Im Körper des „Feindes“
Draußen war Corona und schloss die Theater, drinnen übten die Ensembles voller Optimismus neue Stücke ein. Jetzt endlich können sie wieder Publikum empfangen. Am kommenden Freitag werden gleich vier Premieren geboten. Mit seinem Dauerbrenner „Der Nazi & der Friseur“ preschte das Freie Werkstatt-Theater am vergangenen Wochenende schon einmal vor. 2016 das stand das Stück erstmals auf dem Spielplan. In der nun 90. Vorstellung – ohne Corona wäre es die 100. gewesen – zeigte sich das Bühnenduo so frisch und spiellustig, als hätte es nie eine Zwangspause gegeben.
Judith Kriebel hat den bizarr-grotesken Schelmenroman von Edgard Hilsenrath inszeniert. Sie kann sich dabei voll auf die Schauspieler Till Brinkmann und Philipp Sebastian als SS-Mann Max Schulz und der jüdische Frisör Itzig Finkelstein verlassen. Immer wieder wechseln beide die Rollen und verschmelzen so zu einer Person. Ein Spiel mit rassistischen Vorurteilen: Denn der Arier Schulz hat die „typische“ Hakennase und das schwarze Haar eines Juden, Finkelstein dagegen ist arisch blond und hat eine glatte Nase.
Bitterböse Groteske in einer Kirmes-Schaubude
Die Bühne erinnert an eine Kirmes-Schaubude, in der zwei clownähnliche, grell schwarz-weiß geschminkte Gestalten in schwarzen Uniformen mit Hakenkreuz-Armbinden auftreten. Sie bieten eine bitterböse Groteske mit Musik, Jonglage und Akrobatik, gelenkig bis hin zum lebenden Hakenkreuz. Synchron bewegen sich die beiden, die als befreundete Kinder in einer Kleinstadt aufgewachsen sind.
Von diesem friedlichen Zusammenleben profitierte vor allem Schulz, der bei Finkelsteins Vater in die Frisörlehre ging und sogar Jiddisch lernte. Finkelstein dagegen war ein „typischer rechtschaffener“ Deutscher, dazu auch noch gebildeter als sein tumber Freund. Doch der lässt sich von den antisemitischen Phrasen fangen, tritt in die SS ein und ermordet – auch als KZ-Wächter – aus „Langeweile ungefähr zehntausend, nur um eine runde Zahl zu nennen, Juden“. Darunter auch die Familie Finkelstein.
Wie aus einem Nazi ein überlebender Jude wird
Um der Justiz zu entgehen, nimmt er nach Kriegsende die Identität seines Jugendfreundes Itzik an, erklärt sich zum KZ-Überlebenden und lässt sich dafür sogar eine Nummer in den Arm tätowieren. Er wandert nach Israel aus und eröffnet dort einen erfolgreichen Frisier-Salon. Wird sogar zum Helden im Sinaikrieg gegen Ägypten.
Eine Entlarvung muss er nicht fürchten – allzu gut hat er seinerzeit „Judentum“ gelernt. Vollends sicher kann er sich fühlen, als ein Staatsanwalt erklärt, eine Leiche sei als die des Max Schulz identifiziert. Vor allem aber: Wenn Schulz noch lebte, gäbe es eine gerechte Strafe für ihn? Könnte sein Tod den vielen Toten das Leben zurückgeben? Mit dieser Schlussfrage lassen sie das Publikum allein.
Die Zuschauer reagieren nach einer kurzen Pause mit langem Beifall für die satirische Verkehrung gängiger deutscher Vergangenheitsbewältigung. Mehr als 20 waren es bei dieser ersten Aufführung jedoch nicht, mehr lassen die aktuellen Corona-Regeln nicht zu. Maskentragen und Abstandsitzen – das Theaterteam achtet penibel auf deren Einhaltung. Möglichst bald wieder mehr Zuschauer sind dem Stück und der gesamten Kölner Theaterwelt zu wünschen.
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Foto: Meyer Originals – „Der Nazi & der Friseur“ im Freien Werkstatt Theater.
Zeiten:
10. Juli 2021:
20:00 Uhr
11. Juli 2021:
18:00 Uhr
Preise:
Eintritt: 19,00 €
Ermäßigt: 12,00 €
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
Freies Werkstatt Theater Köln e.V.
Adresse:
Zugweg 10, 50677 Köln
Kartentelefon:
0221 – 32 78 17
Webseite: www.fwt-koeln.de/de/stuecke/der-nazi-der-friseur
KVB:
Linien 15, 16, 17: Chlodwigplatz