Anfassen ist ausdrücklich erwünscht – wer die aktuelle Ausstellung „Theo Beckers. Ein junger Nationalsozialist fotografiert Köln“ im NS-Dokumentationszentrum besucht, darf jedes der 300 präsentierten Fotos auch in die Hand nehmen. So als blättere er ein Familienalbum durch, ein Blick zurück in ein heikles, vergangenes Kapitel Familien- und Stadtgeschichte. 

Über 8.000 Fotos machte Theo Beckers zwischen 1933 und 1945, für die Ausstellungen hat man sich auf die Jahre bis 1937 beschränkt. Geordnet sind sie unter anderem nach den Themen Familie und Freunde, Wohnen, Religiosität, Ausflüge, Lager und Fahrten, Prozessionen, Karneval, Aufmärsche. In bunt geordneten Reihen stehen sie griffbereit auf den jeweiligen Tischen. 

Fotografieren – in den 1930er Jahren ein teures Hobby 

Beckers, 1914 geboren, wurde Weihnachten 1933 seine erste Kleinbildkamera geschenkt. Und er wurde zum leidenschaftlichen Hobby-Fotografen mit eigener Dunkelkammer. Damals ein aufkommenden, teures Steckenpferd. Manchmal konnte er einzelne Aufnahmen an Freunde und Bekannte verkaufen, um es wenigstens teilweise zu finanzieren.  

Und er fotografierte, was ihm vor die Linse kam. Der heutige Betrachter taucht ein in versunkene Welt. In der sich die Aufnahmen vom bürgerlichen Familienleben – der Vater war Grundschullehrer und unterrichtete Musik am Gymnasium, die Mutter war Hausfrau, Theo hatte eine jüngere Schwester – damals kaum von denen heute unterscheiden. Da werden mit den Verwandten Feste gefeiert und der Bau des neuen Hauses dokumentiert. Karneval ist er mit Kostüm dabei – hier drückten wohl Familienmitglieder für ihn auf den Auslöser. 

Hitlergruß begleitete Fronleichnamsprozession 

Katholische Prozessionen ziehen durch die Stadt. Befremdlich wirken heute nur die Polizisten, die mit Tschako und Hitlergruß an der Seite stehen. Als HJ-Führer hält er fest, wie „seine“ Jungen marschieren, ihre Kräfte beim Rangeln messen, den Bau der Reichsautobahn nachspielen. Oder wie sie bei Propagandamärschen durch Köln für den Nationalsozialismus und neue Mitglieder warben. Mit der Kamera ist er bei den Demonstrationen am 1. Mai dabei. Oder als die Wehrmacht am 7. März 1936 über die Hohenzollernbrücke ins linksrheinische Rheinland einzieht – ein Bruch des Völkerrechts, denn dieses Gebiet war nach dem Ersten Weltkrieg entmilitarisiert worden. Den anschließenden Besuch Hitlers verpasste er. 

Das angepasste Alltagsleben im Nationalsozialismus 

Es sind – im besten Sinne – „Allerweltsfotos“, die sich durch keinerlei fotografischen  Experimente oder ausgefallene Perspektiven auszeichnen, nur manchmal stieg Beckers etwa auf Türme, um den Alltag aus der Vogelperspektive festzuhalten. Probeaufnahmen für Nachtfotos oder fliegende Möwen haben keine Spuren hinterlassen – zumindest zeigt diese Ausstellung keine. So spiegelt sich hier das „normale“ bürgerliche Leben einer Familie wider, die sich den politischen Bedingungen angepasst hat. Ein (fotografischer) Blick für die negativen Seiten des Nationalsozialismus und seine Verbrechen – Fehlanzeige.  

„Prägte sein Engagement für den Nationalsozialismus auch seine Fotografien?“, fragt Kuratorin Hanne Leßau zu Beckers Arbeit. Zwar trat der junge Mann schon 1933 der Hitlerjugend bei, wechselte zum Jungvolk und war hier 1938 für mehrere Pimpf-Gruppen zuständig – wie andere halbe Million ehrenamtlicher Kleinfunktionäre. 1935 erhielt er von der HJ Mittelrhein einen Preis für seine Fotos. 

Pfadfinder oder Hitlerjugend? 

Sicherlich förderte er so die NS-Ideologie. Aber war er deshalb überzeugter Nationalsozialist? Oder war er nur von „Abenteuerlust“ erfüllt, die von den Nazis geschickt aufgegriffen wurde? In anderen Zeiten hätte er sie vielleicht bei den nun verbotenen Pfadfinder gestillt. Immerhin wurde er 1934 von zwei britischen Pfadfindern besucht: Stolz lässt er sich in HJ-Uniform zwischen den in eleganten Anzügen Gekleideten fotografieren. Wer das Trio vor dem Kölner Dom fotografierte, ist unbekannt. 

Einsatz für das NS-Dokumentationszentrum 

Über Beckers Verhältnis zum Nationalsozialismus weiß man nichts. In seinem Zimmer hing ein Bild Hitlers neben einem Marienbild. Für ihn offensichtlich kein Widerspruch. Wie sein Vater wollte er Lehrer werden, wurde aber nicht zum Studium zugelassen. Stattdessen wurde er Zahntechniker – ein Beruf, den er auch nach 1945 in Köln ausübte. 1939 wurde er eingezogen, war zuerst an der Westfront, kam 1943 nach Polen. Er blieb unverheiratet, adoptierte einen Gehilfen als Sohn und starb 2003. 

Einen Hinweis auf seine politische Einstellung oder Einschätzung seines Engagement für die HJ – er war nie NSDAP-Mitglied – mag sein, dass er sich früh für die Einrichtung des NS-Dokumentationszentrums einsetzte. Und er wollte, dass seine 8.000 Negative umfassende Fotosammlung dort eine Heimat findet. Dieser Wunsch inzwischen wahr geworden.

———–

Foto 1: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln – „Von Theo Beckers betreute Hitlerjungen bei einem Propagandamarsch um den Kölner Dom, 1935“,  Fotograf: Theo Beckers.

Foto 2: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln – „Fronleichnamsprozession in Köln-Deutz, aufgenommen aus dem Wohnzimmer der Familie Beckers, 1936“, Fotograf: Theo Beckers.

Foto 3: NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln – „Theo Beckers (Mitte) mit zwei englischen Pfadfindern, 1934“ (Ausschnitt), Fotograf: unbekannt.

Zeiten: 

Bis zum 18. September 2022

Dienstag bis Freitag: 10:00 – 18:00 Uhr
Samstag und Sonntag: 11:00 – 18:00 Uhr

Preise:

Eintritt: 4,50 €
Ermäßigt: 2,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

NS-Dokumentationszentrum
Adresse: Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln
Webseite: https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=286
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appellhofplatz

Diesen Artikel weiterempfehlen: