Erste Premiere als Livestream

„Verdammte Schweine!“ Mit diesem Fluch beginnt im Schauspiel das Stück „Früchte des Zorns“ nach dem Roman von John Steinbeck. Die Geschichte einer Familie, die von Kapitalismus und technischem „Fortschritt“ in die Armut getrieben wird. Eine Geschichte, von Petschinka bearbeitet und von Rafael Sanchez mitreißend und aufwühlend im Depot 2 auf die Bühne gebracht.

Die USA in den 1930er Jahren. In den Staaten des Mittleren Westens treiben Missernten, zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und reiche Großgrundbesitzer die kleinen Pacht-Farmer in den Ruin. So auch die drei Generationen-Familie Joad. Sie muss ihre Farm in Oklahoma verlassen, sucht wie gut eine Viertelmillion anderer Menschen in unendlichen Autoschlangen ein besseres Leben im fernen Kalifornien. Das strahlende Neonschild „Route 66“ weist in Köln den legendären Weg ins erhoffte Paradies.

Kontrollen schüchtern die ungeliebten Durchreisenden ein

Auf dem Weg dorthin durch die anderen US-Bundesstaaten werden die Heimatlosen alles andere als willkommen geheißen und mit Kontrollen schikaniert. Endlich auf den Obstplantagen Kaliforniens angekommen, warten auf dem Arbeitsmarkt aus Übersee angeheuerte Konkurrenten auf sie. Die verschiedenen Gruppen werden gegeneinander ausgespielt, so die Löhne gedrückt und mögliche Solidarität verhindern die Arbeitgeber durch durch bezahlte Provokateure. Ein historisches Umfeld mit durchaus aktuellen Bezügen: Klimakatastrophen, Fremdenhass, Arbeitskämpfe.

„Verdammte Schweine!“ Mit diesem Fluch auf den Lippen schießt Großmutter (innerlich zermürbt: Birgit Walter) auf alle, die sie von ihrer Farm vertreiben wollen. Zum Glück trifft sie nicht, denn es ist der Prediger – ein bigotter Martin Reincke, der daneben mit seiner knarzigen Stimme kapitalismuskritische Erklärungen des Geschehens gibt. Sie allerdings stirbt auf der Reise. Die männlichen Familienmitglieder (Vater: Stefko Hanushevsky, der ältere Sohn Tom: Sean McDonagh, dessen jüngerer Bruder Al: Justus Maier, und Elias Reichert als Connie, Freund von Tochter Rose) stehen im Kampf ums Überleben im Schatten der Frauen. Am Ende aber ernten alle statt Pfirsichen und Weintrauben nur Früchte des Zorns.

Live-Musik treibt die Handlung voran

Auch wenn sie als Familie den Zusammenhalt suchen, steht jeder letztlich für sich allein. Dafür steht auch die corona-gerechte Bühne (Thomas Dreißigacker), auf der allzu enge Kontakte zwischen den Ensemble-Mitgliedern vermieden werden können. Auf drei schmalen, querlaufenden Ebenen verteilen sich Spielorte. Und wenn einmal das Depot 2 verlassen wird oder sich die Akteure im Hintergrund verstecken, folgt ihnen die Kamera und überträgt live und hautnah auf den durchscheinenden Vorhang. Doch diese „Vereinzelung“ wird durch die Energie des Ensembles und die Dichte der Inszenierung aufgehoben, die die Zuschauer nicht loslässt. Nicht zuletzt trägt dazu Live-Musiker Pablo Giw bei, der die Stimmung der Handlung über die 140 Minuten Spielzeit verstärkt und vorantreibt.  

Am Schluss dann der berührendste Moment und die menschlichste Geste – gerade von denen, die schon alles verloren haben: Rose hat eine Totgeburt, auf der Flucht vor der Flut trifft sie in einer Scheune auf einen fast verhungerten Mann – und reicht ihm ihre Brust.

Eine Szene, die sich im Dunkeln auflöst. Es dauert etwas, bis das Publikum – maskengeschützt und dicht an dicht – reagiert. Das Stück hatte schon im vorigen Jahr Premiere, allerdings nur im Livestream. Umso begeisterter wurden jetzt alle Beteiligten mit langem Beifall bei der Live-Premiere gefeiert. Live und analog.

————————

Fotos: Krafft Angerer

Zeiten:

8. Februar 2022:
20:00 Uhr

11. Februar 2022:
20:00 Uhr

12. Februar 2022
20:00 Uhr

Preise:

Tickets: ab 20,70 Euro

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Schauspiel Köln
Adresse:
Depot 2; Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Telefon: 0221 – 221 284 00
Webseite: https://www.schauspiel.koeln/spielplan/spielplan/2022-02/fruechte-des-zorns/678/
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appellhofplatz

Diesen Artikel weiterempfehlen: