Warum wurde der Begriff der Hysterie eigentlich noch nicht zum Wort des Jahres gewählt? Gerade im letzten Jahrzehnt hätte das doch ganz gut gepasst. Ahh, zu wenig Wachstum! Ohh, alte weiße Männer! Ahh, irgendwas was mich eventuell diskriminieren könnte! Wo ist die Diskussionsgrundlage geblieben, die auf Umsicht und Respekt gegenüber anderen Meinungen münzt und die überall gepredigt wird? Lieber Wein trinken? Ist ja kein Wunder, dass sich auch das Theater mit der Thematik auseinandersetzt und so wagt sich das ELMAthereile-Kollektiv mit ihrer Produktion „Hysteria“ in satirischer Manier den vermeintlichen Themen unserer Zeit: Macht und Geschlecht. Wird wirklich alles besser, wenn nur noch Frauen in Machtpositionen stecken? Welche Komplexe würde das männliche Geschlecht davontragen, wenn dem wirklich so wäre? Und wäre das eine Utopie? Oder eher eine Dystopie?
Mal frei heraus: Wer will schon in einer Utopie leben? Klar, in einer Dystopie erst recht nicht, aber eine heile, pinkangemalte Welt, will man das wirklich haben? Wie trist wäre es, hätten alle die gleichen Ideale und Meinungen? Und wäre das Leben nicht unglaublich langweilig und durch diese kollektive Einstimmigkeit extrem gefährdet? Auf so eine Kommunisten-Nummer kann ich persönlich getrost verzichten und das ist auch ein Grund, weshalb ich kein Fan von unnötigen Vorschriften und moralischer Bevormundung bin. Ohh, ob das jetzt wohl irgendjemandem sauer aufstößt?
Die „Hysteria“-Inszenierung kam mir also wie gerufen, ich war gespannt auf die Verarbeitung des Themas. Schaffte es die Produktion einen Mittelweg zu finden oder schlug sie wie viele Menschen in ein- und dieselbe Kerbe und verdrängte das Problem hysterisierender Hyperventilation auf Nichtigkeiten? Schon beim Lesen des Pressetextes musste ich laut auflachen, stand dort doch: „Der Mann erwacht als unterdrücktes Wesen in einer Welt, in der Schweine das Leben gebären und die Testosterondosis stets kontrolliert wird.“ Das fand ich auf Anhieb genial, denn dieser Satz ließ mich eine satirische Achterbahnfahrt erwarten, in der ich unangeschnallt gleich mehrere Loopings vollziehen dürfte. Gleichzeitig ließ er mich aber auch schaudern. Sollte ich mich nicht lieber peinlich berührt angegriffen fühlen und mich mit einem Proteinshake in den Schlaf weinen?
Grundsätzlich hat mir das, was ich gesehen habe, extrem gut gefallen. Das Schwein, das von dem Kollektiv immerzu herangezogen wurde, schlüpfte in weibliche und männliche Rollen, hier und da verlor ich immer wieder den Überblick, wer denn nun ein Schwein sei und was es zu bedeuten habe. Die Mannsbilder wurden in der Inszenierung fortwährend sowohl von ihrer eigenen Männlichkeit als auch von machtbesessenen Weibsbildern unterdrückt und verloren damit im Laufe dessen mehr und mehr ihre Souveränität, ihre Eigenschaften und fristeten ein bedeutungsloses Dasein. Das gefiel den Weibsbildern in ihrer theatralischen Rolle natürlich und so kam es, wie es kommen musste: sie nutzten ihre Machtstellung rigoros aus und wurden Stück für Stück selbst zu dem, was sie so selbstlos kritisiert haben. Ahh, wer hätte das gedacht?! Ist das Matriarchat letzten Endes nur ein Pendant des Patriarchats, in dem auf eine grundlegende Änderung kritikbedürftiger Umstände ebenso wenig zu hoffen ist wie im Patriarchat selbst? Das wäre ja eine unglaubliche Neuigkeit! Mensch…
Dass so eine satirische Überzeichnung im Rahmen einer Theateraufführung auch mal über das Ziel hinausschießen kann, ist dabei wahrscheinlich unumstößlich. In einigen Szenen erschlich sich mir der Eindruck, dass das Gesehene vielleicht ein wenig zu erzwungen war, dass die ein oder andere Herangehensweise an bestimmte Themen vielleicht nicht genug Tiefgang besaß und so stellte sich bei mir hier und da ein Stirnrunzeln ein. Ich schloss zwar darauf, dass dieser Umstand der gewollten Provokation zum Opfer fiel und mein Gespräch mit dem Kollektiv nach der Aufführung bestätigte mich darin, doch hätte mir ein gradliniger Fluss in diesem Falle vielleicht ein wenig besser gefallen. Aber um meine eigene Meinung hier direkt mal selbst zu hinterfragen: Wäre das nicht auch viel zu langweilig und eintönig gewesen? Und spricht da jetzt nicht eher der testosteronschluckende Adonis aus mir, der sich partout diskriminiert fühlte und der Angst vor mehr Frauen in Führungspositionen hat? Ich denke zwar nicht. Auszuschließen ist es aber dennoch nicht, denn perfekt ist hier niemand von uns. Ohh, Schock!
Aber, um mal ein wenig Ruhe in die Angelegenheit zu bringen, es war ja auch die Intention des Kollektivs, dass man sich selbst hinterfragt, dass man geäußerte Ideale und eigene Wünsche kritisch beäugt und dass man dadurch wieder zu respektablen Diskussionsgrundlagen zurückfindet. Und das hat die Produktion echt gut hingekriegt, Punktausende. Mein heimlicher Favorit war zudem die Bühne auf der Bühne, auf der das Kollektiv die Inszenierung mit selbst komponierter Live-Musik in Stimmung brachte und die einfach verdammt gut war und nahtlos passte. Dafür von meiner Seite einen riesengroßen Daumen nach oben. Die Produktion bekommt von mir also eine klare Empfehlung, hat sie mich doch trotz kleiner Abstriche durchweg mitgezogen, unterhalten und empathisch reflektieren lassen. „Hysteria“ solltet ihr aber wirklich nur schauen, wenn ihr euch auch wirklich sicher seid, dass euch diese satirisch stark zugespitzte Produktion nicht an eurem Selbstwertgefühl zweifeln lässt. Ahhhh!
Fotos: Miriam Lindenmeier
Zeiten:
7. Februar 2020:
20:00 Uhr
8. Februar 2020:
20:00 Uhr
9. Februar 2020:
20:00 Uhr
Preise:
Eintritt: 12,00 €
Ermäßigt: 8,00 €
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
Studio 11 GbR / ELMAthereile
Adresse: Gravenreuthstraße 11, 50823 Köln
Webseite: http://www.studioelfkoeln.de/hysteria
KVB:
Linien 5, 13: Subbelrather Straße