Puh. Wann war ich in ‚Wilhelm Tell‘? Vor einem Monat? Vor zwei Monaten? Vor drei? Kommt mir zumindest wie eine halbe Ewigkeit vor. Doch bei der Korrektur des Berichtes wurde ich so dermaßen zerstört, dass ich mich gar nicht getraut habe, ihn online zu stellen. Viel zu fachspezifisch sei der Artikel, wurde mir gesagt. Gut zum Einschlafen. Na Danke. Also dann, musste ich ihn wohl ein wenig umschmeißen. Und natürlich möchte ich euch meinen Eindruck des Theaterstückes nicht vorenthalten. Denn es spricht meiner Meinung nach extrem wichtige Themen an, die aktueller kaum sein könnten. In dieser Zeit einer verqueren Politik, die sich oftmals nur auf die Interessen einzelner Lobbys stürzt und das Bürgertum allzu gerne außer Acht lässt…

Für mich war Wilhelm Tell immer die Geschichte eines Rebellen. Die Geschichte einer Person, die sich gegen das Establishment erhebt und sich selbst und sein Vaterland aus der Hand von Unterdrückern befreit, dem Volk sein Selbstbestimmungsrecht zurückgibt und sich zum Helden emporschwingt. Nun ja, als Jugendlicher sah ich die Sache wohl ein bisschen zu oberflächlich, denn schon meine tiefer gehende Recherche im Vorfeld des Stückes überzeugte mich davon, dass die Sage des Schweizer Nationalhelden eigentlich eine andere ist. So anders, dass selbst Schillers Verständnis von Tell die Aufmerksamkeit auf Aspekte legte, die sich auf Grundsatzdebatten bürgerlicher Werte und Normen konzentrierte, denn auf egozentrische und nach Macht und Ruhm gierende Motive. Eine klassische, konventionelle Revolution eben. Alle Macht dem Volke!

Ein Aspekt, der mir bei der Inszenierung sofort ins Auge, an die Ohren, stach, war der gesprochene Text. Erstens, so wurde mir immerhin von meiner Begleitung erzählt, lehnt er sich unabdingbar an die Originalversion Schillers an. Dies bedeutet, dass die Dialoge fast 1:1 von Schiller übernommen wurden, zumindest konnte der Sitznachbar meiner Begleitung den Originaltext mit dem Finger auf dem Papier nachverfolgen. Für mich selbst war dies zwar nicht unbedingt erkennbar, aber die altbackene Sprache, die im Stück genutzt wurde, erinnerte stark an Schillers Werk.
Und das führt mich auch direkt zu Zweitens: denn auch in diesem von Stefan Bachmann inszenierten Stück wird der Blankvers, der fünfhebige Jambus, verwendet, den auch Schiller nutzte. Was das ist? Kurz gesagt, beim Blankvers liegt die Betonung auf jeder zweiten Silbe und er zeichnet sich durch reimlose Verse aus. Gesprochen hört sich das dann ein bisschen wie Sprechgesang an, wie Rap. Und ja, das hauchte dem Stück einerseits eine traditionelle Stimmung ein, andererseits eine merkwürdige Art modernen Flairs. Die Dialoge waren stimmig und unterhaltsam, aber auch komplex und rituell, machten Spaß und erforderten gleichfalls konzentriertes Zuhören.

Eine Wirkung, die der Blankvers seit jeher vermitteln möchte, ist die der Harmonisierung, die der Idealisierung. Diese wird zum einen nicht nur durch die Thematik der Inszenierung generell erreicht, durch den Bürger Wilhelm Tell, der sich gegen die Herrschenden stellt, ohne eigenen Machtgelüsten zu erliegen, sondern auch anhand des Bühnenbildes, das paradoxerweise Gegensätzlichkeiten vermittelt, die stimmig ineinander laufen, miteinander agieren. So bewegen sich die Schauspieler, die das normale Volk repräsentieren, beinahe durchweg in einem überdimensionalen Kreuz, welches die Knechtschaft der herrschenden Klasse gut zur Schau stellt. Es grenzt sie ein, beschränkt sie in ihrem Handlungsspielraum und zwingt sie, fortwährend in einer gebückten Haltung zu agieren, wodurch das freiheitsraubende Element eines totalitären Staates gut hervorkommt. Die „Elite“ hingegen, so nenne ich sie jetzt mal, wobei dieser Begriff wahrlich ebenso beschränkt ist, sie spielt außerhalb des Kreuzes, kann sich frei bewegen, auch wenn sie sich oftmals nur sehr langsam, gar träge, fortbewegt. Erst als sich die Situation der Stände ändert und auf den Kopf gestellt wird, verwischt diese Grenze des beengten Raumes und plötzlich steht Wilhelm Tell vor dem Kreuze und gewinnt die Oberhand über die Knechtenden. Alle Macht dem Volke!

Auch die musikalischen Untermalungen sowie die Lichteffekte, die sich von Szene zu Szene, von Akt zu Akt, abwechseln, verstärken jene Eindrücke und sorgen für eine durchweg spannende Dramatisierung des Stückes. Klänge, die Marschmusik entspringen, vermitteln das doch wichtige kämpferische Element der Inszenierung und hippe Techno-Sounds unterstreichen den entstehenden Zusammenhalt der bürgerlichen Parteien, als sie sich dazu entschließen, sich gegen das Proletariat zu erheben. Überraschungseffekte, die das Publikum manchmal zusammenzucken lassen, sorgen für angenehme Abwechslung und erheiternde Lacher. Und letztlich gipfeln jene Elemente in einem musikalischen Höhepunkt, der den Sieg der Bürgerlichkeit verkündet.

So, ist das jetzt fachunspezifischer? Wahrscheinlich. Vielleicht hatte meine Freundin Recht und passend zum Stück sollte dieser Text einfach gestaltet sein, nicht zu sehr auf eine proletarische Note setzen. Als wäre mir das überhaupt möglich. Festzuhalten bleibt aber, dass die Inszenierung einfach verdammt gut ist und mit der Meinung stand ich nicht alleine da. Gespräche nach dem Stück, die ich mit anderen Gästen führte, zeigten mir, dass es jenen ebenso ging. Zwar hat nicht jeder immer jeden Aspekt des Stückes verstanden, doch mir ging es da nicht anders. Sollte Wilhelm Tell als ein Vorbild für viele Menschen gelten? Klingt zumindest nicht verkehrt. Allemal besser als Politiker, die sich nur profilieren wollen, um ihre, wohl zukünftige, Macht zu festigen. Und davon haben wir wahrlich genügend zur Zeit. Da fällt mir ein, ich hätte mal wieder Hunger auf Spanferkel. Alle Macht dem Volke!

Fotos: Tommy Hetzel

Zeiten:

24. Februar 2019:
19:30 – 21:15 Uhr

Preise:

Eintritt: ab 13,20 €

Schüler, Studenten etc.:
Vorverkauf: 50%-Ermäßigung
Abendkasse: 7,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Schauspiel Köln
Adresse: Depot 1; Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Telefon: 0221 – 221 284 00
Webseite: www.schauspiel.koeln/spielplan/monatsuebersicht/wilhelm-tell
KVB: Linie 4: Keupstraße

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