Das Ferne ganz nah
Die Türkei und ihr Repressionsapparat sind weit entfernt von uns. Mag man denken, selbst wenn man immer wieder Nachrichten über Schauprozesse, Folterungen und Angriffe auf die Pressefreiheit liest. In der Schauspiel-Produktion „Verhaftung in Granada“ wird das alles nach Deutschland, mitten nach Köln geholt. Und nach 90 Minuten weiß jeder Theaterbesucher: Das hat auch mit uns, mit mir zu tun – mit der türkischen Community in Deutschland, gespalten in Erdogan-Anhänger und -Gegner.
Während eines Ferien-Aufenthalts 2017 in Spanien wird der Kölner Dogan Akhanli verhaftet: Die Polizei beruft sich auf einen – politisch begründeten – Interpol-Haftbefehl der Türkei. Erst nach internationalen Protesten wird er freigelassen. Für den türkischstämmigen Schriftsteller der Anlass, seine Biografie mit dem Titel der „Verhaftung in Granada“ niederzuschreiben – sachlich und nüchtern, ohne Selbstmitleid, ohne Hasstiraden, für die es jeden Grund gäbe.
In der Provinz mit Weltliteratur aufgewachsen
Nuran David Calis hat das Buch jetzt für das Kölner Schauspiel dramatisiert und uraufgeführt. Die Inszenierung wird beherrscht von einem drehbaren Glaskasten: Er ist Behördenbüro, Gefängniszelle und Wohnzimmer des Erwachsenen. Zunächst aber elterliche Wohnung: 1957 in der türkischen Provinz geboren und dort aufgewachsen, kommt Dogan dank seiner Mutter schon früh mit Werken der Weltliteratur in Kontakt. Sie machen ihn neugierig – und seine Neugier bringt ihn zum ersten Mal mit dem türkischen Unterdrückungsapparat in Konflikt.
Als 17-Jähriger kauft er in Istanbul die Zeitung einer oppositionellen Gruppe – der rote Stern auf der Titelseite hat ihn angelockt. Er wird verhaftet und gefoltert. Der Militärputsch von 1980 machen ihn und seine Frau Ayse zu kommunistischen Widerstandskämpfern. Beide werden verhaft und gefoltert. 1991 gelingt ihnen die Flucht nach Köln, wo er seitdem lebt. 2001 wird er deutscher Staatsbürger, von der Türkei wurde er ausgebürgert.
Der Besuch beim sterbenden Vater wird ihm zum Verhängnis
2001 – die Mutter ist schon lange tot – liegt sein Vater im Sterben. Dogan Akhanli will ihn noch einmal sehen. Gegen den Protest seiner Familie reist er in die Türkei, wird auf dem Flughafen in Istanbul verhaftet. Angeblich hat er einen Raubüberfall begangen – doch die Zeugen der Anklage bestreiten das. Er wird freigesprochen. 2017 dann die Verhaftung in Spanien – wieder wird ihm ein Raubüberfall vorgeworfen.
Die Inszenierung folgt im Wesentlichen der Chronologie. Stefko Hanushevsky tritt vor allem als Dogan Akhanli auf, Kristin Steffen als seine Mutter, Murat Dikenci als der ältere, früh verstorbene Bruder. Wenn Steffen und Dikenci – immer glaubhaft und im schnellen Übergang – neben anderen Rollen auch die der Hauptperson übernehmen, erhalten dessen schmerzhafte Erfahrungen eine größere Allgemeingültigkeit.
Die Inszenierung lebt vom Wort
Die Inszenierung lebt vom Wort, von der Ich-Erzählung, von bewegenden Dialogen. Meist ist der Redefluss ruhig, doch wenn die menschenverachtende Rachsucht des türkischen Staats Thema wird, bereitet das Zuhören Schmerzen. Selbst wenn die Verhaftung auf dem Istanbuler Flughafen geschildert wird – eine surreale Situation: kein Polizist weiß, was dem Einreisenden vorgeworfen wird, und einer der Beamten zeigt sogar fast (Selbst-)Mitleid.
Laut wird es nur, wenn sie die Vertreter der Macht in den Verhören aufspielen. Oder beim Familienstreit vor der Rückkehr nach Istanbul. So wechselt schwarzer Humor mit bitter-nüchternen Zustandsbeschreibungen, mit einfühlsamen Familiensituationen und traurigen Szenen.
Eindringliche, sparsame theatralische Mittel
Theatralische Mittel werden eher sparsam eingesetzt – und wirken desto überzeugender und eindringlicher. Das gilt besonders für die angedeuteten Folterszenen, für die sich die Darsteller im dunklen Bühnenhintergrund bis auf die Haut ausziehen und schmerzhaft verrenken.
Dass die türkische Repressionspolitik bis nach Deutschland reicht, zeigt Hanushesky in einer eingeblendeten Videoaufnahme. Er berichtet vom ersten Probetag, als Regisseur Calis allen empfahl, die Produktion zu verlassen, wenn sie noch einmal die Türkei besuchen wollten. Beim nächsten Mal fehlten zwei türkischstämmige Mitarbeiter.
Und dass die willkürliche Behandlung Akhanlis kein Einzelfall ist, macht der Schluss deutlich, wenn Dutzende Namen von Menschen verlesen werden, die nach den Gezi-Protesten und dem Putschversuch von 2016 als „Terroristen“ verhaftet wurden. Es könnte fast endlos weitergehen. Doch das ist nicht mehr nötig. Das Premierenpublikum braucht im abgeschalteten Bühnenlicht eine Zeit des Erholens – um dann mit lauten Beifall und Standing Ovations das gesamte Ensemble zu belohnen. Mittendrin auf der Bühne: ein gerührter Dogan Akhanli.
Fotos: Krafft Angerer
Zeiten:
21. März 2020:
20:00 – 21:40 Uhr
2. April 2020:
19:00 – 20:40 Uhr
Preise:
Eintritt: 18,70 €
Abendkasse ermäßigt: 7,00 €
VVK ermäßigt:
50%-Ermäßigung
Beide Vorstellungen bereits ausverkauft!
Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:
Schauspiel Köln
Adresse:
Außenspielstätte am Offenbachplatz,
Offenbachplatz, 50667 Köln
Telefon: 0221 – 221 284 00
Webseite: www.schauspiel.koeln/spielplan/monatsuebersicht/verhaftung-in-granada
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appelhofplatz