Was ist wahr? Was Fiktion?

Mit dem hintergründigen Verwirrspiel „Madonnas letzter Traum“ eröffnete das Theater im Bauturm die neue Spielzeit. Nach 150 Minuten Spielzeit spendete das Premierenpublikum der Inszenierung nach dem Roman von Dogan Akhanli langen Beifall. 

Es ist eine verworrene Geschichte auf mehreren Ebenen. Da ist einmal der türkische Bestseller-Roman „Madonna im Pelzmantel“ von Sabahattin Ali: Die Geschichte des jungen Türken Raif Effendi, der sich im Berlin der späten 1920er Jahre in die Musikerin Maria Puder verliebt. Im Roman stirbt sie bei der Geburt eines Kindes. Ali wird 1948 bei seiner Flucht an der bulgarischen Grenze erschlagen. 

Fiktives Schicksal und historische Tatsachen  

Dogan Akhanli macht sich in seinem Roman auf die Suche nach der fiktiven Maria Puder und verwebt ihr Schicksal mit tatsächlichen historischen Ereignissen. Der von ihm dafür erfundene Erzähler besucht dabei in Berlin auch die Villa am Wannsee, in der 1942 die „Endlösung der Judenfrage“, die  Vernichtung der Juden, beschlossen und organisiert wurde. 

Bei seinen Recherchen trifft der Erzähler auch auf Alma, offensichtlich die Tochter, bei deren Geburt die Mutter angeblich gestorben ist. Diese kann – so ihre Geschichte nun – dem Massenmord zunächst entkommen, weil sie 1938 nach Polen abgeschoben wird. Mit fast 800 anderen Flüchtlingen geht sie im rumänischen Constanta an Bord der realen „Struma“, die 1942 in der Ägäis von einem sowjetischen U-Boot versenkt wurde. Die Türkei hatte dem überfüllten Schiff die Einreise in einen Hafen verweigert. Nur eine Frau überlebt, und mit ihr das Tagebuch Maria Puders. 

Autor Dogan Akhanli ist per Video dabei 

Beide fiktiven Erzählungen – Dichtung und Wahrheit – überlagern sich, werden mit historischen Fakten und den Verfolgungs- und Gewalterfahrungen von Dogan Akhanli durch den türkischen Staat gemischt. Er wirkte bei der Inszenierung mit, Gespräche mit ihm werden per Video eingeblendet. Schließlich müssen sich die Schauspielerin und der Schauspieler auch – wohl immer noch ein Theatertrend – selber in ihren Rollen hinterfragen. 

So entwickelt sich – von Susanne Schmelcher inszeniert – eine komplizierte, höchst aktuelle Geschichte über Völkermorde im 20. Jahrhundert, über Hass, Flüchtlinge, über verweigerte Hilfe und Erinnerungskultur. Das ist nicht immer leicht nachzuverfolgen – anders als die Lektüre eines Buches. Da helfen auch die Einsatzfreude, Präsenz, Wandlungsfähigkeit und Einfühlungsvermögen in die verschiedenen Rollen des Bühnenduos Sibel Polat und Marc Fischer nicht immer weiter. Leider. Es knirscht – nicht nur wegen der Glasscherben, die den Bühnenboden füllen. 

————–

Nachtrag: Dogan Akhanli (geboren 1957) floh 1991 mit Familie aus seiner Heimat Türkei . Zuvor hatte er als politischer Häftling zweieinhalb Jahre im Militärgefängnis gesessen, wurde dort auch gefoltert. Als er 2010 in die Türkei einreiste, um seinen sterbenden Vater zu besuchen, wird er erneut verhaftet. Angeblich soll er an einem Raubüberfall beteiligt gewesen sein. Nach internationalen Protesten wird er freigelassen. Bei einem Spanienurlaub wird er von der Polizei aufgrund eines internationalen Haftbefehls festgenommen und soll an die Türkei ausgeliefert werden. Auch hier kommt er erst nach vielen Protesten – auch der Bundesregierung, Akhanli hat inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen – wieder frei. Der Schriftsteller lebte lange in Köln, jetzt in Berlin. 

————–

Foto: Laura Thomas – Sibel Polat und Marc Fischer wollen wissen, wie die jüdische Musikerin Maria Puder wirklich gestorben ist.

Termine:

25. September 2021:
19:00 Uhr

26. September 2021:
18:00 Uhr

8. Oktober 2021:
19:00 Uhr

9. Oktober 2021:
19:00 Uhr

10. Oktober 2021:
18:00 Uhr

Preise:

Eintritt: 23,60 €*
*inkl. VVK-Gebühren

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Theater im Bauturm
Adresse: Aachener Straße 24-26, 50667 Köln
Telefon: 0221 – 52 42 42
Webseite: www.theaterimbauturm.de/spielplan/repertoire/madonnas-letzter-traum
KVB: Linien 1, 7, 12, 15: Rudolfplatz

Diesen Artikel weiterempfehlen: