Finni und der Onkel Wolf

Wie erkennt man sexuellen Missbrauch? Diese Frage dürften sich in den letzten Jahren vor allem Eltern gestellt haben, die ab und zu die Nachrichten verfolgen. Missbrauchsfälle in Kirchen, in Kindergärten oder auf Campingplätzen nehmen im kollektiven Gedächtnis einen unliebsamen Platz ein, warnen allerdings auch vor ungewöhnlichen Gefahren. Die Polizeiliche Kriminalstatistik spricht für 2022 von über 17.000 Fällen des sexuellen Kindesmissbrauchs, am Häufigsten zu Hause durch nahe Angehörige, gefolgt von Gewalterfahrungen in Vereinen, Schulen oder anderweitigen Institutionen mit Schutzcharakter.

Nicht weit also der Weg zum kritischen Theaterstück und hier tritt das Horizont Theater mit seiner neuen Produktion „Finnis Geheimnis – Kinder stark machen, NEIN zu sagen“ auf den Plan. Basierend auf dem Kinderbuch von Caroline Link und Sabine Büchner richtet sich die Produktion (Regie: Christos Nicopoulos) nicht nur an Kinder und Jugendliche ab fünf Jahren, sondern auch an deren Eltern. Sie thematisiert unverblümt offen Kindesmissbrauch und schärft so das Bewusstsein für die Art und Weise, wie und wo Missbrauch stattfinden kann. Zumindest in der Theorie. 

Mit wenig Ästhetik möglichst viel Inhalt liefern

Spielerisch orientiert sich das Stück dabei stark an der Vorlage. Die Schauspielerinnen und Schauspieler übernehmen in der Geschichte die Rolle von Tieren, in deren Verlauf die junge Füchsin Finni (Lisa Birnkott) von ihrem Wolfsonkel Wolfgang (Egmont Stawinoga) nach und nach unsittlich berührt wird, bis die ganze Situation für das Kind unzumutbar wird. Besonderes Lob geht dabei an die Frau Eule, gespielt von Gerrit Pleuger, die im Nachgang die Situation aufräumt und Finni die eigentliche Selbstverständlichkeit mit auf den Weg gibt, durchaus NEIN sagen zu dürfen. Und zu müssen. 

Das ist an vielen Stellen schwer auszuhalten und extrem unangenehm, übertritt Grenzen und trifft empfindliche Stellen. Die ein oder andere Szene besitzt starkes Zusammenzuckpotenzial, während das Warten auf eine kathartische Reinigung schier kein Ende nimmt.  

Verantwortlich dafür zeichnet sich vor allem die ästhetische Nullausrichtung, die gut zur bedrückenden Gesamtausrichtung der Inszenierung passt. Zwar tragen die Schauspielerinnen und Schauspieler alle ihre auf die Rolle passenden Kostüme, auf viel mehr brauchen sich Ästhetiker aber nicht einstellen. Die Produktion nutzt Musik nur als Mittel um Fröhlichkeit hervorzurufen, entsprechend karg geht sie mit ihr um. Gleiches gilt für die Lichtgestaltung, die gezielt aber grundsätzlich spärlich eingesetzt wird.

Verpasste Möglichkeiten

Im Nachgang ist es ein wenig schade, dass sich die Produktion so nah am Original bewegt, ein wenig mehr Freiheit hätte ihr gut getan, insbesondere mit diesem schweren Thema im Rücken. Eine andere Darstellung des Wolfes als gemeiner Wolf beispielsweise hätte die Möglichkeit eröffnet, den Wolfs- bzw. den Predator-Begriff weiter zu fassen als er ist, denn nicht nur Wölfe vergehen sich an Kindern. Auch Schafe, Löwen und anderweitige Rudeltiere tun es.  

Letzten Endes trifft die Produktion genau das, was sie beabsichtigt: Missbrauch an Kindern und Jugendlichen ist real und findet vor unserer aller Augen statt. Aber am Wichtigsten: betroffene Personen dürfen auch Nein sagen, selbst in Situationen, in denen aggressiver Druck aufgebaut wird. Und so ist „Finnis Geheimnis“ eine dieser Inszenierungen, die man vielleicht nicht sehen möchte. Allerdings auch eine, die man gesehen haben sollte. Unbedingt.

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Fotos: Niklas Berg – Szenen aus der Produktion.

Zeiten:

22. September 2023:
11:00 Uhr

22. September 2023:
16:00 Uhr

29. September 2023:
16:00 Uhr

30. September 2023:
16:00 Uhr

Preise:

Eintritt: 8,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung: 

Horizont Theater
Adresse: Thürmchenswall 25, 50668 Köln
Kartentelefon:
0221 – 13 16 04
Webseite: https://www.horizont-theater.de/produktionen/finnisgeheimnis.html
KVB: Linien 12, 15, 16, 18: Ebertplatz

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