Kölns Flora und Fauna auf dem Prüfstand

Köln hat Trouble: Klimawandel, Artensterben, Kapitalismus, Plastikmüll und überhaupt alles nur denkbar Schlechte machen der Stadt zu schaffen. Mit dem von ihm bekannten Verve eröffnet Laurenz Ley als leidende Stadt Köln die neue Produktion „Biotopia. Ein Kölner Bestiarium“ im Theater im Bauturm. Und kassiert mit seinen Mitstreitern nach 80 Minuten unterhaltsamer Lehrstunde langen begeisterten Premierenbeifall. 

Die Würdigung dieser Produktion muss – anders als die Inszenierung – nüchtern beginnen. Deren Grundlage ist die Auseinandersetzung mit dem 2007 erschienenen Buch „Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“ von Donna Haraway. Die US-Naturwissenschaftlerin vertritt darin – sehr zusammengefasst – die These, dass alle Lebewesen, die auf der Erde gelebt haben, leben und leben werden miteinander verwandt sind. Als Historikerin teilt sie die Geschichte der Menschheit ein in Anthropozän, Kapitalozän und in das von ihr prophezeite Chtuluzän. 

Warum aus dem Anthropozän das Chthuluzän wird 

Ersteres beginnt mit dem ersten Auftreten des Menschen auf dieser Erde. Im Kapitalozän hat er – etwa durch die Entwicklung des globalen Handels – seine Verantwortung und Eingriffsmöglichkeiten an das Kapital abgegeben. Nach dessen Zusammenbruch – auch eine Folge des nicht verhinderten Klimawandels – beginnt das Chthuluzän. Jetzt steht nicht mehr der Mensch im Zentrum, sondern das Leben aller anderer Arten und Kreaturen. Und es entstehen neue, bislang ungedachte biologische Verwandtschaften. Verwandtschaften, die teilweise schon in menschlichen Fabeln und Legenden vorweggenommen worden sind. 

So weit der theoretische Unterbau des Theaterabends, der – die Systematik der Fabeln aufgreifend – in zahlreichen Anekdoten, Monologen und alles andere als langweilig Schritt für Schritt ausgebreitet und auf Köln hinuntergebrochen wird. An einem Tisch auf der Bühne sitzt vereint das Führungstrio des Theaters: Bernd Schlenkrich, René Michaelsen und Laurenz Leky. 

Auf der Bühne ein geeintes Trio der Gegensätze 

Leky gibt die vom Publikum geliebte Rampensau, die auch mal einen Tisch umstürzt. Grandios sein Wutausbruch über die in Köln eingewanderten Sittiche, die seine Hausdämmung zwecks Nestbau zerstören und alles voll scheißen. Als er statt der Papageien irrtümlich die Brieftauben seines türkischstämmigen Nachbarn abschießt, wird aus dem Polterer schlagartig ein mitfühlender, sensibler Mensch. Michaelsen ist Lekys Gegenpol. Erstaunt und nachdenklich, sich langsam vortastend wundert er sich darüber, dass seine Existenz von Billionen Kleinstlebeswesen abhängt, die in seinem Körper sein Leben aufrecht erhalten. 

Als „Vermittler“ zwischen Leky und Michaelsen steht Schlenkrich. Er steht meist für die sachlichen Erklärungen. Und so erweitert er das Staunen darüber, mit wem der Mensch und der Kölner speziell alles verwandt sein soll. Da staunt der Laie – mit Hunden, das mag ja noch angehen. Aber bei der Erwähnung des Düsseldorfers tut sich ein Kölner schwer. Und das Verhältnis der Menschen untereinander und zur Tierwelt ist überraschend vielfältig. Das zeigt sich in der Benennung von Krankheiten wie Ziegenpeter oder dem umfangreichen Katalog von Schimpfworten. Ein fragwürdiger Umgang mit seinen Verwandten… 

Experten als Zeuge für Kölns schlechten Zustand 

Unterstützt wird die Darstellung von Kölns schlechtem (Natur-) Zustand von per Video eingespielten Aussagen lokaler Experten, etwa Förster, Naturschützer, Zoo-Tierpfleger oder ein Falkner. Doch haben sie auch Beispiele für kleine Wunder aus der Tierwelt. Nicht fehlen dürfen Aufnahmen von den Neubürgern, den Halsbandsittichen und Kanadagänsen, die Kölns einheimische Vogelwelt durcheinanderbringen (Videos: Frederik Werth). 

Ein kleiner Wermutstropfen wird zum Schluss eingeblendet: Die bedauernde Absage von Donna Haraway zu einer Mitarbeit an diesem Stück. Bevor das Publikum dann alle Beteiligten (dazu auch Regieassistentin Sümeyye Algan) mit dem verdienten Beifall entlassen kann, wird es noch aufgefordert, Kölns Grünanlagen zu erkunden und sich für dessen Schutz einzusetzen. Wohl an denn! 

Foto: Murat Surat – Zwischen eingewanderten Sittichen an einem Tisch: Laurenz Leky, René Michaelsen und Bernd Schlenkrich (v.l.). 

Termine:

22. Oktober 2020:
20:00 Uhr

23. Oktober 2020:
20:00 Uhr

31. Oktober 2020:
20:00 Uhr

14. November 2020:
20:00 Uhr

15. November 2020:
18:00 Uhr

28. November 2020:
20:00 Uhr

29. November 2020:
18:00 Uhr

Preise:

Eintritt: 23,10 €*
*inkl. VVK-Gebühren

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Theater im Bauturm
Adresse: Aachener Straße 24-26, 50667 Köln
Telefon: 0221 – 52 42 42
Webseite: www.theaterimbauturm.de/spielplan/repertoire/biotopia-ein-koelner-bestiarium
KVB: Linien 1, 7, 12, 15: Rudolfplatz

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