Eine Wohnung, bitte.
Der Mangel an bezahlbaren Wohnungen ist nicht erst seit dem jüngsten Bundestags-Wahlkampf ein Thema. In Ballungszentren sind bei Wohnungsbesichtigungen lange Interessentenschlangen künftiger Mieter oder Käufer schon seit Langem üblich. Den Dramatiker Thomas Melle hat das zu seinem satirischen Mosaik „Die Lage“ inspiriert. Das wird jetzt im Freien Werkstatt-Theater aufgeführt. Sehr zur Freude des Publikums, das sicher ähnliche Erfahrungen auf dem Kölner Wohnungsmarkt gemacht hat.
Jeder Zuschauer dürfte es aus eigener Erfahrung oder von Freunden kennen: Der Fragebogen der Makler für die künftigen Mieter oder Wohnungsbesitzer ist lang. Da wird nach dem Beruf gefragt, dem Arbeitgeber, dem Einkommen (manchmal auch das der Eltern), nach Kinderwünschen oder dem Stand der Beziehungen. Peinliche Fragen bis ins Intimste.
Eine Revue der Wohnungsbesichtigungen
Eine Situation, die Melle in verschiedenen Konstellationen variiert. Da täuschen Man und Frau eine geplante Heirat vor, um die Wohnung zu erhalten. Das mag realistisch sein, vielleicht auch noch, dass eine Interessentin ihrem Partner den Stückelschuh ins Auge haut – den hat sie ausgezogen, um das Parkett nicht zu beschädigen.
Absurd wird es, wenn ein Schlaftest verlangt wird – offensichtlich ist die angebotene Wohnung hellhörig und Schnarchen könnte die Hausgemeinschaft stören. Und um im Wettbewerb zu siegen, wird auch minutenlang lustgestöhnt. Das sorgt beim Publikum genauso für Lacher wie der Streit eines Paares über das richtige Klo: Flachschüssel oder englisches Plumpsklo. Von japanischer Toilettenkultur ganz zu schweigen.
Einige Makler geben sich sogar sozial. Doch wer einmal obdachlos war, hat ebenso wenig eine Chance wie der, dem die Schufa schlechte Noten gibt. Wenn der Vormieter noch ein Zimmer in der noch leeren Wohnung bewohnt – egal
Der Makler lädt zur Casting-Show
So wird der Kampf um die Wohnung zur Casting-Show. Klar ist: Wer sich dem entzieht, ist raus aus dem Wettbewerb. „Der Markt gibt es her“, stellt der Makler energisch klar. Deshalb bleibt den Interessenten am Ende nichts anders übrig, als sich auszuziehen. So stehen am Ende alle im schwarzen Body auf der Bühne – auch die Maklerin, denn die ist nur eine arme Verkäuferin.
Ihr Geschäft funktioniert nach Angebot und Nachfrage. Und ist die Nachfrage höher als das Angebot, steigen bekanntlich die Preise. Der Haken an der Sache: Auf dem Wohnungsmarkt kann das Angebot nicht schnell und nach Belieben erhöht werden. „Klassische“ Marktwirtschaft funktioniert hier nicht, wer kein Geld hat, hat keine Chance auf eine (bessere) Wohnung. Und wer Geld hat, dem ist es egal, ob er bestehende soziale Strukturen oder Landschaft zerstört. Auch wenn sich das Gewissen regt und man die reiche Erbschaft lieber verschweigt.
Galgenhumor lässt die Lage ertragen
„Die Miete ist die soziale Frage unserer Zeit“, heißt es im Stück. Doch liefert es keine Analyse, schon gar keine Lösung und bestenfalls subkutane Systemkritik. Auch wenn am Schluss zum Bau von Barrikaden aufgerufen wird, der Beton brennen soll: Das Stück ist kein Aufruf zum (Klassen-)Kampf. „Die Lage ist unverändert, ist ewig“, stellt das Schlusswort fest. Und damit ist diesmal nicht die Lage der Wohnung in einem begehrten gentrifizierten Veedel gemeint…
An diesem Abend überwiegt der Galgenhumor, der belustigte Blick auf die Lage. Und der gelingt dank des spielfreudigen Bühnenquartetts Charles Ripley, Mirjam Radovic, Anja Jazeschann und Michel Kopmann. Unter der Regie von Kay Link liefert es eine abwechslungsreiche Show. Ein Perückenwechsel reicht, und schon ist die Person eine ganz andere. Mal demütig, mal arrogant, mal verquält, mal selbstkritisch, mal verlogen, mal vorsichtig mutig. Einfach perfekt.
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Foto: Dieter Jacobi – Die Wohnungsinteressenten Michel Kopmann, Mirjam Radovic, Charles Ripley (V.l.) verhakeln sich bei der Besichtigung im Lageplan von 3 ZKDB.
Zeiten:
21. November 2021:
18:00 Uhr
8. Dezember 2021:
20:00 Uhr
11. Dezember 2021:
20:00 Uhr
12. Dezember 2021:
18:00 Uhr
Preise:
Eintritt: 20,90 €
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
Freies Werkstatt Theater Köln e.V.
Adresse:
Zugweg 10, 50677 Köln
Kartentelefon:
0221 – 32 78 17
Webseite: https://www.fwt-koeln.de/veranstaltung/die-lage-20211121
KVB:
Linien 15, 16, 17: Chlodwigplatz