„Ukrainische Moderne 1900-1930 & Daria Koltsova“: Blick in die Ausstellung, im Hintergrund die Glasinstallation „Zusammengesetzt / Tesselated“ (2023) von Daria Koltsova. – Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln/ Joschua Rohluff

Überfällige Rehabilitation ukrainischer Kunst

Dass Kunst und Politik oft mehr miteinander zu tun haben, als manchem lieb ist, zeigt die aktuelle politische Situation: Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die damit verbundene mehr als verquere historischen Begründung ist Anlass für die Ausstellung „Ukrainische Moderne 1900–1930 & Daria Koltsova“ in der Reihe „Hier und Jetzt im Museum Ludwig“ Sie rückt zurecht, was an eigenständiger ukrainischer Kunst bislang fast regelmäßig unter dem Etikett „russisch“ vereinnahmt wurde. Ein eigenständiger Bereich wurde damit aus der Kunstgeschichte gestrichen. So ist diese Wanderstellung eine überfällige Rehabilitation.

Ins Auge springt schon die Änderung der Schreibweise. Recht schnell haben sich Medien nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine und nun auch die Kunstszene auf die ukrainische Schreibweise von Orts- und Personennamen umgestellt, die bislang unter „russisch“ subsummiert wurden. So heißt es nicht mehr Kiew sondern Kyjew, Kasimir Malewitsch ist jetzt Kasymyr Malewytsch, wurde er doch in der Ukraine geboren. Seine künstlerische Karriere ist allerdings enger mit Leningrad verbunden, erst spät arbeitete er für kürzere Zeit in Kyjew. So mag er – im Rahmen der politischen Realität – ein sowjetischer Künstler sein, weniger aber ein russischer.

Viele Leihgaben von ukrainischen Museen

Die rund 80 Gemälde, Zeichnungen und die Plastik „Flacher Torso“ von Alexander Archipenko – darunter viele unter dramatischen Umständen gerettete Leihgaben aus ukrainischen Museen – zeigen den langen und großen Anteil, den die Künstler aus diesem Land etwa zum Kubofuturismus beigetragen haben, bei dem sie den Futurismus aus Italien mit dem Kubismus aus Paris zusammenbrachten.

Kasymyr Malewytsch: „Suprematistische Kompositioin“ (Öl auf Leinwand, 1915) – Museum Ludwig, Köln, Schenkung Sammlung Ludwig, 2011. Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln / Britta Schlier

Gefördert wurde die Arbeit dieser Künstlerinnen und Künstler durch die 1917 gegründete Kunstakademie in Kyjew. Zu sehen sind etwa die eindrucksvollen Arbeiten Oleksandr Bohomazows und anderer Mitglieder der Künstlergruppe der Bojtschukisten. Zu diesen gehörten auch Anatol Petryzkyi, Wadym Meller oder Borys Kosarew. Mit ihren faszinierend phantasievollen Kostümentwürfe eroberte der Kubofuturismus Oper, Ballett und sogar das Kindertheater.

Große Kunst mit vielen Wurzeln

Doch nicht nur revolutionäre Kunstrichtungen wie dieser oder der Suprematismus sind zu sehen, auch eher „klassische“ Bilder von Volkstraditionen, Genreszenen oder Porträts: eine spannende, unbekannte Mischung aus ukrainischer, polnischer und russischen Einflüssen. Nicht zu vergessen die jüdischen, deren Vertreter sich in der 1918 gegründeten Kultur Lige trafen. Von ihnen ist unter anderen Manuil Shekhtman ist mit dem Gemälde „Pogrom“ vertreten. Charkiw und Odessa waren weitere Kunstzentren.

Zur Kölner Pressa 1928 schickte die Sowjetunion ukrainische Künstler wie Wasyl Jermilow – hier konnte das Kölner Museum auf die eigene Sammlung zurückgreifen. 1932 wurde dann der Sozialistische Realismus als einzige Kunstrichtung zugelassen. Der ukrainische Sonderweg war am Ende.

Glasinstallation vertritt Kunst von heute

In der Ausstellung aber geht er bis in die Gegenwart weiter. Als aktuelle Vertreterin der dortigen Szene ist die Glasinstallation von Daria Koltsova. In ihr verbindet sie Tradition und Moderne der ukrainischen Geschichte: Silhouetten sowjetischer Architektur werden zusammengehalten und überstrahlt von einer weißen Hochzeitshaube, darin ein schwarzes Kreuz, wie es auch auf den Gesichtern volkstümlicher Puppen zu sehen ist.

Mykola Kasperovytsch: „Enten“ (Tempera auf Karton, 1920er Jahre) – National Art Museum of Ukraine

Die „Umwandlung“ der ukrainischen zur russischen Kunst verlief parallel zur politischen Entwicklung, die am Eingang der Ausstellung an einer Zeittafel nachzulesen ist. So kämpfte die Ukraine nach Ende des Ersten Weltkriegs zunächst für ihre Unabhängigkeit, um dann als Volksrepublik Mitglied der Union der sowjetischen Staaten (UdSSR) zu werden.

Stille Korrektur auch der hauseigenen Geschichte

Dies wurde zunächst von der sowjetischen Regierung unterstützt, doch 1921 eroberten die Bolschewiki das Land. In den 1920er und 1930 Jahren wurde ukrainische Selbstbestimmungsbewegungen unterdrückt.

Tymofij Bojtschuk: „Unter dem Apfelbaum“ (Tempera auf Karton, 1919–1920) – Nationales Kunstmuseum der Ukraine

Doch schon vorher wurden zehntausende ukrainische Intellektuelle nach Sibirien deportiert oder ermordet. Besonders verfolgt wurden auch Künstler und Künstlerinnen, die sich weiter für „ukrainische“ Kunst einsetzten. Im Holodomor starben dann 1932-1933 rund 3,5 Millionen Menschen: Eine staatlich organisierte Hungersnot, verursacht durch die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft unter Stalin.

Die Ausstellung ist auch eine stille Korrektur der hauseigenen Kunstpolitik. Noch 1993 präsentierte das Museum Ludwig stolz die Ausstellung „Von Malewitsch bis Kabakov: Die russische Avantgarde im 20. Jahrhundert. Und griff dabei voller Stolz auf die „Russen-Sammlung“ des Kunststifter-Ehepaares Irene und Peter Ludwig zurück. Kunstwerke aus diesem Bestand können nun in einem neuen Zusammenhang gesehen werden.

„Ukrainische Moderne 1900–1930 & Daria Koltsova“

Zeit

bis 24. September 2023, Di- So 10-18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat 10-22 Uhr

Preise

Eintritt: 12 €

Ermäßigt: 8 €

Katalog: 25 €

Kontaktdaten und Anfahrt:

Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln, Tel. 0221 / 221 261 65

KVB: Linien 5, 16, 18: Dom/Hbf

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