So aktuell wie nie

Gut 2000 Jahre alt ist der Kriminalfall und stets aktuell, wenn auch noch nie so in der öffentlichen Diskussion wie heute: Zwei alte Männer versuchen eine junge Frau zu vergewaltigen. Als ihnen das nicht gelingt, beschuldigen sie ihr Opfer des Ehebruchs, dem nun die Todesstrafe droht. Doch in einem Prozess werden sie der Lüge überführt und zum Tode verurteilt. Dieser antike „Me too“-Fall war immer wieder Motiv in der Kunst, das Wallraf-Richartz-Museum rollt die künstlerische Rezeption des Falls „Susanna im Bade“ nun erstmal umfassend an rund 90 Beispielen auf – von Rembrandt bis Hitchcock.

Drei Papyrus-Fragmente eröffnen die Ausstellung: Sie sind aus der Zeit um 200 nach Christus und damit die ältesten schriftlichen Zeugnisse dieser Geschichte aus dem alttestamentarischen Buch Daniel. Das ist ihre Ausgangssituation: Eine junge schöne Frau will ein Bad nehmen. Zwei geile alte Männer – verborgen hinter einem Gebüsch – beobachten sie. Stürzen aus ihrem Versteck, bereit zur Vergewaltigung. Doch die Darstellung dieser Situation zeigt den unterschiedlichen Blick auf sexualisierte Gewalt. Wobei alle Künstler – auch die Künstlerinnen – meisterhaft nackte verlockende Haut malen können.

Die zweideutige Lust am Betrachten der Bilder

Da ist die „klassische“ Macho-Sicht, etwa in den Kupferstichen von Heinrich Aldergrevers (1555): Die Frau ist es doch selber schuld, warum zeigt sie sich so ungeschützt in aller Öffentlichkeit? Oder in unsere Zeit übertragen: Warum hat sie denn diesen knappen Minirock getragen? So werden die Männer vom Täter zum Opfer. Und so hinterfragt die Ausstellung auch die zweideutige Lust des Betrachters am Sehen. Mehr als nur eine Fußnote: Die Geschichte wurde rassistisch oder antisemitisch aufgeladen – wie bei Willi Geiger, der die zwei Alten 1920 mit überdimensionalen Hakennasen zeigt.  

Was bewegte die Künstlerin Angelika Kaufmann, dieses Thema aufzugreifen? Ihrer Susanna gefallen die Berührungen offensichtlich nicht. Und auch viele Künstlerkollegen sehen die Frau eindeutig als Opfer, Rembrandt etwa oder Rubens. Doch bleibt die Frage offen: Machen sie den Betrachter mit ihren Bildern zum Voyeur eines Pornos, zum geistigen Mittäter oder zum entsetzten Zeugen eines Sexual-Verbrechens? Entrüstung und Lustgewinn liegen eng beieinander. 

Stinkefinger für die beiden Angreifer

Wobei das optische „Angebot“ von einer lasziven, völlig nackten Susanna bis zu einer fast völlig von Tüchern bedeckten reicht, die sich mit aller Gewalt gegen ihre Entblößung wehrt. Denn auch die gibt es, bei Sebastiano Ricci (1713) darf sie den Angreifern immerhin den Stinkefinger zeigen, größtmögliche Verachtung im Blick.

Und bei Kathleen Gilje darf sie sogar ein Messer halten: Eine feministisch-listige Umdeutung der Kunstgeschichte und zugleich Kritik an ihrer Kollegin Artemisia Gentileschi. Die hatte 1610 eine wehrlose Susanna gemalt. Gilje – ausgebildete Restauratorin – gibt nun eine radiologische Untersuchung dieses Gemäldes vor, bei der sie die übermalte Vorstudie mit Messer entdeckt habe. Beide Bilder sind – wie auch andere hochkarätige Leihgaben in dieser Ausstellung zu sehen.

Alfred Hitchock und der verbotene Blick

Wehrlos ist die Badende auch auf dem Ölbild von Willem van Mieris (1731). Und hier hat die Ausstellung ihre überraschende Verbindung zu Hollywood, zu Hitchcocks Thriller-Klassiker „Psycho“ aus dem Jahr 1960. Wenn Psychopath und Frauenmörder Norman Bates sein späteres Opfer durch ein Guckloch in der Dusche beobachtet, hat er dies durch eben einen Druck dieses Ölbildes verdeckt. Auch Hitchcock wurden – weit vor der aktuellen Me-too-Debatte – von seiner „Vögel“-Hauptdarstellerin Tipp Hedren öffentlich sexuelle Übergriffe vorgeworfen.

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Foto 1: Jürgen Schön – Ein Besucher im Wallraf-Richartz-Museum studiert die beiden „Susanna“-Bilder von Artemisia Gentileschi und  Kathleen Gilje (r.).

Foto 2: Massimo Stanzione: „Susanna und die beiden Alten“ (um 1630/35, Öl auf Leinwand), Städel Museum, Frankfurt am Main

Foto 3: Courtesy the artist, Foto: Eric Tschernow – Heike Gallmeiers „Blick/Bild“ (2022, Bild-Objekt) – jüngstes Exponat – empfängt den Besucher der Ausstellung.

Zeiten:

bis zum 26. Februar 2023

Preise des Museums:

Eintritt: 
Erwachsene: 8,00 €
Ermäßigt: 4,50 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
Adresse: Obenmarspforten, 50667 Köln
Telefon: 0221 – 221 211 19
Webseite: https://www.wallraf.museum/ausstellungen/aktuell/2022-10-28-susanna/
KVB: Linie 5: Rathaus
Linien 1, 5, 7, 9: Heumarkt

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