Oh. Das will doch keiner sehen?!

Sie ist erst 21 Jahre jung, aber sie hat schon große Ziele. Und die erste Regie fungiert nun als erster Gradmesser. Charlotte Wulff will „auf der Bühne etwas bewegen“ und dafür sucht sie sich gleich eine Produktion aus, die eine Menge Zündstoff bietet. Mit „Pippa Pan“ erforscht sie die grausamen Seiten im Kindesalter und erkundet eine Welt voller Einsamkeit, Schmerz und heilsamer Ablenkung. Einmal den Finger in die offene Wunde legen? Diese Produktion macht das ganz bewusst.

Pippa ist ein Mädchen im Grundschulalter und sie hat ein durchaus überwältigendes Problem: Sie lebt in einem Geheimversteck im Wald, komplett auf sich allein gestellt. Ihre Mutter ist die Natur selbst, von ihrem Vater, der als Musiker durch die Weltgeschichte tingelt, weit und breit keine Spur. Was macht solch eine Situation nur mit einem Kind? Pippas Reaktion ist eindeutig: Sie flüchtet sich, eine Idealwelt suchend, in eine Fantasiewelt. Der Schmerz und die Sehnsucht, die Geborgenheit einer Familie nie kennengelernt zu haben, ist dabei ihr ständiger Begleiter. „Für viele Kinder ist solch eine Situation Realität“, sagt Charlotte, die bisher als Regieassistentin tätig war, nur um nun vor der Herausforderung der ersten eigenen Regiearbeit zu stehen. „Wir wollen für dieses Problem ein Bewusstsein schaffen und darauf aufmerksam machen, dass andere Kinder andere Realitäten leben. Und dass das Thema Kinderobdachlosigkeit ein oftmals verschwiegenes Problem ist.“

Schmerzgrenze niedrig, Reflexion gewünscht

Die Schmerzgrenze ist bei „Pippa Pan“ also vergleichsweise niedrig angelegt. Denn wer will schon ein Kind auf der Bühne sehen, das sich schmerzerfüllt und ohne Obdach durch die Einsamkeit quält und als Abwehrmechanismus spinnt es sich eine Fantasiewelt zurecht, in der weltliche Bedürfnisse keinen Belang haben, in der es sich zu Hause fühlt, weg von den immerzu schmerzenden Alltagserfahrungen? Gehört das Thema wirklich auf eine Bühne? Die Regisseurin hat dazu eine klare Meinung: „Das ist natürlich ein Thema, mit dem sich niemand identifizieren möchte. Aber es lädt auch viel zur Reflexion ein – und deswegen erachten wir es als ein notwendiges und spannendes, wenn auch grenzwertiges Thema.“ Wie geht man selbst mit seinem eigenen Kind um? Kann man, selbst auf entfernte Art und Weise, mit den Erfahrungen Pippas mitfühlen? Was macht ein Zuhause überhaupt aus? Und wie wirkt sich Einsamkeit langfristig auf das Seelenheil eines Kindes aus?

Auf der Bühne wird Pippa sodann von Leonie Schlüter verkörpert, die auch die Autorin des Textstückes ist. Weil die Bühnenfläche im Horizont Theater recht klein ist, überlässt die Regie die Vorstellung des imaginären Waldes eurer eigenen Fantasie – passend zur Inszenierung verzichtet sie also auf ein allzu umfangreiches Bühnenbild. „Die konkreten Umstände des Waldes werden ersichtlich sein“, sagt Charlotte, „aber grundsätzlich soll das Publikum die Erfahrungen Pippis teilen und ihre eigene Fantasie angeregt sehen.“ Selbst komponierte Musik und entsprechende Soundeffekte, die auch dazu genutzt werden sollen, die Einsamkeit Pippas zu durchbrechen, vervollständigen das Konstrukt.

Die erste Regie als Zufallsprodukt

Aber wie kam es überhaupt zu der Idee, exakt dieses Projekt umzusetzen? Gab es keine anderen Themen, die man lieber bei der ersten Regie bespielen würde? Letzten Endes spielte eine gehörige Portion Zufall eine wichtige Rolle. „Christos, unser Theaterleiter, kam random auf mich zu und sagte, ich solle mir doch die Charlotte schnappen und mit ihr eine Aufführung über die Einsamkeit im Kindesalter realisieren“, erzählt die Autorin. „Da spielt natürlich sehr viel Vertrauen mit.“ Aber das wolle man nun zurückzahlen, die Motivation stimme auf jeden Fall, dem pflichtet auch die Regisseurin bei: „Wir sind ein tolles Team und wir haben uns in der Vorbereitung stetig weiterentwickelt. Diese Chemie, sie soll nun auch die Bühne beherrschen.“

Mit „Pippa Pan“ traut sich das Horizont-Theater an ein brenzliges Thema. Über Einsamkeit im Kindesalter spricht man nicht gerne, man sieht sie nicht gerne, man möchte nichts über sie hören. Aber es gibt sie – und zwar zuhauf. Und darauf möchte „Pippa Pan“ nun eindrucksvoll aufmerksam machen, immerzu mit den Grenzen eurer eigenen Fantasie spielend…

Fotos: Horizont Theater

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Unser Review findet ihr hier: Rheinerlei in „Pippa Pan“ – Horizont Theater

Zeiten:

23. Oktober 2020:
16:00 Uhr

30. Oktober 2020:
16:00 Uhr

Preise:

Eintritt: 7,00 €
ab 40 Personen: 5,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung: 

Horizont Theater
Adresse: Thürmchenswall 25, 50668 Köln
Kartentelefon:
0221 – 13 16 04
Webseite: www.horizont-theater.de/produktionen/pippapan
KVB: Linien 12, 15, 16, 18: Ebertplatz

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