Als es im Winter noch nach Kohleöfen roch…

Bloß kein Kölsches Jeföhl der Berauschtheit am stets frisch gezapften und fleißig augeschenkten Mythos der Dom-Metropole aufkommen lassen – mit diesem Credo festigt der Verlag parasitenpresse für zeitgenössische Literatur auch im dritten Band des Stadtteil ABC seine Ausnahmestellung auf dem schier unerschöpflichen Buchmarkt für Lokalpatrioten und setzt im „Kalk Alphabet“ auf sensible individuelle Perspektiven auf die Absonderlichkeiten eines Milieus, das sich über die Dekaden vom bedeutenden Industriestandpunkt und einem durch Werksschließungen bedingten Strukturwandel zum multikulturellen Schmelztiegel entwickelte.

„Kalk Alphabet“ buchstabiert einen Lebensraum voller Geschichten

15 Autorinnen und Autoren mit besonderen Bezügen zur Örtlichkeit spiegeln in 26 kurzweiligen Geschichten, freien Versen oder schlichten Notizen persönliche Impressionen eines Lebensraums wider, der im gleichen Maße anziehend wie abstoßend wirkt. Dabei scheint die Zeit, wie einst die Uhr über der Hauptpostfiliale, gefühlte Ewigkeiten stehengeblieben zu sein. Durch ein graubraun-visualisiertes Straßenbild, das sinnliche Erinnerungen an den Geruch von winterlichen Kohleöfen verströmt, ziehen die Menschen ihre Runden zwischen Aldi, Amt und Nudelrestaurant sowie einem lautstarken Palaver oder nicht minder hörbaren Streit vor den Teestuben.

Hier zeigen die „Humboldt-Opas“ in der gleichnamigen Story von Peter Zillig, dass sie noch längst nicht zum alten Eisen gehören, verwaisen die einladenden Plätze ohne Sitzgelegenheiten („Ain`t no Bänke at Kalk Post“, Elizaveta Khan), wachsen Weinreben im Hinterhof, während das Efeu durch den VW-Gold klettert („Nachbarschaft“, Maia Traine). Natürlich verwundert es niemanden, wenn sich zwischen dem Sperrmüll ein aus der nahegelegenen Pension entkommenes Ferkel tummelt („Nachbarschaft“).

„Es ist irgendwie schön hier“, konstatiert Jonas Linnebank mit Betonung auf`s „irgendwie“ in seiner Betrachtung „Josephskirchstraße“. Nicht verschwiegen werden in dem sowohl amüsant-süffisant wie auch nachdenklich stimmenden hochkonzentrierten Werk die Schattenseiten der Gesellschaft, die sich in verklärtem Machotum, Drogenkriminalität und Gewaltdelikten offenbaren. In ihrem Beitrag „Kalk Post – Ein Lied“ dichtet Mirjam Kay Mashkour: „Ein Köln-Kalker hält sein Wort/Glaubst du`s nicht, gibt`s Ehrenmord“.

In der Reihe sind bisher außerdem erschienen: Ehrenfeld Alphabet, Nippes Alphabet

Foto: Thomas Dahl

Informationen:

Kalk Alphabet
Herausgegeben von:
Jonas Linnebank
36 Seiten
Köln, 2020

Preis:

8,00 €

Verlag:

parasitenpresse
Webseite: https://parasitenpresse.wordpress.com

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