Revolution?

Mit Liebe die Welt verändern? In „Wegklatschen“, der neusten Produktion des COMEDIA Theaters, schließen sich fünf Freunde zusammen, um gegen den überall um sie herum grassierenden Hass anzukämpfen und starten unter dem Banner des Herzens ihre eigene kleine Revolution. Was mit kurzweiligen Kinderstreichen anfängt, wird sodann bittere Realität. Eine Inszenierung, realisiert von Manuel Moser, die mit den Urängsten des Menschen spielt, Grenzen überschreitet und lautstark nach Veränderung ruft.

Wie verändert man die Welt? Gar nicht, bekomme ich seit Jahren zu hören – und es ist zumeist immer derselbe Menschenschlag, der mir derart hoffnungsvolle Worte, vorwiegend in hübsche Blumen gepackt, ins Gesicht schmettert. Geht es nach Sven Lau, dem ehemaligen berühmt-berüchtigten Salafisten, scheint Liebe jedenfalls das falsche Mittel zu sein, denn (Zitat) „Liebesprediger […] würde keiner ernst nehmen“.* Und so scheint Veränderung oftmals nur in eine Richtung zu verlaufen, in die Richtung des Extremen, der Abgrenzung und des Hasses, Gestalten wie Atilla Hildmann, Niklas Lotz (Neverforgetniki)*² oder Xavier Naidoo hervorbringend, die durch ihre unnachahmlichen Menschenfängertalente tausende Leerdenker an sich ziehen…

Viele Fragen, kaum Antworten

„Wegklatschen“ stellt dahingehend die Frage, woher dieser grassierende Hass überhaupt kommt und was die Leute antreibt, die diesen Hass, egal in welcher Form, immerzu befeuern. Leider versäumt es die Inszenierung, die auf einer von Sergej Gößner verfassten Neuinterpretation von Bonnie und Clyde aufbaut, darauf eine passende Antwort zu liefern. Der Bogen zu psychologischen oder evolutionsbedingten Erklärungen, selbst nur im Ansatz, wäre kein großer gewesen und hätte wahrscheinlich dabei geholfen, die Mechanismen des Wir-gegen-die-Gefühls ein bisschen besser einordnen zu können. Stattdessen bewegt sich die Aufführung auf einer extrem provokativen Ebene, die zumeist sehr einseitig verläuft, aber dennoch ein überraschend divergentes Meinungsklima abbildet.

Die von den fünf Freunden geführte „Revolution“ spiegelt in ihrem Kern somit ein breites Spektrum möglicher Komplexitäten ab, die eine Revolution eben in sich trägt. Angefangen mit der Bildung einer demokratischen Grundordnung bis hin zum Fressen der eigenen Kinder durchläuft die Geschichte einen mitreißenden und an vielen Stellen auch urkomischen Spannungsbogen, der zu keinem Zeitpunkt abfällt und der in dem endet, worin die meisten Revolutionen nun mal enden. Provokant und nachdenklich gerät die Revolution an ihre eigenen Grenzen, überspringt diese und zeigt selbst in diesem kleinformatigen Revolutionsformat, welche Gefahren Revolutionen mit sich bringen. Vernunftsbeiseiteschiebende Emotionen führen zu Gewaltakten, die Revolutionäre verlieren sich in ihrem eigenen Kampf und werden selbst zu dem, was sie zu Beginn geschworen haben zu bekämpfen. Der Teufel der eigenen Unvernunft nimmt Überhand und verleugnet jegliche Rationalität, die Schwelle, die das Menschliche vom Unmenschlichen trennt, spinnt sich wie ein Spinnennetz im Monsun über die Fähigkeit der eigenen Selbstkontrolle.

Eine Revolutionsarmee auf Hochtouren

Die Gruppendynamik, die das Gespann (bestehend aus Kübra Sekin, Gareth Charles, Laura Thomas, Maximilian von Ulardt und Sibel Polat) im Laufe der Inszenierung entfaltet, erfüllt dabei den gesamten Publikumsraum und steckte an jenem Abend gleichwohl fast zum Mitrevolutionieren an. Authentisch und glaubhaft spielten alle fünf eine überzeugende Revolutionsarmee und die Sympathien des Publikums schienen allen fünf gleichermaßen gewiss, auch wenn Kübra Sekin mit ihrer zutiefst witzigen und zugleich bitterbösen Darbietung ein wenig mehr in den Mittelpunkt des Geschehens rückte.

Der immerzu von passender musikalischer Begleitung getragene Revolutionsversuch, mit der Intention der Liebe gestartet, vollführt mit Hilfe dieses überzeugenden Ensembles eine Ekstasespirale, die ratlos und rastlos zurücklässt, im eigenen Treiben gefangen, etwas gegen diesen unsäglichen Hass unternehmen zu wollen. Die Angst des eigenen menschlichen Versagens im Hinterkopf, veranschaulicht die Inszenierung pikant und ebenso spektakulär die Gefahr einer aus dem Ruder gelaufenen Revolution, die sich eben dadurch mit dem gemein macht, was sie so sehr versucht abzuwehren.

Bleibt eine Frage stehen: Wie verändert man die Welt denn nun zum Positiven? Mit Liebe natürlich. Womit denn sonst?!

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Besetzung und Produktionsteam:

BesetzungGareth CharlesSibel PolatKübra SekinLaura ThomasMaximilian von Ulardt
Inszenierung: Manuel Moser
Bühne und Kostüm: Ensemble
Musik: Öğünç Kardelen
Dramaturgie: Anna Stegherr
Theaterpädagogik: Sarah Modeß
Regieassistenz: Finn Wiesenhöfer

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Fotos: Christopher Home

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Quelle *: www.ksta.de/politik/ehemaliger-islamist-sven-lau-im-interview–liebesprediger-wuerde-keiner-ernst-nehmen–33568548 in Bezug auf das Interview von Sascha Bisley mit Sven Lau unter https://www.youtube.com/watch?v=m2U1UZoe1Vc [TS 16:00 – 16:03]

Quelle *²: Hintergrund: https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2020/02/21/gesucht-influencerin-jung-rechts/

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Auf weitere Vorstellungen muss leider noch gewartet werden. Wir halten euch auf dem Laufenden, weitere Informationen zur Produktion findet ihr hier: https://www.comedia-koeln.de/buehne/theater-fuer-junges-publikum/unsere-produktionen/wegklatschen/

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Und ja, als kurzer Zusatz, weil Nachfragen kamen: Ich habe die Aufführung live im Theater gesehen, die im Rahmen einer Presseshow ihre Premiere feierte (natürlich unter strengen Sicherheitsauflagen und auch nur als einmaliges Ereignis). Und es war wirklich Balsam für die ausgedörrte Kultur-Seele! Deswegen: Bitte haltet euch doch einfach für einen längeren Zeitraum noch etwas zurück, sodass wir bald wieder ganz „normal“ leben und genießen können! Niemand, wirklich NIEMAND, hat noch groß Bock auf diese unerträgliche Situation. Aber dann hat der Spuk auch bald endlich ein Ende! 

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