Blick in das Köln der Nachkriegsjahre

Bernd Imgrund entführte den Leser mit seinem Buch „Köln Kriminell“ in die 1960er Jahre, als die Domstadt das „Chicago am Rhein“ war. Mit „Die Insel der Seligen – True Crime Köln 1918-1926“ – ebenfalls im Greven-Verlag erschienen – beleuchtet Anselm Weyer jetzt ein anderes Kapitel krimineller Stadtgeschichte: Die Nachkriegsjahre, als Köln unter britischer Besatzung stand. Ein politischer Hintergrund, der auch viele Verbrechen dieser Zeit prägte. Und dessen Schilderung die besondere Stärke dieses Buches ausmacht. 

Zwar sind unter den 23 Fällen die hier knapp (manchmal reichen drei Seiten) und trotzdem detailreich geschildert werden, auch „klassische“ Verbrechen etwa aus Eifersucht. Wichtiger aber als solche, oft spektakuläre, buchstäblich mörderischen Beziehungstaten, die sich mehr oder weniger ähnlich in der Menschheitsgeschichte wiederholen, sind in den meisten Beispielen die politischen sowie die sich daraus ergebenden sozialen Hintergründe und deren Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenspiel. 

Briten – die ungeliebte Besatzungsmacht 

Die Jahre nach der Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg waren geprägt nicht nur durch den Verlust politischer Selbstständigkeit, sondern ebenso durch Hungersnot sowie und Inflation und dem damit verbundenen Wohlstandsverlust. So gibt es nach entdeckten Raubzügen aus Not oft tödliche Begegnungen zwischen Deutschen und Besatzungssoldaten mit Opfern auf beiden Seiten. Im Zweifelsfall wird vor Gericht der alten Klasse der Besitzenden mehr Glauben geschenkt als demonstrierenden Arbeitern. Wegen Schmuggelns von Lebensmitteln aus Holland gab es täglich bis zu 80 Verhaftungen. 

Aus heutiger Sicht kurios der Versuch, Dada-Künstlern um Max Ernst Pornografie in einer Ausstellung vorzuwerfen – der Prozess endete mit Freispruch. Von Schlägereien im Stadtrat begleitet wurde die Diskussion, ob Straßen und Plätze weiter nach Vertretern des Kaiserreichs benannt werden sollen. Dass die Nazis und ihre Sympathisanten schon früh gegen ihre politischen Gegner zur Waffe griffen, zeigt der Anschlag auf den Redakteur einer Separatisten-Zeitung, die für ein unabhängiges Rheinland eintrat. 

Goebbels bürgerliche Karriere scheiterte in Köln 

Etwas aus der Reihe fallen zwei Fälle. Da ist zum einen der des späteren Profibox-Weltmeisters Max Schmeling: Der versuchte sich mit einem mobilen Eissalon ein zweites finanzielles Standbein zu schaffen – doch sein Manager veruntreute das Kapital. Was der Sportler allerdings nie anzeigte. 

Der andere Fall ist weniger ein Kriminalfall als die Beschreibung vom vergeblichen Versuch von Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels in Köln – gerade einmal 25 Jahre alt – als Bankangestellter Geld zu verdienen und ein bürgerliches Leben zu beginnen. Sein „Verbrechen“ in dieser Zeit besteht eigentlich nur darin, sich krankschreiben zu lassen und statt im Bett zu bleiben, mit seiner (halbjüdischen) Freundin an die See zu fahren. Ihm wird gekündigt, und der Frustrierte wird zum überzeugten Nazi. Goebbels Kapital-Verbrechen kamen später. Im Umfeld des Buches also weniger ein Kriminalfall – eher ein prophetisch-dystopisches Kapitel. 

Informationen:

„Die Insel der Seligen – True Crime 1918 – 1926“
Autor: Anselm Weyer
176 Seiten
Herausgeber: Greven Verlag

Preis:

16,00 €

Verlag:

Greven Verlag Köln GmbH
Webseite:
 https://shop.greven-verlag.de/die-insel-der-seligen.html

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