„Mehr als man kennt – näher als man denkt“: Blick in die Ausstellung – Foto: JS

Zwei Ausstellungen über Diskriminierung von Menschen und deren Folgen

Nach jüngsten Umfragen nimmt – nicht nur in Deutschland – die Zahl der Menschen zu, die rechtsextremen Gedanken zuneigen. Um so wichtiger, an die Verbrechen des Faschismus zu erinnern. 29 Erinnerungsstätten in Nordrhein-Westfalen haben sich zusammengeschlossen und geben in einer Wanderausstellung eindrucksvolle Einblicke in ihre Arbeit. „Mehr als man kennt – näher als man denkt“ macht jetzt in Köln Station. Parallel ist „Diversity“ zu sehen: Ein Projekt über die Unterschiede zwischen Menschen, die immer wieder zu Konflikten führen.

Ein Wald aus Schrifttafeln empfängt die Besucher im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Auf jeder wird in Wort und Bild ein Objekt vorgestellt, das von dem Menschen erzählt, dem es einst gehörte. Sie sollen die Erinnerung wach halten an die, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurde, aber auch an die Täter und deren Taten. Es sind höchst unterschiedliche Gegenstände, sie erfüllten religiöse Zwecke, wurden in Haushalt, Schule, zum Spiel oder im Beruf gebraucht. Die dahinter stehenden individuellen Schicksale werden so exemplarisch für eine verbrecherische Politik.

Mit dem Judenstern wurden Menschen sichtbar aus der Gesellschaft ausgeschlossen

Da ist etwa das fröhliche Sommerkleid der Krefelderin Lore Gabelin: Mit dem Judenstern darauf wurde es zum Stigma, seine Trägerin vom Leben ausgeschlossen. Oder die Uhr, die in einem Massengrab bei Dortmund gefunden wurde. Kurz vor Kriegsende hatte die Gestapo hier 230 sowjetische Zwangsarbeiter erschossen. Die Uhr trug auf der Rückseite die eingeritzte Inschrift „Geschenk des Bruders zum Tag des Wiedersehens 13. November 1943“. Der Name ihres Besitzers ist bis heute unbekannt.

Als Inge Frank 1928 in Arnsberg eingeschult wurde, schenkte ihr die Eltern eine kleine einsitzige Schulbank mit Pult. 1942 wurde sie mit 800 anderen Juden in das polnische Ghetto Zmosc deportiert – keiner überlegte. Vor der Deportation hatte Inge ihr Pult dem Nachbarjungen Klaus Fries geschenkt. Seiner Familie war das Schicksal der Franks immer bewusst.

Juden mussten dem Preußenkönig Porzellan abkaufen

An ein altes, heute fast vergessenes Kapitel deutschen Antisemitismus erinnern die Scherben eines Milchkännchens aus der renommierten „Königlichen Porzellan Manufactur“ KPM. Im 18. Jahrhundert mussten Juden diese dem Preußenkönig abkaufen. Das Kännchen gehörte der Wuppertaler Familie Moritz Treistmann, die den Holocaust nicht überlebt. Vom Textilkaufhaus Seligmann in Rosbach blieb nur ein Kleiderbügel, aufs Holz handschriftlich geschrieben die Jahreszahl 1938 – das Jahr, in dem das Geschäft zerstört wurde.

Dann noch die Mosaiksteine, die die elfjährige Doris Moses am Morgen nach dem Novemberpogrom in der Nacht zum 10. November 1938 aus der ausgebrannten Essener Synagoge barg. Ihr Vater wurde in Auschwitz erschossen, sie kam mit ihrer Mutter nach Theresienstadt, sie überlebten und wanderten nach Australien aus. 1988 schenkte sie die Steine der Alten Synagoge ihrer Geburtsstadt für die Dauerausstellung.

„Diversity“-Flyer machen neugierig auf die Ausstellung

Vielfalt und Unterschiede akzeptieren oder ausschließen?

Judentum – also Religion – war das entscheidende Kriterium, um Menschen in der NS-Diktatur aus der Gesellschaft auszuschließen. Sexuelle Orientierung, Behinderungen, Geschlecht, Herkunft, Kultur oder Alter sind andere Merkmale, um Mitmenschen zu diskriminieren, marginalisieren oder gar physisch anzugreifen. Studierende der Fachhochschule Dortmund haben überlegt, wie man positiv über Vielfalt diskutieren kann. Ihr Projekt „Diversity“ hat jetzt in Köln seine 2. Station.

An sechs Stationen können die Besucher Statements über die Lebensrealität von Vertretern und Vertreterinnen der jeweiligen „Minderheit“ anhören. Auf kleinen Kärtchen werden besondere Aspekte der jeweiligen Kriterien erklärt. Zettel liegen bereit, auf denen die Besucher – ohne Namensnennung – ihre Meinungen hinterlassen können.

Ein breites Spektrum: „Klar, wichtig!“ heißt es da kurz und knapp auf die Frage, ob LGBTQIA-Menschen stärker z.B. in Schulbüchern repräsentiert sein sollen. Ein anderer lehnt es aus religiösen Gründen ab. Gleiches zum Thema Inklusion: „Ja Ja“ so eine Stellungnahme kurz und bündig. Etwas verschwurbelt die Gegenmeinung: „JEDE PFLANZE braucht andere Pflege/Untersch. Wasser“. Zwischen Ja und Nein geteilt auch die Antworten auf die Frage, ob religiöse Symbole in staatlichen Institutionen die staatliche Neutralität gefährden.

„Diversity“ ist ein gelungener Ansatz, sachlich und ohne Animosität über aktuell heftig diskutierte Fragen nachzudenken.

„Mehr als man kennt – näher als man denkt. Objektgeschichten aus Gedenkstätten in NRW“ und „Diversity“

Zeiten:

bis 22. Oktober 2023, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa und So 11-18 Uhr

Jeden ersten Donnerstag im Monat 10-22 Uhr

Preis:

Eintritt: 4,50 Euro

Ermäßigt: 2,00 Euro

Ort:

Ns-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln

Tel. 0221 / 221 – 243 40, www.nsdok.de

Anfahrt:

KVB-Linien Bahn: 3, 4, 5, 16 und 18 – Haltestelle Appellhofplaz

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