Die Tore des Depot 1 öffnen sich. Eine Menschentraube trottet heraus, deren Gesichtszüge einen Gefühlsmix zwischen nachdenklich, müde und erheitert abbilden. Unter ihnen sind vier Personen, die aus der Reihe tanzen. Vier Personen, die von ihrem Schöpfer losgelassen wurden, sich selbst auf der Bühne zu erblicken. Drei von ihnen, die Männer, tragen einen Waffenholster mit Pistolen um die Hüften, die Frau unter ihnen trägt ein glitzerndes, extravagantes Abendkleid. Während die Menge lustig durcheinander quatscht und ihren Gedanken über das soeben Gesehene freien Lauf lässt, schweigen die vier. Es sind keinerlei Gefühlregungen zu erkennen. Franz ist der erste, der das Schweigen bricht.

Franz: Das war komisch.
Karl: Wieso? War doch klasse!
Franz: Hast du Augen in dem Ding, das du Gesicht nennst? Wir waren Frauen. Frauen! Wie kann man uns, MICH, nur so darstellen?!
Karl: Hat dich das gestört? War doch intelligent und unterhaltsam umgesetzt. Und du warst endlich mal hübsch.

Amalia, Hermann und Karl lachen. Franz schaut sie böse an.

Franz: Jaja, Mr. Everyone’s Darling. Ich fand es widerwärtig! Einen strammen, muskulösen, stattlichen Mann, den hätte die Regie für mich aussuchen müssen!
Amalia: Das würde dann aber auch nicht der Realität entsprechen…
Hermann: Höre nicht auf die beiden, gnädiger Junker. Solch eine Rolle wäre Deiner gerecht geworden.

Hermann redet wild gestikulierend im Hintergrund auf Franz ein. Franz brüstet sich, sieht zufrieden aus.

Karl: Du hast mir aber auch gut als Mann gefallen, meine Liebe.
Amalia: Findest du? Ich fand es ein wenig ungewöhnlich, ein bisschen gewöhnungsbedürftig. So hatte ich mich noch nie selber gesehen. Wieso haben die das so verarbeitet?
Karl: Wahrscheinlich um darzustellen, dass Rollenzuschreibungen nichtig sind, keine Rolle spielen. Warum auch nicht sollte eine Frau den Posten eines Hauptmannes in einer Räuberbande einnehmen können? Wahrscheinlich wärst du als Hauptmann nur umso gerissener, würdest uns alle in Grund und Boden kommandieren.

Karl zwinkert Amalia zu, die schlägt ihm gegen die Schulter.

Amalia: Das könnte ich nicht. Nie! Das, was du getan hast, Karl. Das wäre nichts für mich. Zwar kann ich die moralische Verwerflichkeit deiner Taten nicht gutheißen, aber immerhin haben mir die abgespielten Videos den kameradschaftlichen Zusammenhalt in eurem Verbund vor Augen geführt.
Karl: Wirklich? War der Anteil der Videos nicht ein wenig zu hoch? Auch wenn mir die gegenseitige Bedingung von Theater und filmischer Zuspielung sehr zugesagt hat, so war die Nutzung jener doch ein wenig redundant, oder nicht?
Amalia: Nein. Sie haben deine nette, liebenswerte Seite gut in den Vordergrund gestellt. Dein Leiden, deinen Kampf, den wollte ich nicht sehen…
Karl: Aber darum ging es doch! Und so erging es mir auch. Sie mussten zeigen, dass Idealismus und Zerstörung nah beieinander sind, dass sie beizeiten voneinander abhängig sind. Die Grenzen sind schwimmend, sind kaum voneinander zu unterscheiden. Was wäre ein Idealismus wert, ohne die Bereitschaft Grenzen überschreiten zu wollen?
Amalia: Gewiss. Doch die Grenze, die du überschritten hast, war die falsche.
Karl: Wohl wahr. Manchmal gewinnt der Wahnsinn die Überhand, die Gleichgültigkeit, der Groll. Die Verachtung. Der Hass. Glaube mir, meine Teuerste, solch ein Verhalten wird mich niemals mehr einholen. Eher werde ich sterben.

Franz und Hermann kommen von hinten heran. Franz legt Karl seinen Arm über dessen linke Schulter.

Franz: Selbstmord ist eine Todsünde!
Karl: Neid auch.
Franz: Meinst du mich? Ich bin nicht neidisch! Auf wen sollte ICH denn neidisch sein?

Karl und Amalia schauen sich an. Sie prusten los vor Lachen. Die Lobby ist mittlerweile voller Menschen, die sich über das Theaterstück unterhalten. Einige schauen verwundert, einige verächtlich auf das lachende Paar.

Amalia: Du bist der größte Neidhammel, der hier rumläuft.
Franz: Schweig, Weib!
Karl:  Halte ein! Kannst du dich nicht ein Mal…

Franz beäugt Amalia böswillig und lüstern zugleich. Karls Worte gehen an ihm vorüber.

Franz (flüsternd): Du wirst auch noch MEIN sein.
Amalia: Was?
Karl: Was?
Franz: Was?

Amalia und Karl blicken verdutzt drein. Franz zieht Hermann zu sich heran.

Franz: Hol‘ mir etwas zu trinken! Einen Champagner, den hätte ich gerne.

Amalia schließt sich Hermann an, will für Karl und sich auch etwas bestellen. Franz wendet sich an Karl.

Franz: Bruderherz, ich fand es großartig, dass du als Bösewicht dargestellt wurdest.
Karl: Hm? Hast du das Stück überhaupt verstanden? Es handelte von dem unbändigen Willen frei sein zu wollen, ungeachtet gesetzlicher Vorgaben. Dieser Punkt sollte vor allem durch meine Rolle vermittelt werden. Du selbst, du hast dich auf der Bühne in deinen eigenen Fesseln gesuhlt.
Franz: Pah, wer braucht schon Freiheit? Es ist das Geld, das glücklich macht. Der Besitz.
Karl: Siehst du. Aus diesem Grunde wirst du nie ein Großer werden. Und aus diesem Grunde wirst du auch nie den Monolog am Ende der Aufführung verstehen.
Franz: Den Monolog? Der, der mit einem riesigen Zeigefinger herumgewedelt hat? Der hat ganz und gar nicht zu der Aufführung gepasst!
Karl: Zeigefinger? Mitnichten. Es war ein Spiegel; und mit Spiegeln können die meisten nicht gut umgehen. Es tut schon weh, darauf aufmerksam gemacht zu werden, dass man nicht frei ist, oder? Gefesselt an das Kapital, an gesellschaftliche Vorgaben, die die eigene Entfaltung leiten, sie nicht zulassen. Fesseln, die sich hinter fadenscheinigen Rechtfertigungen verstecken und die von einzelnen Menschen genutzt werden, um andere Menschen zu ködern. Fesseln, die das Prinzip der Demokratie ad absurdum führen und die Menschen kategorisieren, unterscheiden, voneinander entfernen. Kann man gut finden, solch eine Einspielung, muss man aber nicht. Eine moralische Erhabenheit konnte ich darin aber weiß Gott nicht erkennen, im Gegenteil. Ich fand es passend, vor allem zum Thema des Stücks. Und mutig, in höchstem Maße gewagt. Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

Amalia und Hermann kommen zurück, mit jeweils zwei Gläsern in der Hand. Karl steckt sich eine Zigarette an. Franz trinkt direkt einen großen Schluck, sein Glas ist fast leer. Mit einem einzigen Schluck…

Franz: Bruderherz, wieso sollte ich frei sein wollen, wenn es die Gesellschaft ist, die mir den Hintern hinterherträgt und durch die ich keinen einzigen Finger zu krümmen brauche? Mir geht es gut, mehr möchte meiner Einer gar nicht erreichen.

Franz springt auf die Theke, plustert sich auf und beginnt eine Rede.

Franz: Höret mir zu, Theaterpöbel. Welchen Sinn hat Freiheit? Was gibt sie euch? Es geht uns gut, wir leben im Wohlstand, was brauchen wir mehr? Was wollt ihr? Mehr Geld? Einen Fernseher auf der Toilette, Sitzheizung im Auto? Gehet arbeiten, und ihr werdet…

Eine Glasflasche fliegt aus der Zuschauermenge heraus auf Franz zu und trifft ihn am Kopf. Blut spritzt sogleich aus der Platzwunde und verteilt sich über den Tresen. Franz wankt und fällt vornüber, das Glas in seiner Hand zerspringt in tausende Scherben. Amalia, Hermann und Karl eilen besorgt zu ihm hinüber. Der Pöbel schweigt.

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Auszug aus der Vorrede des Dramas ‚Die Räuber‘:
„Der Pöbel, worunter ich keineswegs die Gassenkehrer allein will verstanden wissen, der Pöbel wurzelt (unter uns gesagt) weit um und gibt zum Unglück – den Ton an. Zu kurzsichtig, mein Ganzes auszureichen, zu kleingeistisch, mein Großes zu begreifen, zu boshaft mein Gutes wissen zu wollen, wird er, fürcht ich, fast meine Absicht vereiteln, wird vielleicht eine Apologie des Lasters, das ich stürze, darin zu finden meinen und seine eigene Einfalt dem armen Dichter entgelten lassen, dem man gemeiniglich alles, nur nicht Gerechtigkeit widerfahren läßt.“
Friedrich Schiller, 1781.

Fotos: Birgit Hupfeld

Zeiten:

19. Februar 2020:
19:30 – 22:50 Uhr
letzte Vorstellung!!

Preise:

ab 11,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Schauspiel Köln
Adresse: Depot 1; Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Telefon: 0221 – 221 284 00
Webseite: www.schauspiel.koeln/spielplan/premieren/die-raeuber
KVB: Linie 4: Keupstraße

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