Kann Liebe wirklich Sünde sein? Schwierig. Beziehe ich diese Frage auf mich selbst, auf mein eigenes Handeln und mein eigenes Leben, dann lässt sich diese Frage nicht eindeutig klären. Zu mir selbst kann ich deswegen nur folgendes sagen: Ich bin ein Liebestölpel, durch und durch, und das geht zwangsläufig mit Liebe und Sünde gleichermaßen einher. Das führt dann sogar dazu, dass ich mich bei Inszenierungen, die sich um Liebe drehen, selbst auf der Bühne erkenne; und das bedeutet in den meisten Fällen nichts Gutes. Insbesondere dann nicht, wenn der Protagonist in einer Traumwelt lebt und in die Realität gerissen wird, von Liebe und Schmerz singt und sich Hals über Kopf in die Protagonistin verliebt. Die zu allem Überfluss unbedingt ihre eigene Freiheit leben will, sich nicht entscheiden kann, wofür sie sich entscheiden soll und ganz außer Rand und Band gerät, beizeiten gar verzweifelt wirkt. Wer stand da eigentlich auf der Bühne? Eine Sängerin und ein Sänger? Oder ich, zweigeteilt?

Um ganz ehrlich zu sein, schon der Name der Produktion, „Kann denn Liebe Sünde sein?“, hat bei mir sofort die Alarmglocken schrillen lassen. Als ich ihn zum ersten Mal gehört habe, schoss mir sofort Zarah Leanders Songpassage in den Kopf und ich fing an, meine eigene Einstellung zur Liebe zu hinterfragen: „Auch wenn sie es wär‘, so wär’s mir egal – lieber will ich sündigen mal, als ohne Liebe sein!“ Ist die Liebe eine Sünde? Doch was würde es über eine Gesellschaft aussagen, wenn die Liebe wirklich Sünde ist? Können Liebe und Sünde gleichermaßen existieren oder schließen sie sich gegenseitig aus? Was feststeht, für mich zumindest, ist, dass ein Leben ohne Liebe ein tristes Leben ist, doch ein Leben ohne Sünde ebenso. Liebe birgt wohl das Potenzial, Großes hervorzubringen, das Beste in einem Menschen erstrahlen zu lassen. Die Sünde aber auch, und das ist wohl der paradoxe Punkt an der ganzen Nummer…

Kann Liebe also Sünde sein? Um diese Fragestellung herum schlängelt sich auch die Produktion, über die ich hier gerade schreibe. Sie erzählt in zwei Akten eine Geschichte über persönliche Freiheit, über Entfaltung und Treue, sie spricht über Verbundenheit, über die absolute Selbstaufgabe und über das Bedürfnis, sich eben nicht aufgeben zu wollen, nur um lieben zu können. Emotionale Interaktionen der Protagonisten, die nicht zwangsläufig als Interaktionen zu erkennen sind, und doch Interaktionen zweier sich liebender Personen sind, veranschaulichen das komplexe Geflecht, das sich Liebe nennt, und das sich wohlwissend einseitig entwickeln, jedoch auch gegenseitige Hingabe fördern kann.

Dabei arbeiten die Protagonisten diese beizeiten komplizierten Themen anhand einer Palette von 20er- und 30er-Jahre Songs ab, die neu interpretiert und mit großartigem Pianospiel begleitet in oper’scher Manier auf die Bühne gebracht werden. STIMMRAUSCH, so nennt sich das Operettenensemble, bedeutete in dieser Hinsicht, an jenem Abend, auch wirklich Stimmrausch: Ein Rausch der Stimmen, der den Saal erzittern ließ. Kräftiger, voluminöser Gesang, der bis ins Mark drang und Gänsehaut hinterließ. Chansons und Arien, die den Raum füllten und die Zuschauer in ihre Sitze pressten, der Gesang wusste vollends zu begeistern. Und das selbst mich, der sich eher dem HipHop-Genre zugehörig fühlt und der zu solch altem Liedgut eigentlich nur wenig Kontakt hat.

Kann die Liebe ohne Sünde sein? Nein. Dahingehend hat mich die Inszenierung in meiner eigenen Meinung bestätigt. Liebe ist Liebe; und Sünde ist Sünde. Doch eine Liebe ohne Sünde, sie ist trostlos und bedeutungslos, sie kann niemals wirkliche Liebe sein. Denn wer für die Liebe nicht sündigt, der liebt nicht wirklich. Wie die Produktion das alles darstellt, storytechnisch? Das dürft ihr gerne selbst erfahren. Doch seid gewarnt: Wer hier eine Abfolge an klassischen Liedern erwartet, ist auf dem falschen Fuß. Die Lieder sind auf eine oper’sche Darstellung ausgelegt und mir fiel aus, dass das den ein oder anderen Zuschauer verwundert hat, auch wenn das von Anfang an der Tenor war. Auch der laute Gesang, der ganz ohne Mikrofon auskommt, vermag hier und da vielleicht aus dem Hocker zu reißen. Aber einem Liebestölpel wie mir, mir hat das in diesem Fall wenig ausgemacht. Von dieser Stelle aus deshalb eine klare Empfehlung. Auch wenn mir klar wurde, dass ich selbst mal wieder viel öfters sündigen muss…

Foto: Stimmrauch

Mein Gott, ich muss echt mal irgendwas zerreißen. Ich bin ja fast nur begeistert, ist ja schrecklich…

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