeknicktem Schaufelblatt), als Faule, die sich auf den Stiel gestützt ausruhen, oder als Zerstreute, die die Schaufel mit einer Pfeife verwechseln. 

Als französischer Zwangsarbeiter genoss er anders als die Leidensgenossen aus dem Osten Freiheiten. So erhielt er Heimaturlaub oder durfte für seinen „Arbeitgeber“, das Stahlunternehmen Böhler, Einladungskarten für dessen Feste fertigen. „Während die Situation der Ost-Zwangsarbeiter gut erforscht ist, wissen wir über die aus dem Westen nur wenig“, erklärt Jung. 

„Fifi“ wurde mit weißer Tinte übermalt 

In späteren Jahren verwischte Charin die Spuren seiner Zeit als Zwangsarbeiter. So löschte er auf den Originalen dieser Zeit mit weißer Tinte die Figur des „Fifi“: Ein Strichmännchen mit großen Kulleraugen, das immer wieder hinter einer Figur hervorlugt und als Selbstporträt des Zeichners gedeutet werden kann. 

Charin starb 2007, nur ein Jahr, nachdem er sich wieder mit einem Buch in der Öffentlichkeit zurückgemeldet hatte. Zur ersten Kölner Ausstellung war noch seine Witwe Anne an den Rhein gekommen, zur Vorstellung des jetzt vorgestellten Buches war sie aus gesundheitlichen Gründen verhindert. 2019 hatte sie dem NS-Dok den Nachlass ihres Mannes geschenkt, Grundlage für das Buch „Philibert & Fifi – Karikaturen und Zeichnungen eines französischen Zwangsarbeiters“. Großzügig gestaltet, respektvoll geschrieben, ist es eine überfällige Ehrung. (Texte von Werner Jung und Jürgen Müller; fragt sich nur, warum der Name Philibert Charin nicht wenigstens im Untertitel erscheint). 

Die mit dem Buch verbundene aktuelle Ausstellung – als Wanderausstellung geplant – zeigt jetzt keine Originale mehr, sondern nur noch Drucke, dazu Briefe, Dokumente, Fotos und einen noch 2006 entstandenen Film über Charin, in dem auch ehemalige Zwangsarbeiter zu Wort kommen. 

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„Philibert & Fifi  – Karikaturen und Zeichnungen eines französischen Zwangsarbeiters“ – NS-Dok Eigenverlag, Köln 2021. Text: Deutsch, Englisch, Französisch; Hardcover, Fadenbindung, 272 Seiten, 15 Euro. Bestellungen über nsdok@stadt-koeln.de 

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Foto 1: „Philibert & Fifi“: Blick in die Ausstellung – im Hintergrund die Hitler-Karikatur „Ohne Recht“ (etwa 1941/42).  

Foto 2: „Philibert & Fifi“: Blick in die Ausstellung – auf der Schrifttafel links unten „Fifi“, das alter Ego von Philibert Charin.

Zeiten: 

Bis zum 30. Januar 2022

Online unter:
https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/rundgang/rundgang.aspx?rnr=A_50_01

Preise:

Eintritt: 4,50 €
Ermäßigt: 2,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

NS-Dokumentationszentrum
Adresse: Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln
Webseite: www.museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appellhofplatz

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