Aufmerksamen Spaziergängern ist es sicher schon aufgefallen: unterschiedlichstes Grünzeug, das sich in den Fugen zwischen den Pflastersteinen behauptet. Kenner können da sogar seltene Arten entdecken. Doch über den Pflanzen schwebt die Hacke: Nicht jeder mag sie – also weg damit.
Kapitel 1
In der Nippeser Steinbergerstraße gehen drei Arbeiter der AWB ihrer Aufgabe nach. Mit Hacken entfernen sie Grünzeug, das sich in den Ecken zwischen Häusern und Gehweg angesiedelt hat. Auch auf dem schmalen Streifen Pflastersteine vor dem Bordstein muss alles weg. Warum? „Sieht nicht schön aus.“ Näheres solle man bei der AWB erfragen.
Also Anruf bei der AWB: Man handele im Auftrag der Stadt. Dort erhalte man Auskunft. Anruf telefonische Anfrage beim Presseamt der Stadt, direkt bei den zuständigen Stellen ist erfahrungsgemäß nicht erfolgreich – man scheut den direkten Kontakt mit der Presse. Eine freundliche Mitarbeiterin bittet darum, die Fragen per E-Mail einzureichen, man werde sie dann weiterleiten.
Kapitel 2
Stadt, und zur Sicherheit auch die AWB, erhalten folgende Fragen:
- Warum beauftragt die Stadt (welches Dezernat?) die AWB, Unkraut/Pflanzen aus Pflasterfugen auf Gehwegen, Parkstreifen oder zwischen Gebäuden und Gehwegen zu beseitigen?
- Welche Zeitintervalle und Personalaufwand legt der Auftrag fest?
- Wie viel kostet die Entfernung im Jahr?
Kapitel 3
Fünf Tage später – ein Wochenende liegt dazwischen – kommen auf Nachfrage der Stadt diese Antworten:
- Die Wildkrautbeseitigung ist Teil der Straßenreinigung. Sie trägt insbesondere zur sicheren Nutzung von öffentlichen Geh- und Fahrwegen bei und sorgt für ein gepflegtes Stadtbild.
Die Straßenreinigung ist gemäß Straßenreinigungsgesetz NRW zunächst Aufgabe der Kommunen. Die Kommunen können sich zur operativen Aufgabenwahrnehmung Dritter bedienen. Die Stadt Köln, das Dezernat Mobilität sowie das Dezernat Umwelt, Klima und Liegenschaften, haben die AWB GmbH mit der Straßenreinigung beauftragt. Die Stadt Köln bleibt rechtlich verantwortlich.
- Die Straßenreinigung und damit auch die Wildkrautbeseitigung wird flexibel, d. h. nach Bedarf, erbracht. In der Vegetationsperiode bzw. der warmen Jahreszeit ist der Bedarf an Wildkrautbeseitigung naturgemäß größer.
In den Logistikkosten der Straßenreinigung der AWB GmbH sind die Personalkosten mit einem Anteil von 75 % berücksichtigt. Straßenreinigung ist trotz technischer Hilfsmittel eine personalintensive Tätigkeit. Der Personalaufwand richtet sich grundsätzlich nach der Zahl und Größe der zu reinigenden Flächen sowie nach der Reinigungshäufigkeit der Flächen in Abhängigkeit von der Nutzungsintensität.
- Die Straßenreinigung wird durch die AWB GmbH im Auftrag der Stadt Köln teils gebühren- und teils haushaltsfinanziert erbracht. Zudem gibt es die Anliegerreinigung in Verantwortung der Grundstückseigentümer*innen.
Zur satzungsgemäßen Reinigung über den Gebührenhaushalt: Die Straßenreinigungsgebühr wird je Anliegerfrontmeter berechnet und jährlich in der Straßenreinigungssatzung ausgewiesen. Je nach Straßenreinigungskategorie (Gehweg, Fahrbahn etc.) und Reinigungshäufigkeit in Abhängigkeit von der Intensität der Nutzung ergeben sich unterschiedliche Gebührensätze und damit Kosten.
Da die Wildkrautbeseitigung Teil der Straßenreinigung ist, ist diese nicht gesondert ausgewiesen. Dies gilt für die gebühren- und haushaltsfinanzierte Reinigung gleichermaßen.
Kapitel 4
Weil nicht alle Fragen beantwortet sind, erfolgt eine Nachfrage, die Antworten kommen zwei Tage später.
- Die Wildkrautbeseitigung kostet (Stand Gebühr 2021) rund 1,8 Mio. Euro im Jahr. Davon entfallen rd. 1,4 Mio. Euro auf Personalkosten. Die Kosten der Wildkrautbeseitigung machen etwa 3 % der Straßenreinigungsgebühr aus.
- Unfälle im Zusammenhang mit Wildkraut sind uns nicht bekannt. Die regelmäßige Wildkrautbeseitigung als Teil der Straßenreinigung dient ja auch gerade dazu, dies zu vermeiden.
- Wildkräuter fördern an jeglicher Stelle natürlich die Biodiversität und mildern die Klimawandelfolgen. Eine möglichst naturnahe Entwicklung von Flächen, auch mit Wildkräutern, ist wünschenswert, aber nur dort in dem Maße möglich, wo dies im Einklang mit der Verkehrssicherungspflicht steht. Die Straßenreinigung und Wildkrautbeseitigung trägt dem Rechnung.
Kapitel 5
Die Stadt gibt also 1,8 Millionen Euro im Jahr für „sichere Nutzung von Geh- und Fahrwegen“ sowie ein „gepflegtes Stadtbild“ aus. Nähme sie dieses Ansinnen ernst, müsste sie diesen Posten erheblich aufstocken. Denn ein Gang durch die Stadt zeigt: Es wuchert überall kräftig weiter. Geld und Personalaufwand reichen offenbar nicht aus (oder wird schlecht geplant?). Verständnisfrage: Wie kann ein Löwenzahn, der in der Fuge zwischen Haus und Gehweg überlebt, die Verkehrssicherheit gefährden? Immerhin: Bis heute gab es keinen Unfall, der durch diese Wildkräuter verursacht wurde. Trotz offensichtlicher „Urwälder“.
Bleibt das „gepflegte Stadtbild“. Eine Vorstellung, die sich in Zeiten des Klimawandels überlebt haben sollte. Wenn die Stadt Geld an Hausbesitzer zur Entsiegelung und Begrünung von Hinterhöfen verteilt, sollte sie doch auch etwas für grüne Ästhetik übrig haben. Zwar gebe es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, wie viel CO2 durch solche Pflasterpflänzchen gebunden wird, aber „selbst das kleinste bisschen Grün verbessert das städtische Kleinklima – vor allem in heißen Sommern“, so der Kölner Holger Sticht, Vorsitzender des BUND-Landesverbandes NRW. Außerdem , so ergänzt er, finden sich in den Pflasterritzen auch seltene oder gar stark gefährdete Arten (mehr dazu unter https://www.bund-koeln.de/themen-und-projekte/stadtoekologie/bundte-inseln-stadtnatur/)
Fazit:
Diese Ausgabe von 1,8 Millionen Euro kann sich die sparen – die Natur ist schneller und stärker. Eine bessere Verwendung fände das Geld – Stichwort „Verkehrssicherhei“t – bei der bautechnischen Verbesserung der Gehwege. Etwa bei der Beseitigung von Stolperfallen infolge verschobener Pflasterplatten. Oder – Stichwort „gepflegtes Stadtbild“ – bei der Beseitigung von Taubenkot und umweltschädlichen Zigarettenkippen.
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Bildzeilen
Foto 1: Jürgen Schön – AWB-Mitarbeiter befreien Pflasterritzen von „unschönem“ grünen Bewuchs.
Foto 2: Jürgen Schön – Stört dieser Löwenzahn am Gehwegrand das „gepflegte Stadtbild“ oder ist er ein grüner Hoffnungsschimmer in der Steinöde?
Foto 3: Jürgen Schön – Ist dieser Löwenzahn unter einem Hauseingang nicht ein bunter Farbtupfer in grauer Steinödnis? Die Zigarettenkippen dagegen gefährden das Grundwasser…