Aus Klein ward Groß

Eine Lesung der ganz besonderen Art – nicht nur durch seinen körperlichen Einsatz – liefert Peter Miklusz im Schauspiel mit Günter Grass’ „Die Blechtrommel“. Er schafft es nicht nur, die Spielzeit größtenteils auf einem Trampolin hüfend zu verbringen, er bringt auch das Publikum trotz Maskenpflicht zum Mitsingen. Doch nicht allein dafür gibt’s nach knapp 80 Solo-Minuten langen Beifall. 

Im Mittelpunkt steht der Originaltext. In seinem Roman erzählt Grass die Geschichte des kleinen Oskar: Der beschließt mit drei Jahren, nicht mehr zu wachsen. Seine ständigen Begleiter werden immer wieder neue Blechtrommeln. Wenn er darauf spielt, bekehrt er sogar die Besucher einer NS-Veranstaltung im frisch von den Deutschen besetzten Danzig von Marschmusik zu beschwingtem Walzertanz – in Köln hilft ihm dabei das Publikum und singt den Zarah-Leander-Durchhalte-Hit „Davon geht die Welt nicht unter“. Außerdem kann er mit seiner Stimme Glas zum Zerspringen bringen. 

Schließlich ist er noch am Tod dreier Menschen beteiligt: dem seiner Mutter, deren Liebhaber und seinem biologischen Vater sowie – ganz bewusst und tatkräftig – seinem Stiefvater. Den Krieg übersteht er in der Truppenbetreuung. Nach dessen Ende beschließt er zu wachsen – und verdoppelt seine Körpergröße immerhin auf 123 Zentimeter. 

Solodarsteller Peter Miklusz lebt den Text mit vollem Einsatz 

Unter der Regie von Marie Schleef trägt Miklusz die wichtigsten Textstellen vor. Besser: Er lebt sie mit vollem Körpereinsatz, Mimik und Gestik (und natürlich mit bester Sprechkunst) auf dem runden Trampolin, das die dunkle Bühne beherrscht. Ein trotziges kleines Kind: Um im Leben zu bestehen, muss Oskar in Bewegung bleiben, muss in allen Lagen springen oder hüpfen. 

Nur selten darf er dieses „Gefängnis“ verlassen. Dann muss er unter Umständen minutenlang Seilchen springen. Wenn’s im Leben ernst wird, trägt er Anzug, wenn’s heftig und ganz persönlich wird, darf er sich im Sportlertrikot zeigen. Und wenn er seine Liebe zu Maria entdeckt, der Angestellten des Stiefvaters, zieht er blank. 

Frauenschicksale ergänzen das literarische Bild von Oskar 

Schleef erweitert für die Zuschauer Oskars kritische „Monolog“-Sicht auf die Zeitläufte mit weiblichem Blick. So werden parallel zu Oskars Leben etwa Stationen aus dem Leben von Anne Frank auf einem Monitor eingeblendet. Oder – als ihm die Anwendung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ droht: Sterilisierung oder „Euthanasie“ – das Schicksal eines kleinwüchsigen ungarischen Mädchens, das von Auschwitz-Arzt Mengele zu medizinischen Experimenten missbraucht und ermordet wird. Schließlich das der ebenfalls kleinwüchsigen jüdischen Artistin Perla Orvitz, die die Verfolgung überlebt und nach Israel auswandern konnte. 

Nebenbei wird noch erklärt, wie Schall Glas zertrümmern kann. Oder warum Licht Nachtfalter anzieht. Ein in jeder Hinsicht also nicht nur unterhaltsamer Abend, sondern auch einer, der die gewohnte Sicht auf die „Blechtrommel“ – nicht zuletzt geprägt durch den Oscar-preisgekrönten Schlöndorff-Film – auf originelle und eigenwillige Art erweitert. 

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Foto:  Tommy Hetzel – Auf dem Trampolin der Welt getrotzt: Peter Miklusz als Oskar Matzerath in „Die Blechtrommel“. 

Zeiten:

15. Juni 2021
20:00 Uhr

16. Juni 2021:
20:00 Uhr

25. Juni 2021:
20:00 Uhr

Preise:

Bereits alle Vorstellungen ausverkauft! Eventuell Restkarten an der Abendkasse.

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Schauspiel Köln
Adresse:
Depot 2; Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Telefon: 0221 – 221 284 00
Webseite: www.schauspiel.koeln/spielplan/spielplan/die-blechtrommel
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appelhofplatz

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