Was. Zum. Teufel?

Man mag es sich nicht ausdenken. Da sitzen 53 Schauspielerinnen und Schauspieler in ihren nach Wohlstand triefenden vier Wänden, drehen Zwei- bis Dreiminüter und ergötzen sich in einer zynischen Erhabenheit über die aktuellen Corona-Maßnahmen – zu einer Zeit, in der die Pandemie auf dessen Ende zusteuert. Gratismut nennt man das im Volksmund, wenn ein Meinungsträger seine Meinung zu einem bestimmten Thema abgibt und dabei keinerlei Konsequenzen fürchten muss. Verloren aber, und das war den meisten im Vorfeld wohl nicht ganz bewusst, haben sie viel: Glaubwürdigkeit, Respekt, Ansehen. Denn das, was diese gut betuchten und trotz Pandemie noch gut im Broterwerb stehenden Personen da von sich gegeben haben, eingenommen von einer höchst grenzwertigen Bewegung, lässt sich nur noch als kopflos bezeichnen.

Man mag es sich nicht ausdenken. Da sitzen tatsächlich 53 Schauspielerinnen und Schauspieler – und man verliert allmählich den Glauben an die Welt. Anstatt die eigene Reichweite für etwas Positives zu nutzen, schwingen sie polemische Reden, steigen auf das populistische Pferd und zeigen damit allerdings auch, dass Schauspieler halt auch nur Menschen sind, die die Verehrung, die sie im Alltag erleben, nicht immer verdienen.

Das Märchen des „Kritischen Diskurses“ meilenweit verfehlt

Man stelle sich vor, dort sitzen 53 Schauspielerinnen und Schauspieler, die in den letzten Jahren verdientermaßen durchaus gut verdient haben (und es trotz Pandemie auch weiterhin in einer boomenden Branche tun), ohne ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen zu verlieren, die im Theaterbetrieb vor den Trümmern der eigenen Existenz stehen und nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete zahlen können. Solidarität? Kritischer Diskurs? Pustekuchen.

Lieber reden diese 53 Schauspielerinnen und Schauspieler (von denen ich selbst einige ganz toll finde, versteht mich nicht falsch) von Angst, gleichgeschalteten Medien und davon, die eigenen Kinder ab einer Inzidenz von 200 zur Adoption freizugeben. Alles im Deckmantel der Ironie natürlich. Die Wahl des Stilmittels kann man dabei als gelungen ansehen. Muss man aber nicht.

Man stelle sich das nur einmal vor. Was sagen bloß die Menschen dazu, die auf den Intensivstationen liegen und um ihr Leben kämpfen? Machen die sich zu viel Angst? Ansichtssache. Dass, und ich nehme den vollumfänglich gelungenen Beitrag von Volker Bruch jetzt mal als Aufhänger, der Begriff der Angst in diesem Pandemie-Kontext eine unglaublich aufgeblähte Worthülse ist, das scheint dem Herrn dabei wohl gar nicht klar zu sein. Zu viel in Querdenker-Gruppen geschnüffelt? Oder doch am Kleber? Denn Angst, ich lehne mich hier mal weit aus dem Fenster, haben nur die wenigsten. Und dann auch nur die, die wirklich kurz davor sind ihr eigenes Leben oder das Leben eines geliebten Menschen zu verlieren. Aber ansonsten Angst? Die passende Gefühlsregung ist wohl eher die der Sorge. Wir haben SORGE (und die besagten Schauspieler mit Sicherheit auch, was diese ganze Aktion noch umso unfassbarer macht), dass wir Angehörige verlieren, dass die Pandemie einen erheblichen Einschnitt in unseren Zukunftsplänen hinterlässt, dass das Leben nie wieder so wird, wie es einmal war. 

Man darf keine Kritik üben? Kritik ist omnipräsent!

Wer hier von Angst redet, der hat wohl anscheinend den Ernst der Lage verkannt und im gleichen Atemzug zu viele falsche Medien und Kommentare gelesen. Denn ich persönlich, um mich mal als Beispiel zu nennen, habe keine Angst, dass mein gerade erst geborener Sohn an diesem vermaledeiten Virus krepiert. Ich habe Sorge, dass er ihn sich überhaupt erst einfängt. Einfängt durch nachlässiges Verhalten anderer Menschen, die zu bescheuert im Kopf sind vernünftig durch die Medienlandschaft zu scrollen, denn ein kritischer Diskurs findet schon die ganze Zeit statt. Kritik ist omnipräsent. So omnipräsent, dass ich ihrer müde bin sie überhaupt zu erwähnen. Und wer da von Angst spricht, der hat sich dem Narrativ einiger fehlgeleiteter Seelen wohl schon komplett verschrieben. Ganz abgesehen davon, dass Angst der letzte Ausweg aus dieser chaotischen Gefühlslage ist und trotz 80.000 Opfern, die die Pandemie in Deutschland bisher gekostet hat, ist sie wohl nur einer geringen Prozentzahl an Menschen vorenthalten, hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung.

Und so stelle man sich doch bitte einmal vor, wie lebten in einer Gesellschaft, die den Bezug zur eigenen Sprache komplett verloren hat. Weil sie jeden Begriff wichtigtuerisch aufbläht und damit den Sinn und die Bedeutung des einstigen Urbegriffes ad absurdum führt. Weil sie von Angst, Propaganda und Diktatur spricht, von gleichgeschalteten Medien, von Moralapostelei. Welche Bedeutung haben diese Begriffe überhaupt noch? Und wie werden diese Menschen empfinden, sollten sie selbst an den Punkt geraten, der sie mit eben jenen wild umher geworfenen Begriffen konfrontiert? Es ist ja absolut keine Überraschung, dass plötzlich alle Gendern wollen und sich dabei gegenseitig aufspießen – unser Sprachgefühl ist in all den Twitter-Blasen und ideologisch aufgeblähten Diskursen komplett abhanden gekommen, als Kampfwerkzeug missbraucht.

Dieser Moment, wenn Sprache in die falsche Richtung feuert

Und so stelle man sich doch einmal vor, weil Sprache ja durchaus eine unglaubliche Macht in sich trägt, diese 53 Schauspielerinnen und Schauspieler hätten sich nicht von einem vereinnahmen lassen, der Corona als einfache Grippe abwinkt und mit dem Kampfbegriff „Coronanazi“ um sich wirft. Man stelle sich vor, sie hätten ihre Reichweite, ihre Beliebtheit und ihre Ressourcen für etwas Sinnvolles eingesetzt. Mein Gott, hätte da etwas Positives bei rumkommen können. Stattdessen fühlen sich nun genau die richtigen Kreise in ihrer eigenen Meinung bestätigt, dass die Regierung ja ein diktatorisches Regime sei, dass die Medien pöse pöse berichteten und dass jeder, der in SORGE vor den Auswirkungen der Pandemie Obacht gibt, ein Moralpostel sei, gehörig und untertan zu was auch immer.

Und ja, Kritik ist durchaus angebracht. Kritik, gerne auch in Ironie verpackt, die in erster Linie Politiker aufs Korn nimmt, die nach einem Jahr Pandemie nicht mehr zustande bringen als ihre eigenen Taschen zu füllen. Politiker, die offensichtlich unfähig sind, ein Land zu führen und eine Krise zu bewältigen. Politiker, die nach einem Jahr Pandemie IMMER NOCH UNFÄHIG SIND!

Und so lasset uns gespalten bis an unser Lebensende vereint sein

Und das meine lieben 53 Schauspielerinnen und Schauspieler, das macht mir Angst. Dass mein Sohn in eine Gesellschaft hineingeboren wurde, die sich im Mittelmaß suhlt, die profitgetrieben jegliches Empathiegefühl verloren hat und die so egoistisch und engstirnig ist, dass sie die wahren Probleme übergeht (z.B. überlastetes Krankenhauspersonal, eine zurückgelassene Jugend, vor dem Ruin stehende Unternehmen und Freiberufler – auch Schauspieler oder Tontechniker beispielsweise) und sich stattdessen in Zynismus und „Ironie“ ergibt, der eigenen Unfähigkeit ausgeliefert.

Und das meine lieben Schauspielerinnen und Schauspieler, das macht mir am meisten Angst. Denn das ist das Letzte, was ich mir für meinen kleinen Sohn wünsche. In solch eine Scheiße hineingeboren worden zu sein. Danke dafür. Gute Nacht.

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Foto: Collage aus den Youtube-Videos der Aktion #allesdichtmachen, Volker Bruch, Kathrin Osterode, Jan Josef Liefers (von oben links nach unten links). Videos unter www.youtube.com/channel/UC3_dHQpx8O9JT2LW1U2Beuw

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