Folgen der Kolonialisierung
Als sich die Europäer auf den Weg machten, um andere Kulturen zu kolonialisieren, gehörten nicht nur Schwert und Bibel zu ihrem Reisegepäck: Auch das Liedgut ihrer Komponisten brachten sie den „Wilden” mit: Beethoven, Mozart, Georges Bizet, Plácido Domingo – die Klassiker eben, Aushängeschilder der zentraleuropäischen Hochkultur. Und als die Kolonialherren dann, schließlich in den fremden Ländern angekommen, die ungewohnten Klänge einheimischer Musiker vernahmen, da schauten sie verdutzt unter ihren Pickelhauben hervor: Das ist doch keine Kultur, keine Musik, das ist primitiv, das ist nicht so wie bei uns. Und was der Bauer bzw. der Kolonialherr nicht kennt, das will er nicht nur nicht fressen, sondern auch nicht hören: Also unterdrückten die Europäer in ihren Kolonien das Ausleben der einheimischen Kultur und Musik, bestimmten gar, was überhaupt Kultur genannt werden durfte – und das war in der Regel eben jenes, was sie selbst mitgebracht hatten: „Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium.”
So die Prämisse des Stückes „Bye, Bye Hochkultur” des Ensembles „Familie Rangarang”, das am 23. September im Comedia Theater aufgeführt wurde und den Abschluss des diesjährigen BOHEI-Festivals bildete.
Was ist Hochkultur?
Als „eine musikalische Dekolonisationstragödie” betitelte das Ensemble sein experimentelles Bühnenstück, als „Performance, in der die Deutungshoheit über Kultur neu verhandelt wird.” Was zunächst ehrgeizig und selbstbewusst klingt, bleibt dann in der Ausführung aber leider etwas schwammig: Ausdrucksstarke Tanz- und Bewegungsperformances wechseln sich mit eingespielten Video-Interviews ab, in denen die Protagonisten versuchen, Definitionen zu den Begriffen Hochkultur und Freiheit aufzustellen. Letzterer ist relativ schnell erklärt: „Dass ich denken und sagen kann, was ich will – das ist für mich Freiheit”, sinniert etwa Schauspieler Lasse Borutta.
Wenn es aber um die Hochkultur geht, ist die Begrifflichkeit nicht ganz so flugs auf den Punkt zu bringen: Wer oder was ist diese Hochkultur, die das Stück vom Sockel stoßen und mit einem legeren „Bye, Bye” verabschieden will? Jene Kultur, die von der bildungsbürgerlichen Elite als solche deklariert wird, alles an Kultur, das an elitären Maßstäben gemessen einem gewissen Grad an feingeistiger Bildung entspricht: Literatur, Klassische Musik und sicherlich auch Theater. Und dennoch ist Hochkultur vor allem eines: Eine süffisante Selbstbeweihräucherung desjenigen, der sich selbst in die adeligen Kreise der Hochkultur rechnet, ein hochnäsiger Blick durch die Nickelbrille auf alles herab, was diesem Kreis der subjektiven Beurteilung nach nicht angehörig ist.
Plattitüden verzerren die Aussage
Diesen elitären Kreis will das Stück aufbrechen, will ihn erweitern und die Grenzen zwischen Hoch- und Trivialkultur aufweichen: Alles ist Kultur, was gefällt. Dieser Grundgedanke wird von dem jungen Ensemble schließlich weitergesponnen und mit Ansätzen der Selbstliebe und der Body-Positivity verwoben. Aus der Formel „Gesellschaft minus Hochkultur und soziale Zwänge plus Selbstliebe und Positivität” ergeben sich letzten Endes zwar lieb gemeinte Floskeln, deren Mehrwert allerdings nicht größer wird, nur weil man sie ständig hört: Jeder Mensch ist schön und gut so wie er ist, jeder Mensch ist wertvoll und einzigartig. Dieser Tenor gehört im Jahr 2020 wohl so sicher zu einer Theateraufführung wie die obligatorischen Corona-Maßnahmen, erzählt den Menschen aber im Grunde nichts neues.
„Bye, Bye Hochkultur” ist eine Produktion des Ensembles „Familie Rangarang“ von c.t.201 in Koproduktion mit der Musikschule Bochum, der Flüchtlingshilfe Weitmar und dem COMEDIA Theater Köln, mit Förderung der Stadt Köln und des Landes NRW.
Foto: Ingo Solms