Späte Würdigung Keuns

Irmgard Keuns Leben als Vertreterin der Weimarer „Neuen Sachlichkeit“ sowie als spät entdeckte Vorreiterin der zeitgenössischen feministischen Literaturbewegung war mehr ein tragisches denn ein erfolgreiches. Mit ihrem ersten Roman Gilgi , eine von uns erlangte sie in der späten Weimarer Republik (1931) zwar über Nacht Berühmtheit, die Machtergreifung der Nationalsozialisten führte sie dann jedoch ins Exil und ab diesem Zeitpunkt an versuchte Keun immerzu vergeblich an vergangene Erfolge anzuknüpfen. Fortan lebte sie lange Zeit in bitterer Armut, sie kämpfte mit ihrem eigenen künstlerischen Anspruch und mit massiven Alkohol- und Medikamentenproblemen und geriet lange Zeit in Vergessenheit. Erst in den 80er-Jahren rückten Keuns Werke wieder in den Fokus, sie als Schriftstellerin erlebte eine Renaissance und endlich erkannte man den literarischen Wert ihrer Arbeiten. Auf diesen Zug springt ebenso die Produktion Gilgi|Keun – Eine von uns auf, derzeit am Theater der Keller laufend und den Widerspruch zwischen Keuns Werken und ihrer eigenen Biografie zum Gegenstand der Diskussion erhebend. Eine Produktion, die über die Grenzen des Autobiografischen hinausgeht und die das komplizierte Leben Keuns geradezu inhaliert.

Verloren in der Biografie

Zeit ihres Lebens war die in Berlin geborene Schriftstellerin dafür bekannt, Angaben über ihr eigenes Leben nicht allzu genau zu nehmen. Zwei der bekanntesten Beispiele dafür sind ihr Schwindel um das eigene Alter und der Umgang mit ihrem vermeintlichen „Verlobten“ Arnold Strauss. Bei der Veröffentlichung ihres ersten Romans Gilgi, eine von uns gab die 26-jährige Newcomerin an, fünf Jahre jünger zu sein und damit das Alter ihrer Protagonistin Gilgi zu haben. War Keun also Gilgi, nur verschriftlicht, und hatte die Darstellung der Figur gar autobiografische Züge? Lange blieb der Schwindel unbemerkt, in Köln, wohin sie mit ihrer Familie 1913 zog und wo sie 1982 verstarb, feierte man zu ihren Ehren gar statt ihres 75-jährigen Geburtstags ihren 70. Geburtstag.

Die Geschichte mit Arnold Strauss hingegen war ein Spiegel ihrer eigenen Lebensumstände und vom Grundsatz her ein beliebter Gegenstand, den sie immerzu in ihren Arbeiten verwendete. Zu diversen Gelegenheiten versprach sie jenem, der sie lange Zeit finanziell über Wasser hielt, eine Heirat, verschwieg aber dennoch eine Liebesbeziehung mit dem Schriftsteller und Journalisten Joseph Roth. In zahlreichen Briefen beschwichtigte sie ihn, log ihn an, und nach ihrer illegalen Rückkehr nach Deutschland verschwand sie komplett aus seinem Leben. Die Sehnsucht nach Anerkennung und Erfolg, das Lügen aus der Not heraus, verworrene Selbstinszenierungen gehörten zu Keuns Leben ebenso dazu wie der literarische Kampf gegen den Nationalsozialismus oder das Auskosten der schönen Seiten des Lebens.

Gilgi? Oder Keun?

Ähnlich verwirrend verläuft auch die Inszenierung im Theater der Keller. In Person der Schauspielerin Renate Fuhrmann erscheint Keun selbst auf der Bühne und agiert unentwegt mit ihrer eigenen Kreation Gilgi (Amelie Barth), spielt deren Mutter, gibt ihr Tipps im Umgang mit Männern, sie kommandiert sie herum, kommentiert das Leben ihrer eigenen Schöpfung und immer wieder vermischen sich dabei Fiktion und Wirklichkeit, denn sowohl Gilgi als auch Irmgard Keun ist anzumerken, dass sie aus der Starre ihrer eigenen Wirklichkeit herauszubrechen versuchen. Dabei scheitern sie allerdings größtenteils, denn Gilgi kann sich nur schwerlich vom Einfluss ihres Freundes Martin (Matthias Lühn) loseisen und auch Keun bleibt nur der unerbittliche Gang zurück an ihren eigenen Schreibtisch, stets konfrontiert mit ihrem eigenen Wunsch nach Erfolg und Selbständigkeit. Die Inszenierung schafft es dabei vom ersten Moment an, eine realistisch wirkende Irmgard Keun auf der Bühne zu erschaffen, was zweifelsfrei der überragenden Leistung Fuhrmanns zuzusprechen ist. Gilgi auf der anderen Seite bricht immerzu aus ihren eigenen Beziehungskonstrukten aus und verschlimmbessert damit das Dilemma der Aufführung: Die Grenzen zwischen Fiktionalität und Wirklichkeit verschwimmen, im Laufe der Inszenierung verstärkt sich das selbst inszenierte Zwischenspiel der beiden Ebenen immer mehr und als Zuschauer ist einem nicht mehr bewusst, ob dies nun Gilgi|Keun ist, die dort auf der Bühne steht, Keun|Gilgi oder einfach nur Gilgi|Gilgi – und gerade dieser Aspekt hält die Inszenierung ungemein auf Trab, bei meinem Besuch war das Publikum durchweg gebannt und geradezu elektrisiert, man ist gezwungen das Geschehen stets aufmerksam zu verfolgen.

Während die beiden Schauspielerinnen also eine wahre Meisterleistung abliefern, so steht Matthias Lühn als Gilgis Freund Martin dem in nichts nach, auch wenn der männliche Part im femininen Powerplay beinahe in den Hintergrund zu geraten droht. Die Chemie zwischen Martin und Gilgi ist zum Greifen spürbar; und das selbst in dem weitläufigen, industriellen Areal, welches die Halle der Tanzfaktur offenlegt. Die Musik, deren Komposition und Entstehung für Allemann nachvollziehbar vom Bühnenrand einsehbar ist, spiegelt einen Durchbruch zwischen den 30er-Jahren und der Moderne wider und unterlegt den Konflikt, den sich Keun mit ihrer eigenen Schöpfung auferlegt hat. Dieses Bild wird durch die genutzten Kostüme sinnbildlich erweitert und ein wenig fühlte ich mich in die Zeit, in der Keun ihren Roman verfasste, zurückversetzt.

Nein, man muss Gilgi, eine von uns nicht unbedingt kennen, um die Inszenierung hinlänglich zu verstehen. Ein wenig Hintergrundwissen zu Keuns verworrener Biografie ist allerdings nicht verkehrt, um auch alle Szenen in ihrer gewollten Natur verstehen zu können. Und so bleibt die Produktion Gilgi|Keun – Eine von uns genau das, was sie wohl von Anfang an beabsichtigt: Ein Verwirr- und Suchspiel zwischen Emanzipation feministischer und persönlicher Lebenswirklichkeiten, die ihre eigene Daseinsberichtigung suchen und die das Publikum dadurch auf eine Reise in Keuns tragisches und zugleich erfülltes Leben mitnehmen. Von meiner Seite aus eine klare Empfehlung!

Foto 1: Teona Gogichaishvili
Foto 2 + 3: Eleonora Pedretti & Marina Diez Schiefer

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Theater der Keller e.V.
Adresse: Siegburgerstraße 233w, 50679 Köln
Webseite: www.theater-der-keller.de/index.php/gilgi-90
KVB: Linie 7: Poller Kirchweg

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