
Füsun Onur konnte nicht zur Eröffnung ihrer ersten Retrospektive im Ausland nach Köln kommen. – Foto: Muammer Yanmaz / Füsun Onur
Die erste Retrospektive außerhalb der Heimat Türkei
„Ich wünsche allen eine unterhaltsame Reise durch mein Werk“, schreibt Füsun Onur, die selber nicht zur Eröffnung ihrer großen Retrospektive ins Museum Ludwig kommen konnte. Und unterhaltsam dürfte ihre Ausstellungen wohl bei allen Besuchern sein, wenn sie in das breit gefächerte Phantasiereich der türkischen Künstlerin eintauchen: Es reicht von der strengen Abstraktion bis zur Märchenwelt der Tiere.
Kunst ist in der Türkei eine Domäne der Männer. Doch Füsün Onur – geboren 1938 in Istanbul, wo sie bis heute lebt – hat es geschafft, sich in der Kunstwelt zu behaupten, studierte in Istanbul und Washington Bildhauerei. Die Kölner Ausstellung ist ihre Retrospektive außerhalb der Türkei. International bekannt wurde sie nicht zuletzt, als sie im Vorjahr den türkischen Pavillon bei der Biennale in Venedig bespielte. „Once upon a time/Es war einmal“ füllt nun den riesigen Kölner DC-Saa

„Es war einmal…“: Skurrile Drahtfiguren mit Pingpongball-Köpfen wollen die Welt vor den Menschen retten. Foto: JS
Wie Tiere die von Menschen vermüllte Welt retten wollen
Auf 21 Tischen erzählt sie das Märchen von der Maus Cingöz, die um die von den Menschen vermüllte Welt weint. Sie trifft die Katze Zorba – beide beschließen, dass Mäuse und Katzen gemeinsam und gleichberechtigt die Welt retten. Cingöz reist zur Biennale nach Venedig, wo er sich in ein Mädchen verliebt. Sie tanzen und tanzen – und lassen eine bereitstehende Gondel warten. Eine Phantasiewelt aus skurril gedrehten Draht- und Plüschfigürchen mit Pingpongball-Köpfchen, aus Puppenmöbeln und Modellautos und -schiffchen.
Viele von Onurs Arbeiten sind subkutan politisch. Von erschreckender politischer Aktualität ist ihr „Krieg aus der Sicht eines Kindes“ aus dem Jahr 1994: In der Mitte des dunklen Raumes steht ein kleiner Tisch, darunter hängt ein verschmutztes Kleidchen. Um den Tisch stehen drei Stiefel, aus denen düstere Puppenköpfe schauen. Schnüre verbinden die Schuhe mit den Fotos von zierlichen Puppenköpfen, die auf der Tischplatte liegen. Ein Mädchen beobachtet die Szene: Das Foto an der Wand in dem dunklen Raum zeigt die Künstlerin. Angeregt zu dieser Arbeit wurde Onur durch das Label „Made in Germany“ auf den Puppen aus der Kindheit – dies erinnerte sie an Zweiten Weltkrieg.

Vor diesem Anblick wird gewarnt: „Krieg aus der Sicht eines Kindes“ – Installation aus dem Jahr 1994 und höchst aktuell. – Foto: JS
Muss vor Füsun Onurs Anti-Kriegs-Kunst gewarnt werden?
„Diese Installation könnte verstörend sein“ werden die Besucher hier gewarnt – mit dieser Trigger-Warnung zeigen sich die Verantwortlichen als Helikopter-Kuratorinnen, die dem Betrachter keine Auseinandersetzung mit Kunst zutrauen und ihn und die Kunst Onurs unter getrennte Käseglocken stellen. Oder sollte das im Sinne engagierter Kunst ironisch gemeint sein?
Aus den 1960er Jahren stammt ihre „Raumteilung auf einem weißen Blatt Papier“, von den hier zwei Konvolute mit 26 bzw. 22 Blättern zu sehen sind. Bei dem einen teilt sie jedes Blatt mit schwarzen Linien in unterschiedliche exakt-geometrische Flächen auf. Beim zweiten wuchern die Linien zu fließende Formen, in denen sich etwa Gestalten entdecken lassen. Formale Spielereien – auf den ersten Blick

Blick in die Ausstellung – hier ein Ausschnitt aus „Opus II – Fantasia“ /Stricknadeln, Knäuel aus Goldlitze, Porzellanfiguren und Sockel, 2001) – Foto: JS
Mit Wollknäueln die männliche Kunstwelt ins Wanken bringen
Wie auch ihre Arrangements aus Stricknadeln und goldenen Wollknäueln. Diese legt sie über Kreuz, ordnet sie zu Quadraten, legt sie im Zickzack auf den Boden, kombiniert sie mit kleinen Frauenfiguren aus Porzellan. Eine hintersinnige Anspielung auf die traditionelle Rolle der Frau in der Gesellschaft, von der sich Füsun Onur befreit hat – und die sie ins Schwanken bringt, wenn die Knäuel unter kleinen Sockel liegen und diese in die Schieflage bringen.
Auch die Grenzen der Malerei löst sie auf. „Die dritte Dimension der Malerei“ heißt ihr Kämmerchen: Blaue Wollfäden hängen von oben herab und bilden dessen „Wände“. Man kann sie durchschreiten und sich auf die kleine Matratze legen und in den Sternenhimmel gucken, der ebenfalls aus einem dichten Wald blauer Wollfäden besteht, dazwischen blinken gold- und silberfarbene Plättchen.

„Kontrapunkt mit Blumen“: Das begehbare Bild schuf Füsun Onur 1982. For Köln wurde es rekonstruiert. Foto: JS
Blau ist Onurs Lieblingsfarbe, sie bestimmt auch ihren „Kontrapunkt mit Blumen“, der die Ausstellung einleitet: Ein in atmosphärisches Blau getauchter Raum, darin bizarre Blumen aus Papier – ein begehbares Bild. Und für Köln sorgfältig restauriert wie viele andere Arbeiten. Die aufklärerische, Grenzen sprengende Unterhaltung dieser Ausstellung hat das nur verstärkt.
„Fünus Onur: Retrospektive“
Zeit
bis 28. Januar 2024. Di- So 10-18 Uhr, jeden ersten Donnerstag im Monat 10-22 Uhr
Preise
Eintritt: 12 Euro, ermäßigt: 8 Euro. Katalog: 29 Euro, kostenlose Ausstellungshefte in Deutsch, Englisch und Türkisch´´
Kontaktdaten und Anfahrt:
Museum Ludwig, Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln.Tel. 0221 / 221 261 65, http://www.museum-ludwig.de
KVB-Bahn: Linien 5, 16, 18: Dom/Hbf