Trist, ergreifend und wunderschön

Schon der erste Blick stellt alle gewohnten Seh- und Lesegewohnheiten auf den Kopf: Schwarze Seiten bestimmen das jetzt im emons-Verlag erschienene quadratische Buch „Praga Obscura“ von Josef Šnobl. In diesem Rahmen erhalten seine Schwarzweiß-Fotos, die vom morbiden Charme der „Goldenen Stadt“ und von ihren unangepassten jugendlichen Bewohnern der 1970er Jahre erzählen, erst ihre volle Wirkung. Doch mindestens ebenso fesselnd ist die Autobiografie des Kölner Fotografen, die diese Fotos umrahmen. 

Der 1954 in Prag Geborene liefert eine offene Lebensbeichte – die sehr persönliche Geschichte einer doppelten Befreiung, nüchtern erzählt und gerade dadurch mitreißend. Die erste ist die von seinem Vater, der ihn in eine Lehre als Automechaniker zwang. Die zweite ist die seiner Flucht aus den Zwängen eines diktatorischen, sich sozial(istisch) gebenden Systems. Durch einen fingierten Selbstmord gelingt es ihm, in die „Klapse“ eingewiesen zu werden und dort zumindest eine folgenreiche Art Besinnungspause in diesem Kampf um Selbstbestimmung zu erhalten. 

Ein Kampf, der nur schwer zu gewinnen war 

Denn gewinnen kann er den noch lange nicht, erst recht nicht kann er den Traum vom Studium der Fotografie verwirklichen. Es herrscht Arbeitspflicht – er findet wie andere „Staatsfeinde“ in dieser Zeit Jobs in Prager Theatern. Er muss sich dem Wehrdienst entziehen, der ihn „zum Mann machen“ soll. Er braucht eine Wohnung für sich, seine Frau und die kleine Tochter. Er muss sich mit Tricks in einem korrupten, oft genug absurden System behaupten, in dem bolschewistische Bonzen absahnen. 

Bei der inneren Flucht helfen ihm westliche Pop- und Rockmusik. Und vor allem alle möglichen Drogen, nicht nur der alltägliche Alkohol. Er und seine Freunde leben – ein gutes Jahrzehnt später als seine westlichen Altersgenossen – wie Hippies. Seine Flucht-Begleiter Sex & Drugs & Rock’n’Roll wecken Bilder, die an Jack Kerouacs Klassiker „On the road“ erinnern. 

Nach der Flucht landet er 1979 in Köln 

1979 flüchtete er aus der Tschechoslowakei in den Westen, ließ eine gescheiterte Ehe und damit Frau und Kind zurück. Zu Köln war es wohl so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Hier konnte er endlich Fotografie studieren, machte sich mit Ausstellungen, Aktionen und Veröffentlichungen einen Namen. 

Josef Šnobl (im Tschechischen steht ein Häkchen, ein sogenanntes Hatschek, über dem S, weshalb sein Name im Deutschen „Schnobl“ gesprochen wird) war ein fanatischer Erinnerungssammler, führte mehr oder weniger regelmäßig auch Tagebuch (daraus entstand auch sein 2019 – ebenfalls bei emons erschienenes – Buch „Nachtfahrt“, in dem er seine 25 Kölner Jahre als Taxifahrer erzählt). 

Jetzt fasste er seine angehäuften Notizen für „Praga Obscura“ zusammen, im Mittelpunkt stehen die 1970er Jahre, für ihn „die wichtigsten seines Lebens“. Ergänzt wird der Text mit Fotos, die noch während seiner Prager Zeit sowie nach 1989 bei zahlreichen Besuchen entstanden. Denn trotz der schlechten Erinnerungen: Prag ist für ihn immer noch die schönste Stadt. Der Grafiker Jiri Hampl hat auch dieses Buch wieder exzellent in Szene gesetzt. Šnobl konnte sein Erscheinen nicht mehr erleben: Er starb nach langer Krankheit im Februar des vorigen Jahres. 

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Foto 2: Josef Šnobl – Blick von der Kleinseite über die Moldau während des „Jahrhunderthochwassers“ im Jahr 2002. 

Foto 3: Josef Šnobl – Jugendliche Idylle im sonst eher tristen sozialistischen Alltag. 

Informationen:

„Praga Obscura“
Autor: Josef Šnobl 
Köln, 2022
208 Seiten

Preis:

25,00 €

Verlag:

emons Verlag GmbH
Adresse: Cäcilienstraße 48, 50667 Köln

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