8. Mai 1945: Die Amerikaner haben auch das rechtsrheinische Köln von der NS-Diktatur befreit. Die Kölner können in ihre fast völlig zerstörte Heimat zurückkehren. Doch der Wiederaufbau beginnt nur langsam, erst Ende der 1950er Jahre kann er – grob gesagt – als abgeschlossen gelten. Diese Jahre dokumentiert der Filmhistoriker Hermann Rheindorf in seiner neuen DVD „Köln nach dem Krieg in Farbe“ – und wieder mit vielen bis heute unbekannten Filmdokumenten.
60.000 Menschen leben im Mai 1945 in Köln. Schon einen Monat später sind es 350.000. Erst 15 Jahre später werden es wieder so viele sein wie vor Kriegsbeginn: 730.000. Doch die, die in der gerade erst befreiten Stadt wohnen, müssen sich mit fehlender Infrastruktur, fehlenden Wohnungen, unzureichender Lebensmittelversorgung herumschlagen. Und so fängt die knapp 100 Minuten dauernde Dokumentation mit Menschenschlangen an, die vor behelfsmäßigen Ämtern zur Registrierung anstehen.
Die kurze Rückkehr Konrad Adenauers als OB
Der Weg zur Normalität ist lang und von Provisorien begleitet. Und die Amerikaner sind nicht bei allen beliebt. Diese hoffen auf bessere Zusammenarbeit, indem sie den von den Nazis abgesetzten ehemaligen OB Konrad Adenauer wieder in sein Amt einsetzen. Nur kurze Zeit später wird er von den Briten abgesetzt. Die haben mittlerweile im Rahmen der Aufteilung Deutschlands zwischen den vier Siegermächten die Macht in Köln übernommen.
Grund für Adenauers Absetzung ist wohl dessen Weigerung, den Stadtwald zur Gewinnung von Brennholz abzuholzen. Doch die Kölnerinnen und Kölner wissen sich zu helfen, klauen Kohlen und Briketts von den Zügen. Und das mit höchstem katholischen Segen von Kardinal Frings. Weshalb diese Heizmaterialbeschaffung noch heute als „fringsen“ bekannt ist.
Schweizer spendeten für Kölns hungernde Kinder
Vieles aber, was diese Filmedokumente zeigen, dürfte heute vergessen sein. Bekannt sind die Care-Pakete, weniger wohl die Spendenpakete von Schweizer Bürgern für hungernde Kölner Schulkinder. Ein Schweizer Filmteam hielt auch das beengte Leben in den Trümmern fest, zeigt abgehärmte Gesichter und den Reichtum, den der Besitz eines Kaninchens bedeutete. Noch 1948 mussten 30.000 Kölnerinnen und Kölner in Kellern leben, 60.000 in Notunterkünften. Vor dem Rathaus gab es Hungerdemonstrationen, jedes 10. Kind starb vor dem ersten Geburtstag. Und die Armut blieb auch nach der Währungsreform im Jahr 1948.
Zu den bislang unbekannten Dokumenten zählt etwa der Amateurfilm, aufgenommen 1950 von einem Kölner Ehepaar. Es hatte rechtzeitig vor den Nazis fliehen können und war nun als Touristen in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Und während der Eigelstein in dieser Zeit schon wieder eine fast normal belebte Einkaufsstraße war, führen seine Nebenstraßen durch eine Geisterstadt. Unbekannte Einblicke in den Arbeitsalltag der frühen 1950er Jahre zeigen ein Film über die Woche eines Metzgerlehrlings in Kriel oder die Näherinnen in der Brügelmann-Kleiderfabrik. Dort erhielt ein Lehrling 10 Pfennig Tageslohn.
Schon bald wurde auch wieder Karneval gefeiert
Den Spaß an der Freud ließen sich die Kölner allerdings nicht verbieten. Weder die Kinder, die sich schon kurz nach Kriegsende unter der kaputten Rodenkirchener Brücke aus leeren Munitionskisten eine Bretterbude bauten. Und erst recht nicht der Jeck, der meinte, sich im Karneval als Hitler verkleiden zu müssen. Mit einer „Anti-Nazi-Spritze“ versuchten die Narren 1950 im Rosenmontagszug, Tünnes zu immunisieren und die NS-Vergangenheit vergessen zu machen. Diese Jahre waren da nur ein Mini-Kapitel unter dem Motto „1900 Jahre Köln“.
Dieses Jahr war auch – man glaubt es kaum – die Geburtsstunde von Kölsch als – lokales – Nationalgetränk. Der Stadtrat hatte es dazu erklärt und die Brauer folgten bereitwillig. Bis dahin hatte das obergärige Bier nur einen Marktanteil von 10 Prozent. Pils und Lager auch aus Kölner Brauereien beherrschten den Markt. Erst vor der Jahrtausendwende hatte sich dieses Verhältnis umgekehrt. Wo aber sind die legendären Wettrennen der Kölner Wettbewerbe auf den Ringen geblieben – Wer ist der Schnellste, wer verschüttet am wenigsten?
Heute Gedankenspiel, damals Realität: Eine Rheinbrücke an der Bastei
Wiederkehrendes Thema ist der Weg zu einer modernen Stadt. Da ist zum einen der Wiederaufbau der Rheinbrücken. Es beginnt mit einer Holzbrücke neben der im Rhein liegenden Deutzerbrücke. Es folgt eine Brücke an der Bastei – heute wieder ein Gedankenspiel. Es letzte wird 1960 die Severinsbrücke eröffnet: Atemberaubend der Panoramablick von der Spitze ihres Pylons. Das alles in heute kaum vorstellbarem, atemberaubenden Tempo. Die Altstadt wird à la Mittelalter wieder aufgebaut, sonst aber setzt sich moderne, sachliche Architektur durch.
In 31 „Kapiteln“ – sie behandeln auch Sport, Jugendkultur, Bundesgartenschau, Tourismus und die Liebe zum Auto –wird erzählt, wie sich Köln aus 30 Millionen Kubikmetern Schutt befreite. Und das – so der Titel der DVD – „in Farbe“. Aber waren die Filme aus rund 60 Quellen nicht größtenteils schwarzweiß? Stimmt – doch die nachträgliche Kolorierung überrascht durch ihre Sensibilität, unterstützt mit zarten Tönen die vorherrschende Trostlosigkeit ohne sie zu verniedlichen. Eine wichtige Dokumentation – nicht zuletzt für die „Nachgeborenen“.
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Foto 1: Das Cover der DVD.
Foto 2: Ein britischer Soldat beobachtet den Verkehr auf der Behelfsbrücke
Foto 3: Ein Köbes der Gaffel-Brauerei beim Kellner-Rennen auf den Ringen.
Informationen:
„Köln nach dem Krieg in Farbe“
Regisseur: Hermann Rheindorf
Preis:
empfohlener Ladenpreis: 14,80 Euro
Kontaktdaten
kölnprogramm GmbH & Co. KG
Webseite: https://www.rheindvd.de/dvd/koeln-nach-dem-krieg-in-farbe/