Nein, ich bin noch nicht alt. Ich habe weder das Gefühl, dass ich dank verblassender „Schönheit“ inmitten einer oberflächlichen Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen werde, noch empfinde ich meine freie Zeit als belastend. Ich fühle mich weder aufs Abstellgleis gestellt, noch werde ich von jüngeren Menschen betüddelt oder mitleidig angeschaut. Ich habe noch eine Aufgabe und empfinde keinen Schmerz, wenn ich mir vorstelle, dass ich jene bald nicht mehr ausführen kann. Nein, ich bin noch nicht alt. Aber die Zeit rennt. Und wie wird es in ein paar Jahrzehnten sein? Werden meine Falten mich an den Rand der Gesellschaft drängen? Wird mich meine freie Zeit um den Verstand bringen, weil ich nicht mehr weiß, was ich mit ihr anzufangen habe? Oder werde ich gar einsam vor mich her vegetieren, vor der Glotze sitzend und verblödende Serien konsumierend? In einem auf Profit ausgelegten Altersheim mit zu wenigen kompetenten Pflegekräften unterkommen? Nein, ich bin noch nicht alt. Aber will ich es wirklich werden?

Altwerden erscheint einem wenn man jung ist weit entfernt. Ich bin mir nicht sicher, ob junge Menschen wirklich Angst vor dem Altwerden haben. Oder ob es überhaupt nötig ist. Aber wie ich hörte bekommen einige Menschen, die eine bestimmte Altersgrenze überschreiten, hier und da schonmal die Flatter, wenn die Gedanken um den bevorstehenden Lebensabend kreisen. Also muss da ja schon irgendwas dran sein…

Um diese „Angst“ vor dem Älterwerden ein wenig zu nehmen, positive Ausblicke darauf zu geben und ebenso die Chancen und Möglichkeiten des Altwerdens aufzuzeigen, gründete der Regisseur Michael Barfuss 2012 den Groove@Grufties-Chor in Bonn. Seither bringt die Truppe gemeinsam die Produktion ‚The Rock ’n Rollator Show‘ auf die Bühne, die sich satirisch mit dem Thema Alter auseinandersetzt und dabei schonungslos und knallhart mit sich selbst ins Gericht geht.

Zum ersten Mal habe ich die Inszenierung bei der Theaternacht 2018 gesehen, in der Kurzfassung. Etwa 30 Minuten lang spielte das Ensemble die Highlights aus dem Programm und brachte das Publikum unentwegt zum Lachen. Das war gut, das war klasse und das war ebenso heillos überraschend. Denn eigentlich wollte ich mir nur mal die Volksbühne am Rudolfplatz näher anschauen. Wie konnte ich da erahnen, dass ich solch einen Spaß an dieser beizeiten doch merkwürdig klingenden Produktion finden würde? Konnte sie mich nun in voller Länge ebenso begeistern?

Geprägt war die Show, in der Kurz- als auch in der Langfassung, insbesondere durch die permanenten musikalischen Einlagen, die angepasst waren an das altersintensive Thema der Inszenierung. Songs wie „One Day Baby We’ll Be Old“ oder „Jede Zelle meines Körpers ist glücklich“ ließen sich, meines Erachtens nach, perfekt auf das Altsein adaptieren. Darüber hinaus brachten die Darsteller, welche sich zum größten Teil im Rentenalter befanden, die Lieder auf eine äußerst witzige Art und Weise rüber, sie amüsierten das Publikum offenkundig und ließen sich nur selten anmerken, dass da eigentlich nur Laien auf der Bühne stehen. Rappende und feixend singende Senioren, man sieht solch einen lustigen Haufen nicht alle Tage und er vollbrachte eine allzeit urkomische und gerne auch mal bitterernste Leistung.

Das Zusammenspiel mit vier jüngeren Darstellerinnen, die den Generationenunterschied untermalten und die sich mal als Pflegepersonal betätigten, mal den mahnenden Zeigefinger in Richtung gelangweilter Rentner erhoben, war zudem erfrischend und ergänzte sich gut, man spürte kaum, obwohl ersichtlich, einen Altersunterschied. Generationenkonflikt? Nicht hier zumindest, im Gegenteil. Toller Gesang und satirisches Schauspiel aller Akteure animierten das Publikum des Öfteren mitzusingen und selbst interaktiv in die Inszenierung einzugreifen.

So wurden die Zuschauer in einer Szene beispielsweise dazu angehalten aufzustehen und mitzutanzen, was sich kaum einer ein zweites Mal sagen ließ. Die Stimmung kochte hoch, fast alle machten mit (außer einem griesgrämig dreinblickenden Paar in der Reihe vor mir) und der Zuschauerraum verwandelte sich für kurze Zeit in eine Tanzfläche. Später wurden Jugendfotos der Schauspieler aktuellen Fotos gegenübergestellt, welche die Veränderungen, die die Zeit mit sich bringt, zeigten und die ebenso zum Nachdenken als auch zum Lächeln anregten. Ein Lächeln, das mir persönlich während der etwa eineinhalbstündigen Aufführung kaum aus dem Gesichte wich. Und soweit ich es in meinem näheren Umfeld erblicken konnte, war ich damit weiß Gott nicht alleine.

Zum Ende hin hätte ich mir jedoch ein wenig mehr Abwechslung gewünscht. Gerade im letzten Fünftel folgte ein Song auf den nächsten, irgendwie fehlte mir eine kurze schauspielerische Einlage zwischendurch, die klarere Grenzen geschaffen hätte als die kurzzeitige Verdunkelung der Bühne, die für diese Abgrenzung sorgen sollte. Die zwei Zugaben, die von den Zuschauern lautstark gefordert wurden, zähle ich hierbei mal raus, denn die gehören einfach dazu und sie haben einfach gerockt.

Alles in allem wurde das gesteckte Ziel also erreicht. Denn genau das wollte die Produktion ausdrücken: Sie wollte zeigen, dass man auch noch im Alter rocken und das Leben genießen kann. Sie wollte zeigen, dass man auch im Alter selbstkritisch mit sich sein muss, mit der Zeit gehen und nicht alles allzu ernst nehmen sollte. Und das kam raus, und wie. Eine etwas ungewöhnlichere Ensemblezusammenstellung, als man es als gängiger Theatergast beizeiten gewohnt ist, rockige und lustig dargebotene Lieder und Geschichten und eine tolle Bühnenausstrahlung der Schauspieler, all das kumulierte in einem wahnwitzigen Abend.

Habe ich mich mit meinen 30 Lenzen bei der ganzen Thematik des Älterwerdens angesprochen gefühlt? Nein, denn dafür bin ich wohl noch nicht alt genug. Hat es mir trotzdem gefallen? Absolut. Und habe ich nun ein bisschen weniger Angst vorm Älterwerden? Nun ja, die hatte ich sowieso noch nie. Aber jetzt bin ich mir vollends bewusst, dass man sich auch als Rentner wie ein echter Rockstar fühlen kann. Und das vielleicht sogar eher als so manch Einer es im jugendlichen Alter vermag zu tun. Daumen hoch!

Fotos: Thilo Beu

Mehr Informationen und eine Übersicht über die nächsten Aufführungen bekommt ihr hier: ‚The Rock ’n Rollator Show‘

Diesen Artikel weiterempfehlen: