Die Beziehung zwischen Johann Christoph Friedrich Schiller und dessen Vater Johann Kaspar Schiller war keine leichte. Obwohl der Sohn mit dem autoritären Erziehungsstil des Vaters, welcher der Norm der Zeit entsprach und der auch das herrschende Männlichkeits-Ideal vorgab, keine Probleme hatte, offenbar sogar stolz ob der strengen väterlichen Fürsorge war, bis zum Tod des Vaters am 7. September 1796 lag das Verhältnis der beiden lange Zeit im Argen. Friedrich Schillers Flucht aus Württemberg und die Verfolgung seines Traumes, Schriftsteller zu werden, lösten beim Vater wahrlich keine Luftsprünge aus, war die Laufbahn als schlecht bezahlter Regimentsarzt doch Teil väterlicher Planungen für den Sohnemann. In den darauffolgenden Jahren näherten sich die beiden jedoch wieder an, was nicht nur den Erfolgen Schillers als Dramaturg zu verdanken war. Johann Kaspar Schillers Gabe, sich und sein eigenes Verhalten zu reflektieren und im Umkehrschluss um Vergebung für die eigene Starrsinnigkeit zu bitten, lieferte für die Neudefinition der Beziehung einen wesentlichen Beitrag. Nun stelle man sich vor, Friedrich Schiller lebe heute noch und sähe sich, ganz zufällig, die Produktion „Raub – nach F. Schiller“ an, die, wie schon der Name verrät, auf Schillers Werk „Die Räuber“ anspielt und die im Drama verarbeitete Familienkonstellation aufgreift. Was würde er seinem Vater wohl dazu schreiben? Ein Gedankenspiel. Korrektur: Ein größenwahnsinniges Gedankenspiel.

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Liebster Vater,

ich schreibe Dir in der Hoffnung, dass Du Dich bester Gesundheit erfreust und dass euch der heiße Sommer keine allzu lästigen Schwierigkeiten anheim gebracht hat. Ich schreibe Dir aber auch in einem reflexiven Moment, in dem ich die unsrige Beziehung in keinster Weise negativ bewerte, der mich jedoch dazu verführt, sie in notwendigem Maße distanziert zu evaluieren. Erschrecke nicht, noch sei mir böse, denn der Grund dafür, er ist allemal verzückend. Du magst Dich an mein erstes Stück erinnern, welches mehr Erfolg zu verbuchen vermochte, als ich mir in meinen kühnsten Träumen zu erhoffen gewagt hätte? Die Räuber? Sicherlich wird sich bei Dir nun die ein oder andere Empfindung rühren, empfandest Du die Aufführung doch mit solch immenser Freude. Nun, es hat sich ergeben, wer hätte das gedacht, dass eine Künstlertruppe sich aufmachte, meine beiden Söhne auf der Bühne zu verkörpern. Welch Irrsinn!

Franz und Karl, auf der Bühne und ohne direkten Bezug zu meinem Werk, ohne, dass ich dafür Rechnung trage! Im ersten Moment ward ich erschrocken, gar ein wenig entrüstet, hatte man sich doch ohne meine Bewilligung meiner beiden Söhne bemächtigt. Doch es erschien mir natürlich keineswegs abwegig, suchen ohne Frage deren Tiefe und gleichwohl deren Nähe ihresgleichen. Zu was also gedenkst Du, zwang mich dies nun? Fürwahr, ich erwarb umgehend eine Karte, konnte ich mir diese Darbietung doch keineswegs entgehen lassen. Und ganz unter uns, und für keine Seele sonst bestimmt, ich tätigte den Kauf in der leisen Hoffnung meine Zweifel und Ängste erfüllt zu sehen.

Welche Rolle nähmen die beiden ein? Zu welch missgünstigen Taten würden diese Dilettanten Franz und Karl verschmähen? Ich bin weder stolz, noch brüste ich mich dererlei Gedanken, doch es liegt mir fern Dir die Wahrheit vorzuenthalten. Ein wenig nervös also, gleichwohl sehr gespannt, nahm ich meinen Platz in dem Theatersaal ein und gleich zu Beginn erfuhr mich sogleich, aber nur fast, die erste Überraschung. Ein Dickicht an Sockeln, in unterschiedlichen Größen, groß und klein, verteilte sich durch den Raum, auf ihnen platziert beiläufige Gegenstände, deren Bedeutung ich zu jenem Zeitpunkt bereits erahnte, die allerdings, vom Betthasen bis hin zur Pistole, keinerlei Gemeinsamkeiten besaßen. Und während ich Platz nahm, bereitete sich bereits einer der beiden Schauspieler, sichtbar für alle, auf der Bühne vor und hielt beiläufig ein Pläuschchen mit dem Publikum. Du magst es bereits erahnen, ich war ein wenig perplex, habe ich solcherlei Vorspiel bisher eher weniger zu Gesichte bekommen, sodoch amüsierte es mich und führte unterhaltsam in den Beginn der Aufführung ein. Ich gedenke, solch eine Komponente nun auch in einem meiner Stücke zu verwenden, lockerte es die leidige und ungeduldige Warterei auf die Öffnung des vermaledeiten Vorhanges ungemein auf.

Das Stück selbst, ich schreibe Dir hier mit wahrem Gewissen und mit voller Hingabe, es irritierte mich anfangs und mir fiel es schwer zu erkennen, welcher von den beiden Franz sei, und welcher Karl. Gewiss, es ward die Aufgabe des Publikums, dem auf die Schliche zu kommen, falls dies überhaupt so beabsichtigt gewesen war, doch verkörperten beide gleich eine Reihe an Eigenschaften, die gleichermaßen Franz und Karl gehörten. Umso irritierter ward ich, als dass die beiden Schauspieler selbst der gleichen Mutter entsprangen und so versuchte ich zu begreifen, ob es deren eigne Beziehung war, die dort auf der Bühne preisgegeben wurde – und nicht die von Franz und Karl. Es betrübte und erfreute mich zugleich, dass ich zu keinstem Zeitpunkt imstande gewesen bin, zu einer derartigen Bewertung gekommen zu sein, ging es doch weniger um eine etwaige persönliche Geschichte, die, nackig und ungeschmückt, auf der Bühne vorgetragen wird, als vielmehr um den Inhalt, der die eigne Beziehung zum eignen Vater zur Reflexionsfrage verdichtete. Und siehe da, hier sitze ich nun, bei gedämpftem Kerzenschein, und ich reflektiere die meinige Beziehung zu Dir. Und umgekehrt. Diese Hallodris!

Du magst es kaum glauben, oder doch, sobald Du diesen Brief hier liest, aber das, was ich gesehen habe, es sagte mir ungemein zu. Dieses ständige Hin und Her mit dem Publikum, ich glaube, ich werde ein Liebhaber von solch interaktivem Spiel. Das Thema des Stückes, es fügten sich Gottes Mühlen, denn sie erreichten genau das, was sie von Anfang an beabsichtigten. Ich nahm es an, spielte gedanklich mit und begann zu reflektieren. Die Art und Weise, wie sich die beiden Schauspieler, die wohlgemerkt im echten Leben ebenfalls Brüder sind, die Bälle zuschoben, wie sie sich gegenseitig ihre Liebe bezeugten und im nächsten Moment einander an die Gurgel hätten gehen können, sie erheiterte mich und ich fühlte kaum, dass die Zeit verstrich. Mit einer multimedialen Präsentation der Inszenierung erweiterten sie das Gesehene um wichtige Elemente und Gott zum Danke fügten sich die technischen Einspieler glatt in das Schauspiel ein. Bei einem der Videos, ich verspreche es Dir, Du hättest wahrlich Angst bekommen, so dunkel, ist es gewesen, so viel Schock und Verstörung verbreitete es unter den Zuschauern. Die Abfolge, in der solcherlei Spielereien integriert wurden, sie versprühte einen angenehmen Hauch von Abwechslung, fügte dem Ausgesagtem Gewicht bei und ermunterte das Publikum zusehends. Weißt Du, mir gefällt diese neuartige Art, Theaterstücke anhand wesensfremder Medien auf der Bühne zu inszenieren. Nur gut, dass es hier nicht zu viel geworden ist.

Du merkst also, es passte einfach. Vater, sag mir, denn nun komme ich zu den Gedankengängen, die mir das Stück mit auf den Weg gab. So sag mir doch, Du spürst meine Verzweiflung und ich weiß, dass sie gerade ob der Turbulenzen, durch die wir beide gingen, unangebracht ist. Doch ist das Vorbild, welches Du und Mutter an mich heran trugest, wirklich alternativlos? Ich liebe Dich. Doch darf die Liebe zu Dir größer sein als das Verlangen mich selbst zu verwirklichen? Warum, so sag mir, hätte ich jemals den Posten als Regimentsarzt weiterführen sollen? Zu meiner Freude? Oder zu Deiner? Ich verliere mich, ich merke es schon und Du sicher auch, doch lassen die Gedanken keine Ruhe und welch ein Frevel wäre es, sie nicht laut auszusprechen. Doch darf ich überhaupt aufbegehren, gegen meinen eignen Vater? Sag Du es mir. Die komplizierte und gar tränenreiche Suche nach der Vaterliebe, sie erfüllte auch mich, welche Rückschlüsse also lässt das auf unsre patriarchalische Gemeinschaft zu? Ist sie nur eine Fata Morgana, getränkt von kleinen, aber steten Tropfen vieler traditionsbewusster Tölpel und damit ebenso anfällig wie fragil? Oder ist diese Form der Zusammenkunft die einzig Richtige, derer sich die Masse bemächtigen kann und die ihr in ihrer zukünftigen Entwicklung behilflich ist? Sag mir, was bedeutet der Begriff Vaterland überhaupt? Kann ein Land Dein Vater sein?

Ich ahne, Du wirst Antworten haben, wenn auch welche, die gegen meine Gedanken zielen. Und doch, so erlaube mir, bitte ich Dich, sie mir zu schicken, ohne dass Deinerseits Groll oder Abneigung entstehen. Meine Liebe zu Dir, sie ist ungebrochen, und doch sehe ich mich nun ein kleines Stück freier, ungezwungener und beständiger. Sollte Dir die Idee kommen, mich einmal mit Mutter besuchen kommen zu wollen, so würde ich mich freuen, nochmals und mit Dir gemeinsam in die Aufführung zu gehen. Vater, was würdest Du wohl dazu sagen?

In Liebe,

Dein Fridrich

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Anmerkung: Die fragwürdige Idee, diesen Bericht als Brief Friedrich Schillers an seinen eigenen Vater zu schreiben, kam durch das Programmheft, in dem ein solcher abgedruckt ist. Das Programmheft hat die absolute Kaufempfehlung unsererseits! Erweitert die Inszenierung, voll transmedial und so. 

Aufführungszeiten und weitere Informationen zur Inszenierung findet ihr hier

Fotos: Gerhard Richter

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