Ein Ideal im Lichte der Wirklichkeit

Unrühmliche Berühmtheit erlangte Felix Alexander Oppenheim durch den sogenannten Kassetten-Diebstahl. Verwickelt in einen Prozess der Eheleute Gräfin Sophie von Hatzfeld, die der gelernte Jurist selbst vertrat, und ihrem Ehemann Edmund Fürst von Hatzfeldt-Wildenburg, erbeutete Oppenheim 1846 in einer Gaststätte in Aachen eine Kassette der Mätresse des Fürsten, in der er für den Prozess wichtige Dokumente vermutete. Der Diebstahl flog auf, die Dokumente waren wertlos und noch im selben Jahr stand er wegen Diebstahls vor einem Kölner Geschworenengericht, welches ihn zwar freisprach, die Ausübung seiner juristischen Tätigkeit ward ihm von nun an allerdings untersagt. Fortan begab sich Oppenheim auf Reisen. In Paris unterzog er sich der Fotografen-Ausbildung des berühmten Fotografen Gustave Le Gray, bei dem er unter anderem ein neues Fotoverfahren entwickelte, das sich nicht auf Glasplatten als Schichtträger stützte – das erste Material für Fotoemulsionen – sondern auf Papiernegative. Über Umwege kam er im Herbst 1853 in Griechenland an und lichtete dort die legendäre Akropolis ab. Mit einem detaillierten und ungeschönten Blick auf das alte Gemäuer entstand aus den Aufnahmen das Fotoalbum „Atheniensische Alterthümer“, das sich auf zwei Werke aufteilt. Alle 42 darin verarbeiteten Fotografien stellt das Museum Ludwig nun in dessen Ausstellung „Stille Ruinen“ aus.

Eine menschenleere Umgebung, Jahrhunderte alte Ruinen, die Akropolis von ihrer verletzlichsten Seite – die imposanten Hinterlassenschaften einer vergangenen Zivilisation ragen aus dem Staube Griechenlands und erzählen ihre eigene Geschichte. Erbaut in den Jahren 467 bis 407 vor Christus, auf einem 156 Meter hohen Felsen, war die Akropolis der Schutzgöttin Athens, Athena, geweiht, bestehend aus imposanten Bauwerken und in ihrer Gesamtheit mittlerweile zum UNESCO-Weltkulturerbe zählend.

Ein Streifzug durch die Tempelanlage

Die Ausstellung beginnt bei Oppenheims Fotografien der Propyläen, die den Eingang zur Akropolis bilden und die damit auch den Einstieg in die ausgestellte Sammlung einleiten. Wie ein Streifzug durch das altertümliche Gemäuer selbst, führen die Fotografien dann am Parthenon und dem Erechtheion vorbei, geben Einsichten in die Beschaffenheit der jahrtausendealten Bauwerke und liefern eine Bestandsaufnahme, die ebenso auf die in sich bergende Geschichte des Tempelbaus schließen lassen. Mal großflächig, mal akribisch detailliert, die Aufnahmen fangen die Gebäude mitsamt ihrer unzähligen Pilaster und Friese in fragmentierter Ganzheitlichkeit ein, ohne je den Blick von der in Bruchstücken liegenden Schönheit der alten Ruine abzuwenden. „Er hätte retuschieren und nur die schönen Seiten zeigen können, aber es sind wirklich die Ruinen, die er als Ruinen fotografierte“, sagt die Kuratorin Miriam Szwast. „Das wird mit Sicherheit einige Betrachter in den 1850er Jahren überrascht haben, zu sehen, in welchem Zustand ihr Ideal ist.“ 

Gerade die großflächigen Aufnahmen zeigen die Verletzlichkeit des Baus, die Oppenheim in seinen Fotos unerbittlich festgehalten hat. Die von Raubzügen und Belagerungen malträtierten Gebäude wirken durch die vergilbten Aufnahmen der Papiernegative umso mystischer und altertümlicher – und doch legen sie neben dem zeitlichen Verfall die architektonische, böswillige Verstümmelung rigoros offen, welche auch noch bis zum heutigen Tage Gegenstand politischer und moralischer Debatten ist. Wird man als Betrachter der Fotografien etwa Zeuge von raubkünstlerischen Vermächtnissen, die sich ohne Scheu vor dem eigenen Auge auftun? Passend: Just forderte die griechische Regierung vom British Museum in London die Rückgabe der Friesteile des Parthenon, die der damalige Botschafter Lord Elgin im 19. Jahrhundert abmontieren und nach England transportieren ließ.  

Unverfrorene Standhaftigkeit dem zeitlichen Verfall zum Trotz

Die festgehaltenen Restaurierungen weggebrochener und fortgeschleppter Baustücke entblößen zwar die Verstümmelungen jenes altertümlichen Meisterwerkes – und das wohlgemerkt manchmal vielleicht erst auf den zweiten Blick – sie wirken jedoch auch wie eine Heilung des Gemäuers, die die Akropolis im Zuge der archäologischen Wiederentdeckung erfahren hat, die mit der Unabhängigkeit Griechenlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzte und die seitdem Schritt für Schritt vorangeschritten ist.

Am Ende der Ausstellung bleibt dann allerdings eine Frage offen: Bestehen das Ideal der Akropolis und all die Mythen, die ihr immerzu zugeschrieben wurden, auch heute noch? Oder verfiel dieser Charme mit der Zeit, welche ohne Frage Spuren an dem alten Tempel hinterlassen hat und die mitsamt technologischem Fortschritt neue Perspektiven und anderweitige Prioritäten mit sich brachte? Mit der Ausstellung „Stille Ruinen“ zeigt das Museum Ludwig die Standhaftigkeit als auch die Ausdauer, mit der sich die Akropolis all die Jahrtausende über menschlicher und zeitlicher Entfremdung entgegenstellte und legt damit ebenso den Fokus auf einen Pionier der Fotografiegeschichte selbst, der vielerorts immer noch ein unbeschriebenes Blatt ist: Felix Alexander Oppenheim.
Wir wünschen euch viel Spaß!

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Anmerkungen:

Der Besuch erfordert den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand, die üblichen Hygienemaßnahmen und einen vorschriftsmäßigen Mund- und Nasenschutz. #Abstandhalten #Achtsamsein

Zeiten:

Noch bis zum 14. Juni 2020!

Preise:

Eintritt des Museums:
Erwachsene: 
11,00 €
Ermäßigt: 
7,50 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Museum Ludwig, Köln
Adresse: Heinrich-Böll-Platz, 50667 Köln
Telefon:
0221 – 221 261 65
Webseite: www.museum-ludwig.de/de/ausstellungen/stille-ruinen
KVB:
Linien 5,16, 18: Dom/Hbf
Linie 5: Rathaus

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