Tucholsky und Köln: Keine Liebesheirat
„Der Kölner Dom ist bei Gott nicht schön, der Rhein sieht da ganz nett aus“, schrieb Kurt Tucholsky 1924 an seine künftige Ehefrau. Und einige Jahre später hieß es: „Köln ist Provinz“. Alles andere also als ein Liebesverhältnis zwischen dem Schriftsteller und der Domstadt. Immerhin war Tucholsky 1928 und 1929 zu vier Lesungen in Köln. Wie er anlässlich von hier aufgenommen wurde, hat Mario Kramp, Ex-Direktor des Stadtmuseums, im lesenswerten Büchlein „Man hat etwas gegen Sie vor“ zusammengefasst. Und füllt so eine Lücke in der Literaturgeschichte.
Vom liberalen Bürgertum und den Zeitungen, die diesem nahestanden, werden Tucholskys Lesungen etwa aus seinem „Pyrenäenbuch“ anfangs weitgehend begrüßt und gelobt. Kramp zitiert nicht nur sie, sondern auszugsweise auch die Texte, die der Schriftsteller vorstellte. So kann der heutige Leser die Reaktionen auf dessen Meinungen besser verstehen. Gut aufgenommen wird – wenn auch mit einigen kritischen Tönen versehen – Tucholskys Begeisterung für Frankreich und dessen Lebensart: Das erfreut sich als Sieger des Ersten Weltkriegs und – gerade mal fünf Jahre her – als Besatzungsmacht des Ruhrgebiets nicht gerade großer Beliebtheit. Tucholsky hat dagegen durch seinen Wohnsitz in Paris eine ganz andere Sicht.
Einsatz gegen Paragraf 175 findet wenig Zustimmung
Doch mit der Zeit mehren sich die ablehnenden Stimmen. Das gilt besonders, als er sich – mehr Polit-Vortrag als Lesung – für Abtreibung wirbt und die Abschaffung des Paragrafen 175, der Homosexualität zum Strafbestand macht. Nicht auf ungeteilte Gegenliebe stößt auch seine Kritik an der SPD, insbesondere am Kölner SPD-Politiker Wilhelm Sollmann. Nicht nur von rechts gibt es Kritik an den hohen Eintrittspreisen zu seinen Veranstaltungen.
Bei seiner letzten Tournee durch Deutschland sind die kritischen Berichte vorherrschend, rechtsextreme bestimmen das Klima. In Frankfurt/Main wird sogar ein Arzt von der SA zusammengeschlagen, weil er dem Schriftsteller ähnlich sieht. Tucholsky erkennt, dass er mit seiner Mahnung zum friedlichen Zusammenleben der Völker und seinen Warnungen vor dem Faschismus in Deutschland kein Gehör mehr findet. Er zieht sich mit seiner Geliebten nach Schweden zurück, wo er 1935 – wohl durch Selbsttötung – stirbt.
Zeitzeuge Hans Mayer wird wichtigster bundesdeutscher Literaturkritiker
Ein Kapitel widmet Kramp den Zeitzeugen, mit denen Tucholsky in dieser Zeit zusammenlebte, die ihn begleiteten oder seine Auftritte ermöglichten. Etwa Ernst Hardt, dem Intendanten des Westdeutschen Rundfunks, den sein Einsatz für den Schriftsteller nach1933 den Job kostete. Dem Kölner Buchhändler Paul Wolfsohn, der sich der Verfolgung als Jude entziehen kann. Oder der Kölner Student Hans Mayer, der in der Bundesrepublik zu einem der wichtigsten Literaturkritiker wurde.
Das höchst spannend geschriebene Buch ist das Ergebnis einer wahren Fleißarbeit, für die Kramp, Historiker und bis vor wenigen Monaten noch Direktor des Kölnischen Stadtmuseums, zahlreiche Augenzeugenberichte und Briefe, vor allem aber die Zeitungen aus diesen beiden Jahren durchforstet hat. Nicht fündig werden konnte er allerdings im Polizeiarchiv. So weiß man bis heute nicht, welche Folgen die anonyme Warnung hatte, die Tucholsky vor seiner ersten Lesung in Köln erhielt. Er jedenfalls bewahrte den Zettel zeitlebens auf, der mit den Worten „Man hat etwas gegen Sie vor“ begann – und die dem Buch den Titel gaben.
Mario Kramp: „Man hat etwas gegen Sie vor – Kurt Tucholsky in Köln 1928/29“ – Greven Verlag, Köln 2022. Paperback, 92 Seiten. 12 Euro