„Unsichtbarer Terror“: Blick in die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum. Foto: Jürgen Schön

Überfällige Erinnerung an rechte Gewalttaten

Die jüngst veröffentlichte Statistik zur politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2021 zeigte – wieder einmal –: Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für Demokratie und Menschen in diesem Land. Um so wichtiger, entsprechende Verbrechen nicht zu vergessen. An sie zu erinnern, ist Ziel der aufschlussreichen Ausstellung „Unsichtbarer Terror. Orte rechter Gewalt in Deutschland“ im NS-Dokumentationszentrum. Der Fotograf Mark Mühlhaus holt sie wieder ins Licht.

Über 30 Tatorte im Foto festgehalten

Die Ausstellung im EL-DE-Haus erinnert an einen dichten Wald. Dicht an dicht stehen Metallstäbe, an ihnen befestigt die sachlichen Fotos von Mark Mühlhaus. Sie zeigen über 30 Orte in Deutschland – von banal bis idyllisch: öffentliche Plätze, Häuserzeilen, Landstraßen, Flussufer, Straßen. Doch der friedliche Schein des Augenblicks trügt: Hier verübten Neonazis, rechte Skinheads und gewaltbereite Jugendliche ihre rassistischen oder antisemitische Anschläge.

Schrifttafeln auf Deutsch, Englisch und Türkisch auf der Rückseite der Fotowände erzählen, was dort Verbrecherisches und Menschenverachtendes geschah. An Tonstationen sind Zeugnisse von Überlebenden oder deren Angehörigen zu hören.

Sieben Jahrzehnte rechte Gewalt dokumentiert

Das Verschweigen begann schon früh und hält bis heute an. Beispiel das Karl-Bröger-Haus in Nürnberg: Anfang 1947 explodierte hier ein Sprengsatz am Büro von Landgerichtspräsident Camille Sachs. Der war Vorsitzender im Entnazifizierungsverfahren des hochrangigen NS-Funktionärs Franz von Papen. Zunächst als „Hauptschuldiger“ zu acht Jahren Arbeitslager verurteilt, wurde der Ex-Reichskanzler schon nach zwei Jahren entlassen. Die Bombenleger hielten an der NS-Ideologie fest, wie den von ihnen hinterlassenen Flugblättern zu entnehmen war. Im offiziellen Internet-Auftritt des Hauses ist davon nichts zu lesen.

Hochhaus in Frankfurt/Main: Rechtsradikale versuchten hier einen Bombenanschlag gegen US-Soldaten, die hier wohnten. Foto: Mark Mühlhaus

Statt mahnender Erinnerung gibt es oft noch heute Hinweise wie Graffiti auf die rechte Gesinnung der Täter. So im Umfeld einer Wohnung im sächsischen Freital, in der geflüchtete Eritreer wohnten. Hier detonierte 2015 ein Sprengsatz, durch Glück wurde niemand verletzt. Vorangegangen waren heftige Demonstrationen vor einer nahen Asylbewerberunterkunft.

Fast idyllisch mutet heute das Foto eines frisch gesäten Maisfeldes vor dem Fernmeldeturm im westfälischen Nottuln an. Hier hatten Rechtsextreme 1979 versucht, mit einem Anschlag die Ausstrahlung der US-amerikanischen TV-Serie „Holocaust“ über den NS-Massenmord an den Juden zu verhindern.

Auch drei rassistische Verbrechen aus Köln

Auch Köln blieb nicht von rechter Gewalt verschont. In einem Extra-Raum wird an drei solcher Geschehen mit Fotos, Zeitungsausschnitten und Texten erinnert. Die Präsentationen wurden von Mühlhaus in Zusammenarbeit mit Jugendlichen erarbeitet.

In migrantisch geprägten Teilen von Bilderstöckchen und Weidenpesch wurden 1993 durch mit Sprengstoff präparierte Elektrogeräte drei Menschen verletzt. Die Taten wurden nicht aufgeklärt, die Ausstellungsmacher beklagen, dass „rassistische Motive bei den Ermittlungen nicht gründlich verfolgt“ wurden.

Hochhaus in Frankfurt/Main: Rechtsradikale versuchten hier einen Bombenanschlag gegen US-Soldaten, die hier wohnten. Foto: Mark Mühlhaus

Ein Jahr später wurde in Humboldt/Gremberghoven in einer Notaufnahme-Einrichtung für Asylsuchende ein Brand gelegt. Mehrere Menschen erlitten zum Teil lebensgefährliche Verletzungen, zwei starben. Einem Deutschen, der zuvor durch rassistische Hetze und Branddrohungen aufgefallen war, konnte die Tat nicht nachgewiesen werden.

Bewährungsstrafe nach Brandanschlag

2016 schließlich warfen zwei rechte Täter Handfackeln in eine Flüchtlingsunterkunft, in der Menschen aus Jugoslawien wohnten. Die Fackeln trugen die Aufschrift „“Pegida“ (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“). Menschen kamen nicht zu Schaden. Die Täter kamen aus dem Umfeld der „Hooligans gegen Salafismus“ (HoGeSa), die zwei Jahre zuvor zu Tausenden zwischen Bahnhof und Ebertplatz demonstriert hatten. Sie erhielten zwei Jahre Haft auf Bewährung.

Erinnerungselemente – etwa Gedenktafeln – sind an den gezeigten Orten die seltene Ausnahme. Um dem entgegenzuwirken, hat sich das NS-Dok etwas Besonderes einfallen lassen: Es liegen mehrere hundert Postkarten mit den Foto-Motiven bereit, die ohne Briefmarke verschickt werden können, wenn sie im Ausstellungsbriefkasten landen. Das anfallende Porto zahlt die Stadt. Ein Einfall, der das i-Pünktchen für diese überfällige und wichtige Ausstellung ist.

Zeiten: 

Bis zum 13. August 2023

Preise:

Eintritt: 4,50 €
Ermäßigt: 2,00 €

Kontaktdaten und Anfahrtsbeschreibung:

NS-Dokumentationszentrum
Adresse: Appellhofplatz 23-25, 50667 Köln
Webseite: https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=286
und https://unsichtbarer-terror.de/
KVB: Linien 3, 4, 5, 16, 18: Appellhofplatz

Diesen Artikel weiterempfehlen: