Haegue Yang: „Mountain of Encounter / Berg der Erinnerung“ (Installation, 2008) – Foto: JS

Alle zwei Jahre Neues aus der umfangreichen Sammlung

Allen Museen muss ein Sammeltrieb eigen sein, wollen sie ihr Thema vollständig bearbeiten. So finden sich in den Depots oft Schätze, die noch nie der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Das gilt auch für das Museum Ludwig und seinem Sammelgebiet moderne Kunst. Alle zwei Jahre sucht es aus seinem Depot Unbekanntes und lange nicht Gezeigtes. So auch jetzt wieder, diesmal wurden Kunstwerke locker unter dem Motto „Vom Wert der Zeit“ zusammengefasst.

Ein zentraler Aspekt der Bedeutung von Zeit ist in dieser Ausstellung der Umgang mit der Erinnerung. Denn mit ihren Arbeiten können Künstlerinnen Vergangenes oder auch Vergessenes in die Gegenwart holen. Wie die Südkoreanerin Haegue Yang mit ihrer ebenso aufwendigen wie eindrucksvollen Installation „Mountain of Encounter / Berg der Erinnerung“: Die „Berge“ aus roten Aluminiumjalousien holen das vergessene historische Treffen der US-Journalistin Helen Foster Snow mit dem koreanischen Unabhängigkeitskämpfer Kim San um 1935 wieder ins Bewusstsein.

Das Geschäft mit der Sklaverei – leider nur per QR-Code

Umfassend recherchiert hat US-Künstler Cameron Rowland die Geschichte der Sklaverei, insbesondere die Verbindung mit deutschem Rassismus und Kolonialismus. Das führt in ihn in die Nachbarschaft Kölns, genauer ins Bergische. Dort gab es viele Leinenwebereien, aus deren Stoffen die „Uniformen“ der Sklaven in den USA gefertigt wurden. Dem Smartphone-freien Ausstellungsbesucher bleiben diese Erkenntnisse jedoch hinter einem QR-Code unter einer Mini-Fassung auf zwei Schrifttafeln verborgen. Auch ausgedruckt liegt die Arbeit „Amt 45i“ nicht aus. Das läuft sich unter grünen Sparmaßnahmen.

Wohl aber gibt es auf einem Büchertisch Monografien zu einigen der präsentierten Künstler sowie Abhandlungen über Karl Marx und sein „Kapital“.

Arbeitskontrolle über Rasseln im Bügeleisen

Von Rowland stammen auch zwei originale historische Bügeleisen: Eine Rassel im Griff bedeutete dem Besitzer, dass die Sklavinnen bügelten – ein Kontrollmechanismus, den der Künstler mit den rassistisch motivierten Kontrollen und Übergriffen der New Yorker Polizei vergleicht.

Lubaina Himid: „Le Rodeur: The Cabin / Le Rodeur: Die Kajüte“ (Acryl auf Leinwnd, 2007) – Reproduktion: Rheinisches Bildarchiv, Köln

Einen sarkastischen Kommentar zur Sklaverei liefert die Britin Lubaina Himid: Ihr Bild zeigt einen elegant gekleideten Schwarzen Koch und ein Musiker auf einem Luxusdampfer. Sie will damit in „solidarischer Zuwendung“ an die Katastrophe auf einem französischen Sklavenschiff erinnern, auf dem 1819 eine Augenkrankheit ausbrach und viele erkrankte Sklaven brutal über Bord geworfen wurden.

Fotos aus der Arbeitswelt der frühen Gastarbeiterinnen

Ein zweites zentrales Thema der Ausstellung ist die Arbeit – nicht umsonst weiß der Volksmund „Zeit ist Geld“. Asisma Paradissa kam 1966 aus Griechenland. Sie arbeitete zunächst beim Schreibmaschinen-Hersteller Olympia in Wilhelmshaven, dann setzte sie in Wuppertal Autoschlösser zusammen. Sie fotografierte selbst und sammelte Fotos ihrer Kolleginnen, die sie von ihrer Arbeit machten. Den Industriemaschinen widmet Thomas Bayrle eine „Monstranz“: ein aufgeschnittener Sternmotor, dessen Kolben sich unaufhörlich hin und her bewegen.

„Vom Wert der Zeit“: Blick in die Ausstellung, vorne Thomas Bayrles Sternmotor „Monstranz“. Foto: JS

Maria Eichhorn – sie gestaltete im Vorjahr den deutschen Pavillon der Biennale in Venedig – breitet anhand Dutzender Dokumente ihren beruflichen Werdegang bei der Stadt Köln aus, wozu auch ihr gewerkschaftliches Engagement gehört. Die Geschichte seiner Familie und ihrer Flucht aus Vietnam erzählt Danh Vo, dazu die Geschichte des Landes, das lange eine französische Kolonie war.

Premiere für die Arbeiten von 18 Künstlerinnen und Künstlern

25 Sekunden bleibt der Besucher einer Ausstellung durchschnittlich vor einem Exponat stehen, weiß eine Schrifttafel am Beginn der Ausstellung. Hier dürfte der Durchschnittwert steil nach oben gehen. Nicht nur, wenn der Betrachter aktiv werden soll. Wie bei Robert Rauschenbergs „Soundings“: eine Spiegelwand, die durchsichtig wird, wenn davor laute Geräusche wie Klatschen oder Brüllen gemacht werden. Ein Klassiker aus dem Jahr 1968, der Hochzeit der Pop Art.

Pauline M´barek: „Glance“ (Video, 2017) – Foto: Thomas Rehbein Galerie und Pauline M’barek

Eine Neuentdeckung dagegen ist Guan Xiao: Die Künstlerin stellt alte Welterklärungen ebenso in Frage wie das Internet als modernes Kommunikationsmittel. Insgesamt 31 Künstler und Künstlerinnen werden mit ihren Arbeiten vorgestellt. Darunter bekanntes wie Oscar Murillos Tribünenrund „Collective Conscience“, bei dem sich der Besucher zu den dort sitzenden menschengroßen Puppen gesellen kann. Oder Rebecca Horns „Pfaumaschine“. 18 werden erstmals gezeigt, darunter die Kölnerin Pauline M’barek, deren Video „Glance“ drei Minuten lang nur ein Auge zeigt. Ebenso zu entdecken ist Füsun Onurs mit seinem „Prelude/Vorspiel“: Ein kompositorisches Spiel mit Holztischen, Hämmern und Legosteinen.

„Vom Wert der Zeit“

Zeit:

bis 31. August 2025, Di- So 10-18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat 10-22 Uhr

Preise

Eintritt: 12 €

Ermäßigt: 8 €

Ein kleines, knapp gehaltenes Heftchen (deutsch/englisch) liegt kostenlos aus.

Kontaktdaten und Anfahrt:

Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln, Tel. 0221 / 221 261 65, http://www.museum-ludwig.de

KVB: Linien 5, 16, 18: Dom/Hbf

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